Der Umgang der Nationalsozialisten mit schwarzen französischen Soldaten

Vergessene Opfer

Die Offensive der Wehrmacht von 1940 in Frankreich galt lange Zeit als kriegsrechtlich korrekt. Die Studie des Historikers Raffael Scheck
demontiert den Mythos der sauberen Kriegsführung und belegt die Barbarei dieses Feldzugs. Vor allem die schwarzen Soldaten der ­französischen Armee wurden Opfer grausamer Kriegsverbrechen.

Seit längerem ist bekannt, wie barbarisch die Wehrmacht insbesondere auf ihren Eroberungsfeldzügen in der Sowjetunion vorging. Die Armee war der Auffassung, es mit »slawischen Untermenschen« zu tun zu haben, die von einem perversen Kommando der »Juden und Bolschewisten« befehligt würden. So war klar, dass entwaffnete und gefangengenommene Gegner – Soldaten oder Partisanen – keinerlei Gnade zu erwarten hatten. Die kriegsrechtlichen Minimalstandards, die üblicherweise selbst noch in zwischenstaatlichen Kriegen gelten, beispielsweise die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nonkombattanten wie etwa unbewaffneten Zivilisten, wurden von der deutschen Armee und anderen bewaffneten Organe des Nazistaats vollständig außer Kraft gesetzt.
»Gerechtfertigt« wurde dies von der Naziführung offiziell auch damit, dass die UdSSR ihrerseits die Genfer Konvention von 1929 zum so genannten Kriegsvölkerrecht nicht unterzeichnet hatte und ihre Bürger deswegen deren Privilegien nicht in Anspruch nehmen könnten. Der eigentliche Grund für die barbarische Behandlung der unterworfenen Bevölkerung in der Sowjetunion lag natürlich in der Ideologie des NS-Staats.
Das Buch »Hitlers afrikanische Opfer« von Raffael Scheck, der 1960 in Freiburg geboren wurde und in den USA als Professor für Europäische Geschichte tätig ist, erweitert nun die Kenntnisse über die Kriegsführung des Nazistaats unter dem Aspekt des »Rassenkriegs« an einem wichtigen Punkt. Im Unterschied zum Vernichtungskrieg in der damaligen Sowjetunion hatten die Praktiken der Wehrmacht während des Westfeldzugs von 1940, also bei der Eroberung von Belgien und Nordfrankreich, bis vor kurzem noch als relativ »sauber« gegolten. Gern argumentierten Historiker, dass geltende juristische Regeln des sogenannten Kriegsvölkerrechts von der Wehrmacht weitgehend respektiert worden seien.
Und tatsächlich verfolgte die Wehrmachtsführung im Westfeldzug von 1940 im Allgemeinen den Grundsatz, dass das sogenannte Kriegsvölkerrecht einzuhalten und zu respektieren sei. Dies schloss die Verschonung von Nonkombattanten, aber auch von entwaffneten oder sich ergebenden »feindlichen« Soldaten ein, gegen die im Prinzip keine militärische Gewalt eingesetzt werden sollte.
Auch die französische Bevölkerung – ebenso wie gefangene Offiziere Frankreichs – honorierten damals, im Frühjahr 1940, zunächst dieses Verhalten der deutschen Armee: Sie verglichen es mit dem Vorgehen der Reichswehr in den Jahren ab 1914, als das deutsche Vordringen in Belgien und Nordfrankreich mit massiven Gewalttaten gegen Zivilisten einherging, und bescheinigten der Wehrmacht eine korrekte Kriegsführung.
Die Unterschiede in der Kriegsführung arbeitet Scheck in seinem Buch detailliert heraus: Im Ersten Weltkrieg war die deutsche Militärführung quasi besessen von der Idee, ihre Soldaten könnten von »irregulären«, partisanenähnlichen Kämpfern – sogenannten Francs-tireurs – angegriffen werden. Das Phänomen der Francs-tireurs (wörtlich: »Freischützen«) war erstmals während des deutsch-französischen Krieges von 1870 aufgetaucht, als die Armee Napoléons des Dritten schnell zusammenbrach, aber irreguläre militärische Verbände auf eigene Faust gegen die vorrückenden Preußen und ihre Verbündeten weiterkämpften. Im Ersten Weltkrieg hingegen hatte die Angst der Deutschen vor »irregulären Kämpfern«, die die Soldaten unter der Pickelhaube attackieren könnten, andere Gründe: Da das Deutsche Reich im August 1914 Frankreich angriff, indem es das neutrale Belgien – unter flagrantem Bruch internationalen Rechts – überrannte und dadurch die französischen Verteidigungsstellen an der Ostgrenze des Landes umging, hatte es die belgische Bevölkerung massiv gegen sich aufgebracht. Zivilpersonen, darunter auch zahlreiche Frauen, traten in den Widerstand gegen die militärische Besatzung durch die Deutschen ein und wurden von diesen unnachgiebig verfolgt.
Diese mit harten Mitteln geführte Auseinandersetzung lieferte einen Vorgeschmack auf die Résistance oder den Partisanenkrieg gegen Nazideutschland. Der deutsche Militärapparat antwortete mit harten Abwehrreaktionen, welche wiederum die Zivilbevölkerung trafen und diese noch mehr gegen die deutsche Armee aufbrachten.
Ganz anders stellte sich die Situation an der Westfront zu Beginn des Zweiten Weltkriegs dar: Die deutsche Armee hatte aus ihren Schwierigkeiten dort in den Jahren von 1914 bis 1918 gelernt. Zudem hatte die Militär-, aber auch die politische Führung des Nazistaats Pläne für die Nachkriegsordnung im Westen: »Europäische Völker« wie Franzosen, Briten oder Norweger – und dabei vor allem die bisherigen Kolonialmächte – sollten für ein Bündnis mit NS-Deutschland gewonnen werden, um eine gemeinsame Front insbesondere gegen »den Bolschewismus« im Osten aufzubauen.
Die Unterschiede in der Kriegsführung sind in der Forschung bereits bekannt gewesen. Aber der Historiker Scheck hat seine Untersuchungen auf einen Bereich ausgedehnt, der vor allem in Deutschland weitgehend ausgeblendet wurde: auf den Umgang der deutschen Armee mit Soldaten der gegnerischen Seite, die nicht-europäischer Abstammung waren. Konkret geht es um das Verhalten der Wehrmacht gegenüber afrikanischen Soldaten in der französischen Armee während des Frankreichfeldzugs im Mai und Juni 1940 – um den Umgang mit ihnen im Kampf, besonders aber bei der Gefangennahme und in Kriegsgefangenschaft. Dieser Aspekt war bislang von der deutschen Geschichtsforschung ausgeblendet worden. In den USA hingegen sind einige Forschungsarbeiten erschienen, auch in Frankreich gab es Untersuchungen dazu, die in der Geschichtsschreibung über Zweiten Weltkrieg, Besatzung, Résistance und Befreiung jedoch eine untergeordnete R0lle spielen.
Das Thema ist jedoch, wie Scheck aufzeigen kann, keineswegs als randständig anzusehen. Seine Untersuchung belegt, wie weit die Nazifizierung der Truppe bereits zu diesem frühen Zeitpunkt fortgeschritten war. Mehrere Tausend schwarze Gefangene wurden während des Feldzugs ermordet und erschossen, ohne Gelegenheit zur Kapitulation zu bekommen. Scheck stellt diese Massaker in Kontinuität zur Brutalisierung der deutschen Kriegsführung seit den Kolonialkriegen gegen die Hereros und den Maji-Maji-Aufstand.
Schon früh hatten die Nazis Frankreich als degenerierte Gesellschaft betrachtet, als durch und durch »verjudetes und vernegertes« Land und »Mischlingsvolk«. Hitler hatte in seinem 1924 verfassten Buch »Mein Kampf« Frankreich gar als »afrikanischen Staat auf europäischem Boden« bezeichnet. Das besonders gegen Frankreich gerichtete rassistische Ressentiment war ein fester Bestandteil seiner Agitation gegen die westlichen Alliierten.
Scheck schildert die Kontroverse um den Einsatz von Soldaten aus afrikanischen Kolonien in Armeen auf dem Boden Europas. Vor allem Frankreich hatte eine Entscheidung zugunsten des Einsatzes von Kolonialsoldaten auch bei der »Verteidigung des Mutterlands« getroffen. Einer der Hauptgründe dafür war das »demografische Defizit«, ein Geburtenrückgang, wie er in anderen europäischen Ländern erst sehr viel später einsetzte. Der französische General Charles Mangin hatte im Jahr 1910 eine Streitschrift unter dem Titel »La force noire« (»Die schwarze Kraft«) veröffentlicht, die sich nachdrücklich für den Aufbau einer Armee aus Kolonialsoldaten auch in der europäischen Kolonialmetropole Frankreich aussprach. Dieses Ansinnen wurde alsbald Gegenstand einer innenpolitischen Kontroverse. Manche Argumente waren eher »pragmatischer« Natur, etwa die Behauptung, dass afrikanische Soldaten das Kämpfen unter den klimatischen Bedingungen in Europa nicht lange durchhalten würden. Andere wiede­rum waren eindeutig rassistisch, wie das Argument, schwarze Soldaten seien »wild und unzivilisiert«, weshalb sie auch nicht in der Lage seien, Normen »zivilisierter Kriegführung« einzuhalten. Auch verwiesen Gegner der Pläne darauf, dass Afrikaner ihren »Respekt« vor den angeblich überlegenen weißen Völkern verlieren könnten, falls sie mit ihnen zusammen an europäischen Fronten kämpften, neben ihnen lebten und gleichzeitig gegen andere Weiße Krieg zu führen lernten. Eines Tages werde sich dies rächen, so die Kritiker, da die Veteranen aus solchen Kriegen dann auch in ihren Herkunftsländern für die Unabhängigkeit kämpfen könnten.
Besonders vehement wurden solche Argumente von Deutschen vorgetragen. Ihnen ging es ­dabei natürlich vordringlich darum, eine Vergrößerung der Armee des potenziellen Kriegsgegners Frankreichs zu denunzieren, tunlichst zu verhindern und als »Verrat an den gemeinsamen Interessen der weißen Rasse« anzuprangern. Auch das Deutsche Reich verfügte zwar – vor 1918 – über Kolonien, hatte dort aber mit Aufständen zu kämpfen und setzte Schwarze nur in den besetzten Territorien wie etwa in »Deutsch-Ostafrika« selbst als »Schutztruppe« ein. Umso stärker betonte die deutsche Propaganda die »Gefahren für die Zukunft der weißen Rasse«, die durch Frankreich mit seinem Rückgriff auf »den Einsatz von Wilden« heraufbeschworen würden.
Ausführlich arbeitet Scheck heraus, wie die deutsche Propaganda dabei in aufeinanderfolgenden historischen »Schichten« aufgebaut wurde. Die Agitation gegen schwarze Soldaten bei der französischen Armee konnte dabei etwa aufbauen auf die im Reich anlässlich von Aufständen und Massakern in den eigenen Kolonien – etwa beim Völkermord an den Herero ab 1904 im heutigen Namibia – quer durch die Presse verbreitete Propaganda gegen »Wilde, die deutsche Soldaten verstümmeln und deutsche Frauen vergewaltigen« . Der Autor schildert auch, dass diese Hetze vor dem Ersten Weltkrieg noch scharf von Vertretern der Sozialdemokratie, aber auch der katholischen Zentrumspartei kritisiert wurde. Diese Kritik verstummte aber spätestens um 1918. Später kam die Agitation gegen die französische Besetzung des Rheinlands Anfang der zwanziger Jahre hinzu, in deren Kern oft die beschworene Furcht vor dem ­»Neger am Rhein« stand – wiederum gekoppelt an Vergewaltigungsvorwürfe und die Unterstellung eines ausgeprägten Sexualtriebs bei Schwarzen. Die Präsenz französischer Truppen wurde damals weithin unter dem Stichwort »die schwarze Schande« abgehandelt – und wie Scheck nachweist, übernahmen auch britische Linke, die sich in diesem Konflikt auf die deutsche Seite schlugen, dieses Argument.
Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs spielte dieser Aspekt zunächst noch eine untergeordnete Rolle, und die Nazipropaganda richtete sich während des Westfeldzugs anfänglich eher gegen Großbritannien. Doch Ende Mai 1940, während die bri­tischen Truppen in Dunkerque (Dünkirchen) eingekesselt waren und sich auf ihren Abzug über den Ärmelkanal vorbereiteten, forderte Propagandaminister Joseph Goebbels die Presse ausdrücklich dazu auf, die hasserfüllte Agitation verstärkt gegen die französische Republik zu richten. Und dabei stand wiederum der Aspekt der »Vernegerung« stark im Mittelpunkt.
Ab diesem Zeitpunkt verzeichnet Scheck, der einzelne Schlachten wie auch Massaker an bereits entwaffneten französischen Soldaten akribisch untersucht, eine starke Zunahme an Vorfällen, bei denen es zu Misshandlungen oder gar zum Abschlachten entwaffneter, wehrloser schwarzer Soldaten der französischen Armee kam. Eine Schlüsselrolle spielten dabei nationalsozialistische Elitetruppen wie die »SS-Di­vision Totenkopf« oder die »Infanteriedivision Großdeutschland«, die im Westfeldzug in die gewöhnliche Truppe integriert worden waren. Aber auch normale Einheiten, die – anders als die SS – ohne besondere weltanschauliche Schulung im nationalsozialistischen Sinne aufgestellt worden waren, nahmen vor allem in der Schlussphase der Besetzung Frankreichs im Juli 1940 Erschießungen wehrloser schwarzer Kriegsgefangener vor, die zuvor oft, meist schon bei ihrer Gefangennahme, von ihren weißen Kameraden getrennt worden waren. Mitunter wurden auch weiße Offiziere mit ihren Soldaten erschossen – dies aber nur dann, wenn sie zuvor ausschließlich oder überwiegend Einheiten aus schwarzen Militärs befehligt hatten. Scheck verzeichnet an dieser Stelle Tendenzen zu einer »Nazifizierung und Barbarisierung« der Armee.
Nicht alle schwarzen Soldaten wurden gleich bei ihrer Gefangennahme, unter Bruch geltenden Kriegsvölkerrechts, ermordet. Ein Teil von ihnen wurde in Kriegsgefangenschaft überstellt und kam so unter die Aufsicht des Roten Kreuzes. Ob und wann es zu Massakern kam, hing sowohl von »ideologischen« wie auch »situativen Faktoren« ab. Erstere bestanden darin, dass eine stärkere nationalsozialistische Prägung einer Einheit – insbesondere der Elite­divisionen – eine höhere Wahrscheinlichkeit von Massakern bedeutete. Aber daneben spielten laut dem Verfasser auch die »situativen« Faktoren eine wichtige Rolle. Denn das allgemeine rassistische Vorurteil, schwarze Soldaten als prinzipiell »illegitime Kämpfer« und »Wilde« ­außerhalb zivilisatorischer Normen darstellte, machte sich an bestimmten Vorwürfen fest.
So wurde die Kriegsführung der Kolonialeinheiten innerhalb der französischen Armee, die neben Gewehren mit einer speziellen Nahkampfwaffe – den sogenannten Coupe-coupes, einer Art von Buschmessern – ausgestattet waren, häufig mit dem Vorwurf belegt, sie verübten Verstümmelungen an gefangenen deutschen Soldaten. Dabei waren diese Waffen, wie Scheck betont, keineswegs illegal oder grausamer als die auf beiden Seiten von den weißen Soldaten benutzten Feuerwaffen, Handgranaten und Bajonette.
Doch die Angst der einzelnen deutschen Soldaten, im Kampf verletzt zu werden oder zu sterben, fokussierte sich dank einer ideologischen Überhöhung in ihren Köpfen stark auf das Bild, sie könnten durch »von Bäumen herunterspringende« schwarze Soldaten mit solchen »Buschmessern« verwundet oder verstümmelt werden. Allein die Vermutung, dass Gefangene solche Waffen benutzt haben könnten, konnte der Auslöser für grausame Massaker sein. Die konkrete Stresssituation der Soldaten im Kampf kam dabei mit dem rassistischen Stereotyp und dem besonderen Hass auf »Negersoldaten, die wie Wilde kämpfen«, zusammen und wirkte als auslösendes Motiv für Gewalt gegen wehrlos gewordene Gegner.
Schwarze Soldaten, die in Kriegsgefangenschaft gerieten, wurden zumeist schlechter behandelt als weiße französische. Manche schwarze Soldaten ließ man verhungern und verdursten. Ab Herbst 1940 wurden die überlebenden schwarzen Soldaten plötzlich besser be­handelt. Neben dem Umstand, dass auch die schwarzen Gefangenen unter die Routinebehandlung einer Militärbürokratie fielen, spielt dabei laut Scheck ein politischer Faktor eine wichtige Rolle: Bevor Nazideutschland die UdSSR angriff und dort in militärische Schwierigkeiten geriet, träumte die NS-Führung in Berlin von der Wiedererrichtung eines deutschen Kolonialreichs. Dazu suchte sie in den Kriegsgefangenenlagern nach Kollaborateuren und Verbündeten, weshalb vor allem mit relativ guter Schulbildung ausgestattete Schwarze schlagartig besser – und manchmal sogar bevorzugt gegenüber weißen Franzosen – behandelt wurden. Allerdings stieß das Angebot Nazideutschlands nicht auf Interesse, und so nahm diese Phase nahm ebenso schnell wieder ihr Ende, wie sie begonnen hatte.

Raffael Scheck: Hitlers afrikanische Opfer. Die Massaker der Wehrmacht an schwarzen französischen Soldaten. Assoziation A, Berlin 2009, 196 Seiten, 20 Euro