Die EU und die griechischen Finanzen

Schluss mit lustig

Die EU-Kommission übernimmt die Aufsicht über den griechischen Haushalt. Wird ein souveräner Staat zum EU-Protektorat?

König Ludwig XVI. löste die französische Revolution aus, als er die Generalstände einberufen musste, um neue Steuern zu erheben. Selbst unter dem autoritären Hohenzollern-Regime entschied in Deutschland das Parlament über den Haushalt. Das Budgetrecht ist das Herzstück des bürgerlichen parlamentarischen Systems, weil Macht nicht nur aus Gewehrläufen, sondern vor allem aus dem Geldbeutel kommt.
Dass heute die EU-Kommission die Aufsicht über Griechenlands Finanzen übernimmt, ist ein schwerwiegender Eingriff. Wenig Protest regt sich darüber in liberalen Kreisen, stattdessen macht sich, zumindest in Deutschland, die Meinung breit, die Griechen seien korrupt, betrieben Vetternwirtschaft und verjuxten »unsere« Steuergelder. Das war nicht immer so. Solange die Eurozone dem Kapital aus Deutschland und Frankreich einen großen Markt erschloss, billige Arbeitskräfte lieferte und dabei half, Konkurrenten auszuschalten, waren Bestechungsgelder oder sinnlose Straßenbauten auf griechischen Inseln kein so großes Problem. Dass die griechische Regierung beim Eintritt in den Euro-Verbund schummelte, um vorzugeben, die Neuverschuldung betrage weniger als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts, war überall bekannt.
Jetzt ist Schluss mit lustig. Der griechische Staat hat Schulden in Höhe von 300 Milliarden Euro, muss aber für Staatsanleihen mehr als doppelt so viel Rendite bieten wie Deutschland, weil die griechische Ökonomie schwächer ist.
Das griechische Defizit entspricht 13 Prozent des Bruttosozialprodukts und schwächt den Euro nicht etwa deshalb, weil die Gemeinschaftswährung gegenüber dem Dollar an Wert verliert, das könnte EU-Exporte sogar befördern. Je höher die Schulden in der Eurozone oder in einzelnen Mitgliedsstaaten sind, desto größer ist vielmehr die Gefahr einer steigenden Inflation. Im Falle einer Pleite Griechenlands müssten europäische Banken Kredite in Milliardenhöhe abschreiben.
Die Aufsicht der EU über einen Mitgliedsstaat ist nicht vergleichbar mit der Staatskontrolle über eine marode Bank. Hier wird ein souveräner Staat zum Protektorat. Die EU-Kommission ist auch nicht die gewählte Regierung eines Bundesstaates, sondern die Geschäftsführung eines Staatenbundes. Die Übernahme der Kontrolle über den griechischen Haushalt ist ein Präzedenzfall, andere Staaten könnten folgen.
In Griechenland steht nun ein drastischer Sozialabbau bevor. Der Währungskommissar der EU, Joaquín Almunia, fordert von der griechischen Regierung, dass sie das Renten- und Gesundheitssystem verändert. Die Gehälter im öffent­lichen Dienst sollen um vier bis sechs Prozent ­gekürzt, das Rentenalter soll auf 67 Jahre steigen und die Preise für Kraftstoffe sollen erhöht werden. Die sozialen Bewegungen und die Gewerkschaften in Griechenland sind allerdings nicht so zahm wie in Deutschland. Sie rufen bereits zum Generalstreik auf. Sollte die griechische Polizei bei den Streiks und Straßenschlachten die Kontrolle verlieren, werden wir möglicherweise erleben, dass die Bundeswehr zum »Friedens­einsatz« nach Athen oder Thessaloniki ausrückt.