Gespräch mit Sophie Friedel, wie sie afghanischen Kids das Skaten beibringt

»Skaten ist hier auch ein Mädchensport«

Skateistan ist die erste Skateschule in Afghanistan und die erste überhaupt, die nicht nur Skateboardfahren lehren will, sondern auch Kinder und Jugendliche mit verschiedensten sozialen, ethnischen und religiösen Hintergründen zusammenbringen will, um sie zum friedlichen und respektvollen Zusammenleben zu ermutigen. Sophie Friedel ist Skateboarderin und arbeitet als Volontärin in Skateistan.

Auf eurem Logo ist ein Skater zu sehen, der mit seinem Board eine Kalaschnikow zertrümmert. Die Skater, die ich kenne, sind aber nicht so pazifistisch, sondern eher darauf bedacht, sich möglichst asozial zu verhalten. Wie kommt ihr denn darauf, dass Skaten zum Frieden beiträgt?
(lacht) Doch, es gibt auch friedliche Skater, Skaten ist ja ein Sport, mit dem man sich kreativ ausdrücken kann und bei dem es nicht um Wettbewerb geht. Man kann zusammen mit Freunden skaten und sich dabei gegenseitig neue Sachen beibringen. Das ist anders als beim Fußball, wo es immer darum geht, wer siegt und wer verliert.
Was bringt ihr den afghanischen Kindern noch bei außer Skaten?
Skaten ist wichtig für das Projekt, damit die Kinder auch kommen, aber eigentlich machen wir vor allem Friedensbildung. Die Kids kommen zu uns rund zweieinhalb Stunden in der Woche, die erste Stunde gibt es Unterricht im Klassenzimmer, und nach einer kurzen Pause gehen wir dann mit ihnen in unsere Skatehalle. Im Klassenzimmer machen wir projektbasierten Unterricht, der Schwerpunkt ist, dass es die Kinder mit ihrem jeweiligen ethnischen und sozialen Hintergrund lernen, anderen Kindern mit anderem Hintergrund freundlich und respektvoll zu begegnen.
Das würden die nicht von sich aus tun?
(lacht) Nein, nicht unbedingt, die Straßenkinder zum Beispiel arbeiten auf der Straße und sind immer nur mit anderen Straßenkindern zusammen, und die Kinder, die aus reicheren Haushalten kommen, dürfen gar nicht auf die Straße. Spielplätze oder einfach Plätze, wo die verschiedenen Kinder miteinander spielen können, gibt es hier gar nicht. Wir bieten so einen Platz, wo sie sich mal kennenlernen können. Kinder, die auf der Straße Schuhe putzen, und Kinder von irgendwelchen Politikern, Medienleuten, Maurern, aus verschiedensten Schichten oder religiösen Gruppen. Und da können die Kinder lernen, andere Kinder zu akzeptieren, die wirklich ganz anders sind. Teilweise ist das ganz schön schwierig, teilweise aber auch ganz leicht.
Wird es schwieriger, je älter die Kinder sind?
Ja, schon, weil sie von ihren Eltern stärker geprägt sind.
Kann man Frieden lernen?
Das Wort Frieden ist natürlich ziemlich mächtig und umfassend, hat aber in Deutschland vielleicht nicht so viel Bedeutung wie hier. Frieden bedeutet auch einen gewissen Freiheitsverzicht, weil man nicht tun und lassen kann, was man will, zum Beispiel sich rüpelhaft verhalten oder Dinge in die Luft sprengen. Ich glaube, dass man Frieden lernen kann, indem man lernt, die anderen als Gleichberechtigte zu betrachten und mit Respekt zu behandeln. Und Respekt gegenüber anderen, vor allem gegenüber Menschen, die gesellschaftlich niedriger stehen, kann man schon lernen.
Und die Kinder kommen freiwillig zur Friedenserziehung?
Ja, wir haben eine recht lange Warteliste, auf der sind 400 Kinder registriert, aber leider können wir im Moment nur 200 Kinder unterrichten, weil wir nicht genug Lehrkräfte haben. In unseren beiden Klassenzimmern gibt es auch nur Nachmittagsunterricht, weil wir immer noch am aufbauen sind. Aber wir hoffen, dass wir in ein paar Monaten auch vormittags Unterricht anbieten und dann 400 Kinder aufnehmen können.
Wie läuft das mit der Sprache im Unterricht? Kannst du dich mit den Kindern verständigen?
Dort wird meistens Farsi oder Dari gesprochen, ich kann aber nur »Danke«, »Bitte«, »Hallo« und »Wie geht’s«, also nicht genug, um mich richtig zu unterhalten. Wir sprechen untereinander Englisch, und im Unterricht sind wir immer zwei: Jemand von den Internationalen und jemand von den Afghanen. Die Afghanen könnten natürlich auch alleine unterrichten, aber wir wollen den Kindern spielerisch ein bisschen Englisch beibringen, und deshalb übersetzen wir immer alles, und wir wollen auch, dass die afghanischen Kinder andere Länder und Kulturen kennenlernen.
Und geskatet wird immer nur nach dem Unterricht.
Genau, erst gibt’s Unterricht, dann Skaten, und wir machen prinzipiell immer beides, kein Skaten ohne Unterricht und umgekehrt.
Wie ist Skateistan eigentlich entstanden?
Sharna kommt aus Australien und hat hier als Wissenschaftlerin ein Projekt gehabt, Oli hat sie besucht, und beide hatten ihre Skateboards dabei. Wenn sie skaten waren, haben sie immer eine Traube Kinder angelockt. Dann haben sie sich mit den Kindern immer wieder an einem Brunnen getroffen, das hat sich dann entwickelt. Oli ist geblieben, hat Geld beantragt und die Skateschule aufgebaut. Heute ist Skateistan die größte Skatehalle und auch der größte Sportkomplex in Afghanistan.
Was habt ihr in eurer Skatehalle zu bieten? Habt ihr eine Halfpipe und Miniramps?
Ja, das ist ziemlich cool, wir haben 1 700 Quadratmeter Skatefläche. IOU-Ramps aus Passau unterstützt uns, die haben hier verschiedene Miniramps und Pipes, Boxen und Rails und Steps aufgebaut. Alles ist überdacht, man kann bei jedem Wetter fahren.
Skaten war früher ein neunzigprozentiges Jungsding. Ist das bei euch anders?
Skaten ist hier neu, deswegen gibt’s da noch keine Stereotype. Oli und Sharna kamen hier mit ihren Boards nach Kabul und haben gesehen, dass hier auch Frauen das machen können, und wir probieren jetzt, zur Hälfte Jungs, zur Hälfte Mädchen zu unterrichten, es gibt immer abwechselnd Jungstage und Mädchentage, das ist super für die Mädchen. Vom Sport her ist Skaten auch ein Mädchensport, Fahrradfahren dürfen sie hier nicht, weil viele Afghanen es kulturell nicht in Ordnung finden, wenn Frauen auf Fahrrädern sitzen.
Weil manche Muslime Panik bekommen, wenn eine Frau einen Gegenstand zwischen den Beinen hat?
Genau, ja (lacht), das wollte ich jetzt nicht so explizit sagen. Beim Skateboard gibt es da kein Problem, da gibt’s keine kulturellen Regeln, und wir versuchen auch, das weiterhin neutral zu halten. Zum Skaten tragen die Kids gesponserte Helme und Knieschoner, das sieht schon westlich aus, aber auch wir als Lehrerinnen haben Kopftücher auf und Hemden an, die über den Hintern gehen, wir versuchen, uns angepasst anzuziehen. Wir geben den Kindern auch keine gesponserten Klamotten, sondern wollen, dass die Kids eine eigene afghanische Skater-Identität entwickeln, eine afghanische Skaterszene oder Jugendkultur. So etwas gibt’s hier bisher gar nicht.
Kann man denn mit einer Burka Halfpipe fahren?
Was wir da tragen, ist ja keine Burka. Wir haben nur so Tücher. Burkas sind echt bescheuert, darin sieht man nicht so viel. Aber Lisa, die hier vor ein paar Monaten war, hat aus Spaß mal Kickflips und Ollis mit einer Burka gemacht, und das geht! Ich kann das bezeugen. Aber von uns fährt niemand mit einer Burka Skateboard. Ich habe ja auch mein Gesicht nicht verschleiert, sondern nur einen Schal an.
Und die Kinder, wollen die nicht lieber Airwalks oder Homeboy-Pullis anziehen?
Solche Klamotten gibt es hier normalerweise nicht. Turnschuhe gibt’s schon, aber keine Airwalks oder so. Teilweise tragen die Leute hier schon Jeans, aber vielleicht 70 Prozent tragen traditionelle Kleider. Der Rest hat westliche Sachen an, aber eher Klamotten, wie wir sie in den Achtzigern getragen haben (lacht).
Haben die Afghanen Vorbehalte gegen Skaten, weil es aus Amerika kommt?
Nein, so etwas habe ich noch nicht gehört, es gibt hier ja zum Beispiel auch Fußball, und viele Afghanen würden auch gern in den Medien etwas westlicher rüberkommen, als sie dargestellt werden. Viele von den gebildeteren Eltern wollen, dass ihre Kinder mit Ausländern in Kontakt kommen. Wir haben auch viele afghanische Jugendliche, die uns hier als Volontäre unterstützen, und die sind sehr engagiert, sie wollen am liebsten Politiker werden, um etwas gegen die Korruption zu tun und sich für den Frieden einzusetzen.
Und wie finden es afghanische Väter, wenn man ihren Töchtern das Skaten beibringen will?
Es kommt vor, dass die Männer meinen, sie müssten die Mädchen schützen, vor allem wenn sie ins Heiratsalter kommen. So ab 13 oder 14 ist es schwierig, die Mädchen in die Schule zu bekommen, weil dann oft die älteren Brüder, die mit den Taliban aufgewachsen und sehr konservativ sind, nicht möchten, dass ihre Schwestern das Haus verlassen. Bei den kleinen Mädchen ist es dagegen überhaupt kein Problem. Wir fangen mit den Fünfjährigen an, von fünf bis zwölf Jahre ist das kein Thema, aber von zwölf bis 17 ist es schwieriger. Wir haben ja girls-only-Tage, und wir haben am Zaun einen Sichtschutz angebracht, damit man nicht ins Gebäude sehen kann. Wir haben auch zwei Wächter vor dem Haus, die aufpassen, damit keine Fremden hineingehen. So können wir Vertrauen aufbauen, und im Moment haben wir wieder ein paar Mädchen hinzubekommen.
Selbstbestimmtes Leben scheint hier für junge Frauen ja nicht alltäglich zu sein. Wie ist das für dich, wenn du als Frau in Kabul auf der Straße skatest?
Sobald ich aus der Haustür gehe, setze ich ein Kopftuch auf. Aber die Straßen sind auch nicht so toll zum Skaten.
Weil es nicht genug Asphalt gibt?
Genau, die Hauptstraßen sind schon geteert, aber die anderen Straßen bestehen aus Schlaglöchern und Matsch. Es gibt ein paar Orte, an denen man skaten kann. Hier gibt es viele Berge, und da gibt es einen, von dem eine schöne Straße hinuntergeht, da kann man gut abfahren.
Hast du auf den Straßen von Kabul manchmal Angst?
Nö (lacht). Ich hatte Angst, als ich hergekommen bin, vom Frankfurter Flughafen bis hierher habe ich mich gefragt, was mache ich hier eigentlich, weil in den Medien ja fast jeden Tag über Bombenanschläge in Kabul berichtet wird. Aber seitdem ich hier bin, hatte ich eigentlich nie Angst, auch weil es viele sehr gastfreundliche Afghanen gibt, die sich total nett um uns Ausländer kümmern. In den Medien erfährt man ja immer eher von den weniger netten Afghanen, aber mit denen habe ich bisher zum Glück keine Erfahrungen machen müssen.