Allein, zu zweit oder mit vielen Menschen wohnen?

Zu zweit alleine fertig werden

Zusammenwohnen und zusammenleben lassen sich nicht trennen. Am besten ist’s mit dem zusammen, mit dem man zusammen ist.

In den Augen von Dr. Mahmud spiegelt sich Unverständnis. Der junge Arzt aus Saudi-Arabien, der mir als Sprachpartner vermittelt wurde, besucht mich gerade zum ersten Mal. Soeben musste er feststellen, dass meine Lebenspartnerin und ich getrennte Zimmer bezogen haben. Zuvor hat er mich mit Kochschürze am Eingang angetroffen. Bedient wird er an diesem Abend auch von mir. Der Mann mit einem Dutzend Namen kann sein Missfallen über diese Rollenperformance nicht verbergen. Aber was lässt sich von jemandem erwarten, der es für ein Privileg der Herrschenden hält, über Politik zu reden. Dr. Mahmud, beschließe ich, taugt weder als Sprachpartner noch als Gast. Sein Bier hat er ja auch schal werden lassen.
Auch im Bekanntenkreis ernte ich Stirnrunzeln. Ob das Zusammenwohnen als Paar nicht etwas konservativ sei, werde ich oft verunsichert gefragt. Und spätestens wenn ich ergänze, es handele sich um eine eheliche Wohngemeinschaft, kann ich ein Urteil erwarten. Schnell stehe ich unter dem Verdacht, bürgerliche Wertvorstellungen oder ein überholtes Beziehungsmodell zu pflegen.

Ich befinde mich zwischen den Fronten. Meine linken Gesellen bilden unfreiwillig eine Allianz mit meiner Großmutter. Die überzeugte Küchengenerälin nämlich missbilligt auch die Form meiner Partnerschaft – von konservativer Seite, wie Dr. Mahmud. Ohne Zweifel, die Form des Wohnens ist nicht von der Frage nach Beziehungskonzepten zu trennen.
Für Wohnprojekte hatte ich mich nie richtig erwärmen können. Wenn schon im Dreck leben, dann doch bitte in meinem eigenen, dachte ich mir und übte mich in der Kunst des Alleinewohnens. Meine Beobachtungen und die Erfahrungen meiner Bekannten bestätigten mich in meinem Bild von Wohnprojekten als Orten der Verrohung und des Zanks. Zweierhaushalte wiederum, so musste ich mit der Zeit feststellen, scheinen eine ideale Partition für Wohngemeinschaften zu sein: überschaubare Konfliktpotentiale, die Unmöglichkeit einer Fraktionsbildung, keine komplizierte Küchenpolitik, eine leicht zu organisierende Aufgabenverteilung und – natürlich – minimales Dreckaufkommen. Ich glaube sogar behaupten zu können, dass Zweier-WGs eine Tendenz innewohnt, zwischenmenschliche Verhältnisse zu verzärteln. Sie sind häufig Orte der Innigkeit. Fast alle mir bekannten Wohnduos wirken auf mich wie ein altes Ehepaar – ohne dass sie den Widrigkeiten einer Partnerschaft ausgesetzt wären.

Mit denen muss ich wiederum zurechtkommen, seit ich meinen eigenen 40-Quadratmeter-Palast aufgegeben und die eheliche Wohngemeinschaft bezogen habe. Das monogame Zusammenleben erfordert Weitblick. Es gibt gewissermaßen eine Metaphysik der Liebe. Nur wer ihre Gesetze erkennt, kann die richtigen Regelungen für den Alltag treffen, um langfristig Ermüdungserscheinungen zu vermeiden. Mein Geheimrezept lautet: Distanz. Denn Epikurs Gebot des maßvollen Genusses gilt auch für Beziehungen. Deswegen bin ich auch ein glühender Verfechter der Fernbeziehung. Da ich die aber nicht mehr habe, müssen wir die Distanz eben simulieren. Meine Frau und ich unterhalten deswegen auch keinen Gemeinschaftsraum. Wir haben unsere eigenen Zimmer, in denen wir uns abwechselnd besuchen und aus denen wir häufig miteinander telefonieren, ganz so, als seien wir jeweils allein zuhause. Häufig fahren wir getrennt weg, um ein wenig Abstand zu haben. Selbst in die Flitterwochen sind wir separat gefahren.

Eine eheliche Wohngemeinschaft wie die unsrige ist das vollendete Kollektiv. Nicht nur so ein real existierendes wie in linken Wohnprojekten. Dort wird zwar kollektiv der Notstand verwaltet und kollektiv gestritten, aber eben auch kollektiv individualisiert, wenn jeder doch sein eigener Gesellschafter bleibt. Wir dagegen haben unsere Leben in einen Topf geworfen, teilen unsere Arbeiten, unser Geld, unsere Risiken. Verbindlichkeit ist nicht nur moralisch, sondern materiell und handfest. Die eheliche Wohngemeinschaft, zumindest die unsrige, ist der Kommunismus.