Die Durchsuchungen in Dresden und Berlin

Kein Protest ohne Bratwurst

Weil auf den Plakaten des bundesweiten Bündnisses »Dresden nazifrei« die Worte »Gemeinsam blockieren« stehen, wurden in Dresden und Berlin Räume durchsucht und Material beschlagnahmt.

Der Leitsatz Dresdens, der sich Jahr für Jahr zum 13. Februar artikuliert, lautet knapp gefasst: »Das Gedenken und die Erinnerung bestimmen wir.« Wenn die deutsche Opfergemeinschaft an diesem Tag die Taschentücher auspackt, soll alles, was sie dabei stört, ausgeschaltet werden: Wer es am Abend des 13. Februar in der Dresdner Innenstadt wagt, Sektkorken knallen zu lassen, der landet er­fahrungsgemäß im Polizeigewahrsam.
Dieses Jahr will man diesen Dresdner Leitsatz un­terstreichen. Was es dazu braucht, ist nicht viel: ein Ordnungsamt, das Widerstand gegen den jähr­lichen Neonazi-Aufmarsch sowie Protesten ge­gen das bürgerliche »Gedenken« größtmögliche Schwie­rigkeiten bereitet. Eine Oberbürgermeisterin, die die Innenstadt mit einer Menschenkette unter anderem vor »Extremisten« schützen will, es aber ablehnt, sich den Faschisten in den Weg zu stellen. Ein Konglomerat aus Dresdnerinnen, Dresd­nern und solchen, die ihrem politischen Bekenntnis nach Dresdner sind, die sich in ihr Schäl­chen Hees’n nicht spucken lassen wollen. Und vor allem einen Staatsanwalt, der diesen »Spirit of Dres­den« auf juristischem Wege durchzusetzen weiß.
Christian Avenarius, Oberstaatsanwalt in Dresden, musste handeln, so seine Überzeugung. Am 20. Januar hatte er den Kreuzberger Antifaver­sandhandel »Red Stuff« und ein Informationsbüro des Bündnisses in der sächsischen Landesge­schäfts­stelle der Partei »Die Linke« durchsuchen lassen. Dabei wurden Tausende Plakate, Zehntausende Flyer und Computer beschlagnahmt. Der Grund ist folgender: Das Bündnis »Dresden nazifrei« hatte mit dem Slogan »Gemeinsam blockieren« zum friedlichen Widerstand gegen den jährlich wiederkehrenden Naziaufmarsch in Dresden am 13. Februar aufgerufen. »Eine Blockade der Demonstration wäre eine grobe Störung im Sinne des Versammlungsgesetzes« und der Aufruf dazu »eine öffentliche Aufforderung zu Straftaten« . So begründet Avenarius gegenüber der Jungle World die Polizeiaktionen. Dass die Staatsanwaltschaft »absolute Distanz zu den geplanten rechtsextremistischen Aktivitäten« einnehme, hebt er hervor.
Ebenfalls zu den Razzien gegen »Dresden nazifrei« befragt, teilt Karl Schuricht vom Dresdner Ordnungsamt mit: »Blockadeaufrufe sind Straftaten, die durch die Strafverfolgungsbehörden verfolgt werden.« Vorsorglich weist er darauf hin, dass »Ordnungsamt und Polizei« alle gesetzlich vorgesehenen und möglichen Maßnahmen ergrei­fen, um Eskalationen zu verhindern. Hierfür seien »in erster Linie aber die Versammlungsanmelder mit ihren Organisatoren gefragt«.

Wie das in der Praxis aussieht, weiß Angela Marquardt: Sie meldete in den letzten Jahren eine Rei­he von Veranstaltungen für das Bündnis »Keine Versöhnung mit Deutschland!« an, die sich insbesondere gegen die revisionistischen Dresdner Gedenkrituale richteten. Ihre Erfahrungen als An­melderin beschreibt sie im Gespräch mit der Jungle World: »In Dresden möchte man keine Demons­trationen oder Proteste.« Zudem sei die Dresd­ner Polizei »grundsätzlich sehr aggressiv«. So prügelten letztes Jahr Polizisten auf Teilnehmer der Demonstration des antifaschistischen Bündnisses »No Pasarán« ein. Die von Marquardt angemeldete Kundgebung wurde stundenlang eingekesselt. Nie­mand durfte die Veranstaltung verlassen, selbst der Gang zur Toilette wurde untersagt. Seither wird gegen Angela Marquardt ermittelt. Angeblich sei die Kundgebung »zu laut« gewesen, angeblich seien »zu wenig Ordner« dabeigewesen.
Im vorigen Jahr kam auch das zivilgesellschaftliche Bündnis »Geh denken!« in den Genuss Dresd­ner Ordnungspolitik. Die ehemalige Sprecherin des Kreises, Grit Hanneforth, erläuterte der Jungle World, dass es große Schwierigkeiten in den Verhandlungen mit der Versammlungsbehörde gegeben hatte. Vor allem aufgrund des so genannten Trennungsgebotes sei kein Protest in Sicht- und Hörweite des rechtsextremen Aufmarsches möglich gewesen – ein Grund dafür, dass es das Bündnis »Geh denken!« in diesem Jahr nicht mehr in dieser Form gebe.
Auch zum 65. Jahrestag der Bombardierung Dresdens hat Angela Marquardt eine Demonstration angemeldet und erneut erfahren dürfen, wie Dresdner Behörden versuchen, alles zu verhindern, was der offiziellen Gedenkpolitik zuwiderläuft. Besonders irritiert zeigte man sich bei der Versammlungsbehörde darüber, dass die Demons­tration mit dem Motto »Keine Versöhnung mit Deutschland!« bereits am 12. Februar stattfindet, obwohl an diesem Tag die Nazis noch gar nicht aufmarschierten. Dass es möglicherweise auch an­deres zu kritisieren gilt als Neonazis, trifft bei Dresdner Behörden auf Unverständnis.

Das Bündnis »Dresden nazifrei«, das von den Repressalien dieses Jahr besonders betroffen ist, zeigt sich wenig beeindruckt. Immerhin folgten auf das Vorgehen der Staatsanwaltschaft empörte Proteste aus Parteien, der Zivilgesellschaft und den Medien. Hunderte Organisationen, Prominen­te und Einzelpersonen haben den Aufruf zur Blockade des Aufmarschs mittlerweile unterzeich­net. Nachdem das Landeskriminalamt Sachsen am Wochenende noch die deutsche Domain des Bündnisses hat sperren lassen, ist dessen Website unter www.dresden-nazifrei.com erreichbar. Für Lena Roth von »Nazifrei« ist klar: »Unser Ziel wird weiter verfolgt: Wir werden blockieren!«
Die Dresdner Ordnungs- und Sicherheitsorgane verfolgen aber nicht nur die Intention, die deutsche Opfergemeinschaft gegen jegliche Kritik abzuschirmen. Wegen des internationalen Medien­interesses am Jahrestag der Bombardierung Dresdens und des damit verbundenen Risikos eines Imageschadens ist in den vergangenen Jahren der Nazi-Aufmarsch als Problem wahrgenommen worden. Aber der Protest gegen die Neonazis ist für die Stadt offenbar nur legitim, solange er sich in Form geordneter »Demokratiemeilen« mit Bratwurstständen sowie Menschen-oder Lichterketten äußert. Andere Proteste gelten ebenso als Risiko für Dresdens Image wie der Naziaufmarsch.
Fragt man den AK Antifa Dresden nach dem vermuteten Sinn der Kriminalisierung des Protestes, meint er, es ginge darum, Unentschlossene zu verunsichern und von der Demonstration fernzuhalten. Die sächsische Landtagsabgeordnete Julia Bonk (»Die Linke«) vermutet hinter den Repressalien die Absicht, eine Grenze zwischen »legitime« und »extremistische« Gegenaktivitäten zu setzen. Immerhin ist Sachsen seit Jahren führend in der Anwendung des Extremismus-Kon­zeptes. Wenn sich DGB-Chef Michael Sommer im Spiegel darüber auslässt, dass Familienministerin Kristina Köhler »in der Extremismusfrage nicht gerade dem politischen Mainstream entspricht«, blendet er aus, dass Köhlers Kurs in Sachsen seit Jahren Usus ist. Die sächsische CDU bringt es kaum zustande, über Rechtsextremismus zu sprechen, ohne dabei darauf zu verweisen, wie ge­fährlich zugleich »der Linksextremismus« sei. Wie undifferenziert der Extremismusbegriff dabei genutzt wird, bewies jüngst der Chef der sächsischen Staatskanzlei, Johannes Beermann: »Wir haben leider den Wiedereinzug der NPD in den Landtag nicht verhindern können, und auch die PDS oder Linke gehört in dieses extremistische Gedankengut hinein«, sagte er auf einem Neu­jahrsempfang. Ausgerechnet in der rechten Wochenzeitung Junge Freiheit erklärte der CDU-Fraktionschef Steffen Flath am vorvergangenen Dienstag, dass der Kampf gegen »Linksextremismus« nicht aus den Augen verloren werden dürfe: »Hier muss die CDU Flagge zeigen.«
Kein Zweifel, dass die Konservativen auch nach dem diesjährigen 13. Februar ihre Extremismus­theorie bestätigt sehen werden. Bereits die Repres­salien dürften für eine Radikalisierung der Proteste sorgen, sodass es auch am 13. Februar nicht an Bildern mangeln dürfte, die sich dann im Sinne des Extremismusbegriffs gegen alles wenden lassen, was links von der SPD steht.