Pilotengewerkschaft Cockpit und das Recht auf Streik

Meuterei in der Boeing

Im Konflikt der Pilotengewerkschaft Cockpit mit der Lufthansa geht es nicht nur um Lohnpolitik, sondern grundlegend um das Recht auf Streik.

Arbeitskämpfe sind in Deutschland schon länger nicht mehr nur Sache des DGB. Obwohl dieser den Verlust seiner Platzhirschposition mit einer Schwächung der Arbeitnehmer gleichsetzt, scheinen die Arbeitgeber in helle Aufregungen versetzt. Als das Bundesarbeitsgericht im Januar verkündete, den »Grundsatz der Tarifeinheit« aufgeben zu wollen, zeigten sich zahlreiche Unternehmervertreter beunruhigt wegen der zu erwartenden Stärkung der Spartengewerkschaften. Die Arbeitsbeziehungen würden durch mehr Tarifpluralität außer Kontrolle geraten und Dauerstreiks die Betriebe lähmen. Was derzeit bei der Lufthansa passiert, ist der Wirklichkeit gewordene Alptraum der Arbeitgeber. Mit Verdi (Bodenpersonal) und Ufo (Flugbegleiter) drohen derzeit zwei Gewerkschaften mit Streiks. Mit der Pilotenvereinigung Cockpit befindet sich der Konzern bereits im handfesten Konflikt. Um die unbequemen Luftschiffer in die Schranken zu weisen, zieht die Lufthansa nunmehr alle Register.

Glaubt man den gängigen Darstellungen in den Medien, war Cockpit zuletzt in eskalierenden Situationen mehrfach zum Einlenken bereit, wie vorige Woche, als sie ihre Bereitschaft zu einem Schlichtungsverfahren kundtat. Das stimmt nur zum Teil. Denn Cockpits Kompromissbereitschaft ist zu einem guten Stück erzwungen. Als die Piloten bereits Mitte Februar in den Streik traten, versuchte Lufthansa, eine einstweilige Verfügung gegen den Streik zu erwirken, und drohte gleichzeitig mit einer Schadensersatzklage in Millionenhöhe. Die »Einigung« vor Gericht, an den Verhandlungstisch zurückzukehren, war relativ alternativlos für Cockpit in Anbetracht des Risikos, bei festgestellter Unverhältnismäßigkeit des Streiks rechtlich in die Mangel genommen zu werden. Die anwaltliche Vertretung der Lufthansa drückte sich da schon präziser aus. In einer Pressemitteilung rühmte sich die Kanzlei Lovells, die Piloten nach nur einem Tag Streik »gestoppt« zu haben.
Das passt zum deutschen Streikrecht, dessen rigide Grenzen zuletzt offensichtlich geworden sind. Ganz besonders gilt dies für die Gewerkschaften jenseits des DGB. Dabei finden die Arbeitgeber in den einstweiligen Verfügungen ein effektives Instrument, um gegen jene vorzugehen. Zudem verbergen sich hinter solchen Manövern offenbar Anwälte, die sich fast schon auf das »Union Busting« spezialisiert haben. Denn mit Lovells greift die Lufthansa auf eine Kanzlei zurück, die schon die Lokomotivführer bei der Deutschen Bahn 2007 zwischenzeitlich zu stoppen wusste. Und diese Kanzlei fusioniert im Mai mit Hogan & Hart­son zu einer der Top-Kanzleien der Welt. Hogan & Hartson wiederum vertreten das Berliner Kino Babylon Mitte im Konflikt mit der kleinen Freien ArbeiterInnen-Union, der Ende vorigen Jahres gänzlich Arbeitskampfmaßnahmen untersagt wurden.

Wenn Cockpit derzeit den nächsten Streikanlauf für Mitte März abbremst, dann geschieht das vor diesen juristischen Hintergründen, die es regelrecht ausschließen, die neuerlichen Drohungen der Lufthansa mit Schadensersatzforderungen nicht ernst zu nehmen. Ginge es nach der Lufthansa, würde der Konflikt in Gesprächen bis Ende des Jahres verschleppt werden. Ganz ausbooten lassen möchten sich die Piloten aber nicht und halten sich trotz Bereitschaft zur Schlichtung die Option offen, doch noch in den Streik zu treten. Die Lufthansa wiederum beharrt darauf, dass Cockpit gänzlich von den Streikplänen abrückt.
Zentraler Streitgegenstand ist dabei die Anwendung des Konzerntarifvertrages – eine pikante Angelegenheit. Denn die Lufthansa möchte mit Cockpit nur über Lohnfragen und Arbeitsbedingungen verhandeln. Die Piloten aber bestehen darauf, auch ausländische Konzerntöchter in den Konzerntarif zu integrieren, um ein Lohndumping durch billigere Piloten zu unterbinden. Eben diese Sprengung der nationalen Tarifschranken betrachten die Lufthansa und ihre Anwälte als »keine zulässigen Streikziele«. Sie können sich dabei auf das deutsche Tarifrecht stützen.
Die Piloten leisten insofern Pionierarbeit. Man mag sie für einen berufsegoistischen Klüngel halten, ihre Methode, den Tarif zu internationalisieren, sollte aber Schule machen. In gewisser Weise bieten sie eine Antwort auf die Herausforderungen der Gewerkschaften in der »Globalisierung«, zu deren wesentlichen Erscheinungen das Lohn­dumping in der internationalen Konkurrenz zählt. Die Verteidigung des Rechts auf Streik sollte ohnehin für alle Gewerkschafter von höchster Priorität sein.