Wahlen im Sudan. Bürgerkrieg in Sicht

Der Präsident mag keinen Arak

Weil bereits bei den Vorbereitungen manipuliert wurde, wollen die meisten sudanesischen Oppositionsgruppen die Wahlen boykottieren. Dennoch hofft Präsident Omar al-Bashir, sich eine demokratische Legitimation für den kommenden Konflikt mit der SPLA verschaffen zu können.

Zunächst werden Datteln und Backpulver mit Wasser in einem Behälter vermischt, der für einige Tage vergraben wird. Anschließend muss das Gebräu erhitzt und gefiltert, mit Wasser verdünnt und in Flaschen oder Kanister abgefüllt werden. Dann wird es auf den Straßen Khartoums und der umliegenden Flüchtlingslager verkauft. Aragi, der Arak der armen Leute, wird überwiegend von Frauen hergestellt und verkauft, die oft alleinstehend sind und keine Chance auf einen Job haben. Es ist ein gefährliches Geschäft, etwa 90 Prozent der Frauen, die im Gefängnis von Omdurman einsitzen, wurden wegen Handels mit Alkohol verurteilt.
Viele Verkäuferinnen und Konsumenten stammen aus dem überwiegend christlichen und animistischen Süden des Landes, doch auch Muslime verschmähen Arak und Marisa, die sudanesische Variante des Biers, nicht. Die strikte Durchsetzung des Alkoholverbots ist keine »islamische Tradition«, es handelte es sich um eine Maßnahme, mit der Präsident Gafar al-Nimeiri im Jahr 1983 seine Herrschaft sichern wollte. Zwei Jahre später wurde er gestürzt.
Je penetranter ein arabischer Staatschef frömmelt, desto größer sind seine innenpolitischen Probleme. Am 11. April sollen die Wahlen beginnen, und der derzeit regierende Präsident Omar al-Bashir ist nicht sonderlich populär. Ende März verschärfte er das Alkoholverbot in der Hauptstadt Khartoum noch einmal, fortan ist auch der Konsum verboten. Doch ist Bashirs Maßnahme auch ein weiteres Zeichen dafür, dass der Präsident einen Krieg mit der Sudan People’s Liberation Army (SPLA) provozieren will.

Die Einführung der Sharia im Jahr 1983 war der Anlass für die Eskalation der Kämpfe mit der SPLA, denn die vom muslimischen Norden geführte Regierung hatte klargestellt, dass sie zu Kompromissen mit den Bewohnern des Südens nicht bereit war. Der Bürgerkrieg endete 22 Jahre später mit dem Comprehensive Peace Agreement, seitdem teilen sich die muslimischen Militärherrscher des Nordens die Ministerposten und die Öleinnahmen mit der SPLA.
Die Sharia gilt im Süden nicht mehr, doch der Friedensvertrag sah auch eine Kommission vor, die die Rechte der nichtmuslimischen Einwohner Khartoums wahren sollte. Die Verschärfung des Alkoholverbots ist daher ein Verstoß gegen das Abkommen und ein weiterer Affront gegen die Südsudanesen, die mit administrativen Schikanen aus der Hauptstadt vertrieben werden. Auch bei der Aufteilung der Öleinnahmen scheint Bashir zu schummeln, die NGO Global Witness stellte im vergangenen Jahr fest, dass es »Diskrepanzen« zwischen den Angaben der Regierung und denen der chinesischen Importeure über die Fördermenge gibt.
Für das kommende Jahr sieht das Friedensabkommen ein Referendum über die Unabhängigkeit des Südsudan vor. Wenn Bashir sich an die Regeln hält, muss sein Regime auf fast 95 Prozent der Export- und knapp 60 Prozent der Staatseinnahmen verzichten. Denn fast alle Ölvorkommen befinden sich im Süden des Landes. Dem Konzern BP zufolge verfügt der Sudan über »nachgewiesene« Ölreserven von mehr als 6,6 Milliarden Barrel, andere Schätzungen beziffern die Menge auf fünf Milliarden Barrel. Sicher ist jedoch, dass seit dem Abschluss des Friedensabkommens bedeutende Vorkommen entdeckt wurden, und zwar im Süden des Landes. Noch im Jahr 2006 gab das sudanesische Energieministerium die Ölmenge mit drei Milliarden Barrel an. Legt man den derzeitigen Preis von 75 Dollar pro Barrel zugrunde, ist der Wert des Südsudan um mindestens 150 Milliarden Dollar gestiegen.
Um einen sagenhaften Reichtum handelt es sich nicht, die Ölreserven des kleinen Emirats Kuwait etwa werden auf über 100 Milliarden Barrel geschätzt. Auch müssen die Förder- und Transportkosten sowie die Profitanteile der Konzerne abgezogen werden. Doch auf dem Öl basiert die Macht der Oligarchie. Man muss daher schon sehr naiv sein, um zu glauben, dass die islamistischen Generäle und die Oligarchie des Nordens sich einfach so von den Ölquellen trennen werden, nur weil die Bevölkerungsmehrheit im Süden sich für die Unabhängigkeit entscheidet.
Bereits im vergangenen Jahr wurden nach Angaben Giovanni Boscos, des Leiters des UN-Büros für die Koordination humanitärer Angelegenheiten im Südsudan, 2 500 Menschen getötet und 350 000 vertrieben. »Jetzt gibt es keine Gefechte mehr, sondern regelrechte Massaker, und viele Opfer sind Frauen und Kinder«, sagte Bosco. Das Regime scheint nach dem gleichen Muster vorzugehen wie in Darfur und Milizen zu unterstützen. Eine weitere Eskalation könnte den Vorwand für einen Einsatz der regulären Armee schaffen, spätestens dann dürfte auch die SPLA ihre Guerilleros wieder in den Kampf schicken.
Aus der Sicht Bashirs wäre es wohl unklug, das Referendum abzuwarten, da es den Separatisten eine demokratische Legitimation verschaffen würde. Zwar ist auch die SPLA nicht sonderlich populär, von den sechs Milliarden Dollar, die sie als Anteil an den Öleinnahmen erhielt, hat die Bevölkerung nicht viel gesehen. Aber die religiöse und rassistische Diskriminierung der schwarzen Südsudanesen, die Vernachlässigung des Südens in der Entwicklungspolitik und die Hoffnung, doch noch vom Ölexport profitieren zu können, dürften genügen, um eine Mehrheit für die Unabhängigkeit zu sichern.

Dass nun Wahlen stattfinden sollen, zu denen Oppositionsparteien zugelassen sind, dürften die Sudanesen vor allem dem Wunsch Bashirs zu verdanken haben, sich vor der Eskalation eine demokratische Legitimation zu verschaffen. Immerhin liegt gegen den Präsidenten ein Haftbefehl vor, ausgestellt vom Internationalen Strafgerichtshof (ICC) im März vergangenen Jahres. Er soll sich wegen Genozids, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit vor dem Gericht verantworten.
Bashir hat seitdem einen Auslandsbesuch nach dem anderen absolviert. Die Afrikanische Union, die Arabische Liga und die Organisation der Islamischen Konferenz erkennen den Haftbefehl nicht an. Ein Wahlsieg hätte zwar keine juristische Bedeutung, würde aber Bashirs Position stärken. Ohnehin haben auch die westlichen Regierungen keinerlei Anstengungen unternommen, um dem Haftbefehl Geltung zu verschaffen. Scott Gration, der US-Gesandte im Sudan, forderte Mitte März, Bashir solle für den ICC »ansprechbar« sein. Zu erwarten seien im April zwar Wahlen mit Mängeln, die aber dennoch »den Willen des Volkes wiederspiegeln« könnten. Auch Ibrahim Gambari, der UN-Repräsentant der in Darfur stationierten internationalen Truppen, erwartet trotz des »mangelhaften Umfelds« bei den Wahlen eine Verbesserung der politischen Lage.
Weniger optimistisch ist die sudanesische Opposition. Yasir Aman, der für das Sudan People’s Liberation Movement, die Partei der SPLA, bei den Präsidentschaftswahlen antreten wollte, zog seine Kandidatur am Mittwoch der vergangenen Woche zurück. Der Wahlprozess sei »manipuliert«, sagte Aman, dennoch will seine Partei an den Parlaments- und Kommunalwahlen im Süden teilnehmen. Die meisten Oppositionsparteien des Nordens entschieden sich für einen allgemeinen Boykott, da die »minimalen Bedingungen« für freie und faire Wahlen nicht gewährleistet seien. Die Opposition fordert, die Wahlen zu verschieben und die »repressiven Sicherheitsmaßnahmen« aufzuheben. Einige westliche Wahlbeobachter unterstützten diese Forderung, Bashir drohte umgehend, sie auszuweisen, und kündigte an, ein Boykott der Wahlen werde Konsequenzen für das Referendum über die Unabhängigkeit haben.

Es gibt wenige Gründe, Bashir zu wählen. Auch die Bevölkerung des Nordens profitiert kaum von der Ölwirtschaft, 78 Prozent des Energiebedarfs decken die Sudanesen nach Angaben der International Energy Agency mit Biomasse, also Dung. Einen reaktionären Islam propagieren auch Parteien der zivilen Oligarchie wie die Ummah, die überdies gute Verbindungen zu den einflussreichen islamischen Bruderschaften haben. Da die nationalreligiöse Propaganda, die Bashir als tapferen Streiter gegen imperialistische Kreuzzügler darstellt, nicht genügen dürfte, um eine ausreichende Zahl von Sudanesen zu begeistern, hat das Regime, das die Wahlkommission kontrolliert, frühzeitig nachgeholfen.
Unregelmäßigkeiten gab es bereits bei der Wählerregistrierung, die Stimmzettel werden ausschließlich in Arabisch und von einer Firma gedruckt, die Mitgliedern der Regierungspartei NCP gehört. Die meisten Medien kontrolliert das Regime. Human Rights Watch weist darauf hin, dass Oppositionelle weiterhin verfolgt werden, auch von der SPLA. Die Herrscher des Südsudan könnten ebenfalls versuchen, die Wahlen zu manipulieren. Sie scheinen daran interessiert zu sein, sich in den von ihnen kontrollierten Gebieten, mit welchen Mitteln auch immer, eine demokratische Legitimation zu verschaffen, um für den Kampf um die Unabhängigkeit gerüstet zu sein.
Bashir wird sich wohl nicht auf Reformen einlassen, sondern am Wahltermin festhalten und mangels eines Gegenkandidaten sein Amt behalten. Die Afrikanische Union, die Arabische Liga und die Organisation der Islamischen Konferenz werden seinen Wahlsieg wahrscheinlich anerkennen, und auch aus dem Westen ist kaum Widerspruch zu erwarten. Bereits das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen in Afghanistan war im vergangenen Jahr ungeachtet zahlreicher Betrügereien von der »internationalen Gemeinschaft« akzeptiert worden. Nun scheint es sich einzubürgern, dass selbst die dreistesten Manipulationen hingenommen werden.
Dass die Konfliktlösung in Bürgerkriegsgebieten die Akzeptanz auch noch des dubiosesten Generals und Warlords erfordert, ist Konsens in der »internationalen Gemeinschaft«. Diese autoritäre Strategie isoliert demokratische Gruppen und soziale Bewegungen, die allein die Voraussetzungen für den Frieden schaffen könnten. Während der US-Gesandte Scott Gration nun zu vermitteln versucht, bereiten sich die Kontrahenten auf die kommenden Kämpfe vor. Denn die Frage ist nicht, ob es Krieg geben wird, sondern wann.