Die geheimen Verhandlungen über das »Anti-Piraterie-Abkommen«

Filesharer bald offline

Seit einigen Jahren wird über ein internationales Abkommen zur Bekämpfung von Internet-Piraterie verhandelt. Die Öffentlichkeit erfährt davon nicht viel. Nun ist ein erster Entwurf durchgesickert. Bürgerrechtler und Datenschützer äußern sich immer besorgter über diesen Versuch, das Internet zu reglementieren.

Nach dreimaligem Verstoß gegen das Urheberrecht im Internet könnte betroffenen Usern der Breitband-Anschluss gekappt werden. Zur Verhinderung von »Piraterie« könnten »automatische Netzfilter« eingesetzt werden. Wer diese Umleitungen mittels leicht zu bewerkstelligender Konfiguration des Internet-Browsers zu umgehen versucht, riskiert ebenfalls die Verbannung in den Offline-Bereich. So ähnlich könnten Passagen des internationalen »Anti-Piraterie-Abkommens« lauten, das bis Ende dieses Jahres verhandelt werden soll.

Über das Anti-Counterfeiting Trade Agreement, besser bekannt als Acta-Abkommen, beraten seit 2006 Vertreter der Regierungen aus Australien, Japan, Kanada, Korea, Mexiko, Marokko, Neuseeland, Singapur, der Schweiz, den USA und der Europäischen Union. Verhandelt wird dabei unter Ausschluss der Öffentlichkeit über die Bekämpfung von Produktpiraterie und die Verletzungen des Urheberrechts.
Durch das Acta-Abkommen soll neben dem Internet auch der internationale Handel mit gefälschten Produkten kontrolliert und eingedämmt werden. Vor allem die USA, die das geplante Abkommen angestoßen haben, aber auch die EU bestehen auf Verhandlungen hinter verschlossenen Türen. Diese Geheimniskrämerei verärgert Bürgerrechtsorganisationen, Datenschützer, Netzaktivisten und Juristen. Kritisiert wird dabei nicht nur die fehlende Transparenz. Auf Kritik stößt auch der erneute Vorstoß, das Internet zu reglementieren. In einem offenen Brief warnen zahlreiche Bürgerrechts- und Verbraucherschutzorganisationen vor einer »Gefahr für die freie Meinungsäußerung im Internet« und vermissen eine demokratische Debatte. Die Unterzeichner zeigen sich beunruhigt, dass US-Medienkonzerne nach Verpflichtung zur
Verschwiegenheit Einblick in die Dokumente nehmen können, während Europa-Parlamentarier keinen Zugang zu den Verhandlungspapieren hätten.
Nach der jüngsten Verhandlungsrunde im mexikanischen Guadalajara bemühten sich die teilnehmenden Vertreter der EU und sieben ihrer Mitgliedsstaaten um Beschwichtigung in der Debatte. Nach deren Angaben sei es beispielsweise nicht geplant, Datenträger oder MP3-Player am Zoll auf nicht lizenzierten Inhalt zu prüfen. Die scheidende EU-Handelskommissarin Benita Ferrero-Waldner erklärte, das Acta würde die in der EU garantierten Grundrechte, darunter den Datenschutz, berücksichtigen. Die EU habe nicht die Verbraucher im Visier, sondern »illegale Aktivitäten«, die von »kriminellen Organisationen« begangen würden.
In früheren Papieren der EU war nur von Verhandlungen über »kriminelle Handlungen« im Internet die Rede, jetzt spricht Ferrero-Waldner von »illegalen Aktivitäten«. Damit plaudert sie womöglich versehentlich aus, dass im Rahmen des Acta-Abkommens sowohl über strafrechtliche als auch über zivilrechtliche Ahndung verhandelt wird. Die ehemalige Handelskommissarin sieht in den Urheberrechtsverletzungen einen »verheerenden Einfluss auf Wachstum und Beschäftigung in Europa«, die nicht nur »schädlich für die Gesundheit« seien, sondern auch die Sicherheit gefährden könnten. Auch in den USA rückt die Verletzung von Urheber-, Patent- und Markenrechten immer mehr in den Bereich der organisierten Kriminalität, dadurch fallen ermittelnden Behörden eine Reihe erweiterter Kompetenzen zu. Das US-Justizministerium hat Anfang des Monats eine Taskforce für geistiges Eigentum ins Leben gerufen, welche die Zusammenarbeit nationaler und internationaler Polizeibehörden koordinieren soll. Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht die Aufdeckung von »Verbindungen zwischen Straftaten im Bereich des geistigen Eigentums und des organisierten Verbrechens«.
Zwar sind der Verlauf und die Ergebnisse der Gespräche über das Acta-Abkommen nicht öffentlich, immerhin ist aber die Tagesordnung des Treffens in Mexiko durchgesickert. Demnach wurde dort tatsächlich über die sogenannte Three-Strikes-Regelung zur Abschaltung vom Internet diskutiert, wie sie beispielsweise die französische und die spanische Regierung einführen wollen. Auch die Internet Service Provider könnten für die Verstöße, die von ihren Kunden begangen werden, haftbar gemacht werden, wenn sie den Datenverkehr nicht überwachen oder den Inter­netanschluss nach wiederholten Verstößen nicht stilllegen. Dies würde auch Handelsplattformen und Online-Auktionshäuser betreffen. Der Bund der Deutschen Industrie drängt indes darauf, Urheberrechtsverletzungen mit »physischem Diebstahl« gleichzusetzen. Dem Kappen des Netzzugangs soll gemäß Ferrero-Waldner allerdings ein »faires und unparteiliches Verfahren« vorausgehen, was wiederum darauf schließen lässt, dass es, trotz anders lautender Beteuerungen, um die Verfolgung des Betreibens und Nutzens von Filesharing-Netzwerken gehen könnte. Ein »EU-Unterhändler«, der seinen Namen nicht gedruckt sehen möchte, betont, dass Internetsperren mit dem EU-Recht vereinbar seien, solange sie in »rechtstaatliche Verfahren« eingebettet würden. Wie Ferrero-Waldner spricht er allerdings nicht von einem »Rechtsweg«.

Die Positionen der EU-Administration zum Thema Urheberrechtsverletzungen stoßen auch intern auf Kritik, etwa durch die neu geschaffenen Kommission für Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft. »Produktfälschung ist nicht Downloaden«, differenziert die zuständige schwedische Kommissarin Viviane Reding und fordert, Datenschutz müsse Priorität haben, »auch wenn es um die Strafverfolgung und die Verhinderung von Kriminalität geht«. In ihrer früheren Funktion als Medienkommissarin der EU hatte sich Reding gegen die Aushöhlung von Bürgerrechten stark gemacht und dafür gesorgt, dass Netzsperren gegen Urheberrechtsverletzer, die von Mitgliedsstaaten der EU verhängt wurden, nicht ohne richterlichen Beschluss durchgesetzt werden dürfen.
In Sachen Transparenz ist vom neuen Handelskommissar der EU, Karel de Gucht, hingegen wenig zu erwarten. Die »Spielregeln« könnten »nicht während der laufenden Verhandlungen« geändert werden, sagte de Gucht im Hinblick auf die Forderungen des Europäischen Parlaments, das nach Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags erweiterte Anhörungs- und Mitbestimmungsrechte erhält. Die Parlamentarier wollen uneingeschränkten Zugang zu den Entwürfen und Protokollen rund um das Acta-Abkommen, was der Handelskommissar jedoch ablehnt. Damit will sich das Parlament nicht abspeisen lassen und bereitet unterdessen eine Anhörung vor. Dort soll endgültig geklärt werden, in welcher Weise die Politiker bis zur neuen Verhandlungsrunde im April in Neuseeland einbezogen werden.
Die Parlamentarier haben vermutlich aus den schlechten Erfahrungen gelernt, die sie anlässlich der nur knapp verhinderten Verabschiedung des sogenannten Swift-Abkommens gemacht haben. Der Vertrag hätte eine endgültige Regelung bereitstellen sollen, um Daten aus internationalen Finanztransaktionen des belgischen Dienstleisters Swift an das »Department für Homeland Security« in den USA zu übermitteln. Das Parlament und die zuständigen Ausschüsse hatten über Monate hinweg ablehnende Stellungnahmen und Resolutionen verfasst. Die Verhandlungen über das Swift-Abkommen wurden damit zu einer ersten Kraftprobe zwischen dem Parlament, der Kommission und dem Europa-Rat nach den neuen Regeln des Lissabon-Vertrags. Die Innenminister der EU und der Europa-Rat schlugen zur Beschwichtigung vor, zunächst ein »Übergangsabkommen« abzuschließen und die Unstimmigkeiten in einem späteren, endgültigen Vertrag auszuhandeln. Vor zwei Wochen lehnte das Parlament mit großer Mehrheit auch diese vorläufige Regelung ab. Bemängelt wurden fehlende verbindliche Datenschutzregelungen mit den USA, zudem wandten sich die Parlamentarier gegen das sogenannte Data Mining, den Abgleich der übermittelten Daten mit Einträgen in US-Datenbanken. Die amerikanischen Polizeibehörden hätten mit dem geplanten Abkommen auch Zugriff auf Transaktionsdaten von Konto­inhabern, gegen die kein strafrechtlicher Anfangsverdacht besteht.