Die Arbeitsbedingungen von Migranten in den EU-Ländern – Großbritannien

Amnesty now!

Nachdem die britische Generalstaatsanwältin in die Kritik geraten ist, weil sie eine illegale Migrantin als Haushaltshilfe beschäftigt hat, fordern Londons Politiker eine Amnestie für illegale Migranten. Die Regierung Großbritanniens ist dagegen.

Loloahi Tapuis Einstellungsgespräch dauerte nur zehn Minuten. »Kannst du sofort anfangen?« fragte ihre Arbeitgeberin, und Tapui bejahte. Damit begann die gebürtige Tongalesin ihren Job als Haushaltshilfe für sechs Pfund die Stunde im Londoner Haus ihrer neuen Chefin. Der hatte Loloahi Tapui einige Dokumente gezeigt, eine Sozialversicherungsnummer und eine alte Lohnsteuerbescheinigung. Doch waren diese Dokumente ungültig, Tapui hatte keine Arbeitsberechtigung in Großbritannien. Fünf Jahre zuvor war sie mit einem Studentenvisum eingereist, das Visum war zum Zeitpunkt ihrer Einstellung längst abgelaufen. Tapui war illegal. Ihre Geschichte ist alles andere als ungewöhnlich. Nach Schätzungen der London School of Economics (LSE) lebten 2009 rund 614 000 Migranten ohne legalen Aufenthaltsstatus in Großbritannien, zwei Drittel davon im Großraum London.
Dass Tapuis Fall im vergangenen Herbst Schlagzeilen machte, liegt an der Prominenz ihrer Chefin. Baroness Scotland ist die britische Generalstaatsanwältin und seit langem eine führende Politikerin der Labour Party. Sie sitzt im britischen Oberhaus und hat das 2006 verabschiedete Immigrations-, Nationalitäts- und Asyl-Gesetz maßgeblich ausgearbeitet. Das Gesetz zielte auf die Eindämmung der irregulären Immigration und machte die Beschäftigung von Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigung zu einem Vergehen, das mit Geld und Gefängnisstrafen geahndet werden kann. Arbeitgeber müssen demnach sicherstellen, dass ihre Beschäftigten eine Arbeitserlaubnis haben, und Kopien der relevanten Dokumente anfertigen. Baroness Scotland tat dies nicht. Im September vorigen Jahres wurde sie deshalb zu 5 000 Pfund Geldstrafe verurteilt. Anders als ihre ehemalige Haushaltshilfe verlor sie allerdings weder ihren Job noch wurde sie verhaftet. Ihr Arbeitgeber, Premierminister Gordon Brown, verteidigte die Politikerin: Sie sei von ihrer Angestellten getäuscht worden und habe sich außer einer gewissen Unachtsamkeit nichts zu Schulden kommen lassen.
Selten treten die Widersprüche der britischen Migrationspolitik so offen zu Tage wie in diesem Fall. Doch wie die Studie der LSE zeigte, leisten irreguläre Migranten insbesondere im Großraum London einen bedeutenden Teil der Arbeitskraft und sind aus dem Wirtschaftsleben der Metropole nicht wegzudenken. Beschäftigt sind sie meist im Dienstleistungsbereich, etwa als Haushaltshilfen, in der Kinder- und Altenpflege, in der Gastronomie, im Handwerk, in der Sexarbeit. Wegen ihres prekären Status sind sie gezwungen, ihre Dienstleistungen für Niedriglöhne anzubieten, die oft unter dem britischen Mindestlohn liegen.
Mittlerweile werden die wirtschaftliche Bedeutung der Migranten und die Notwendigkeit, ihren rechtlichen Status zu verbessern, auch von führenden Londoner Politikern anerkannt. Im Londoner Bürgermeisterwahlkampf 2008 setzten sich alle Kandidaten, einschließlich des konservativen Wahlsiegers Boris Johnson, für eine Amnestie für irreguläre Migranten ein. Nach seiner Amtsübernahme hatte Johnson die LSE gebeten, die wirtschaftlichen Folgen einer Amnestie zu evaluieren. Der Studie zufolge würde das britische Bruttosozialprodukt um drei Milliarden Pfund wachsen, wenn die Mehrheit der Migranten ohne Papiere legalisiert würde. Doch die Labour-Regierung lehnt dies ab. Damit würde man die Attraktivität der Insel für Migranten erhöhen, sagt Phil Woolas, Staatsekretär für Immigration.
Aber der politische Druck für eine Amnestie steigt. Die Kampagne »Strangers into Citizens«, in der sich auch illegalisierte Migranten engagieren, will die Politiker zum Umdenken zu bewegen. Ein Sechstel der britischen Parlamentsabgeordneten sowie eine Reihe von Städten und Gemeinden haben inzwischen ihre Unterstützung für ein Legalisierungsgesetz erklärt. Der Fall Loloahi Tapuis dürfte hierzu beigetragen haben. Aber ihre Geschichte brachte nicht nur die Doppelmoral der Regierungspolitik zum Vorschein. Tapui konnte auch ihr mageres Einkommen verbessern. Mit der Mail on Sunday handelte sie eine fünfstellige Summe für die Exklusivrechte an ihrer Geschichte aus, wie der Guardian berichtete.