Die zunehmende Kriminalisierung von Abtreibungen in Mexiko

Die Allianz schlägt zurück

In Mexiko-Stadt ist eine Abtreibung in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen ­legal. Die katholische Kirche und die Regierungspartei Pan wollen diese Regelung aufheben. In 18 Bundesstaaten haben sie bereits durchgesetzt, dass Abtreibung als Mord bestraft werden kann.

Patricia* hat voriges Jahr abgetrieben. »Ich will meinen Doktor machen, vielleicht im Ausland, und ich weiß nicht, ob ich mir eine Familie mit meinem gegenwärtigen Freund vorstellen kann. Generell kann ich gar nicht mit Sicherheit sagen, ob ich Kinder haben möchte. Als der Bluttest beim Frauenarzt positiv ausfiel, wusste ich sofort, ich will das Kind nicht. Ich konnte augenblicklich in eine Klinik gehen. Zwei Stunden später war alles vorbei. Das war eine große Erleichterung für mich, dass alles so schnell und unkompliziert verlief.«
Seit drei Jahren gilt in Mexiko-Stadt die Fristenlösung, sie wurde nach heftigen Debatten vom Parlament der Hauptstadt verabschiedet, die als Bundesbezirk Autonomierechte genießt (Jungle World, 18/07). Patricia ist eine der insgesamt fast 38 000 Frauen, die nach Angaben der mexika­nischen Gesundheitsbehörde seitdem einen Schwanger­schaftsabbruch durchführen ließen. Bis zur zwölften Woche sind Abtreibungen legal und kostenfrei, die Frauen müssen keine Begründung angeben.
In Mexiko wurde bereits im Jahr 1931 ein Gesetz erlassen, das die Abtreibung nach einer Vergewaltigung ermöglicht. Dieses Gesetz war eine Errungenschaft der frühen feministischen Bewegung, es ging auf die Diskus­sion um die gestiegene Zahl von Schwangerschaften aufgrund von Vergewaltigungen nach der Mexikanischen Revolution zurück. Derzeit sind Mexiko-Stadt, Kuba, Puerto Rico und Guayana die einzigen Gebiete in ganz Lateinamerika, in denen Schwangerschaftsabbrüche nicht kriminalisiert werden.

Nachdem eine Allianz aus katholischer Kirche, rechten Politikern und Neonazis im Jahr 2007 erfolglos gegen die Reform in der progressiven Hauptstadt protestiert hatte, konzentrierte sich die regierende Partei der Nationalen Aktion (Pan) auf das Hinterland. Auf ihre Initiative hin wurde in nunmehr 18 der 31 Bundesstaaten ein »Recht auf Leben vom Moment der Empfängnis an« eingeführt. Frauen können nicht mehr nur für eine Abtreibung bestraft, sondern wegen Mordes angeklagt und zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt werden. In Veracruz sitzen deswegen acht Frauen im Gefängnis, in Puebla sind es bereits rund 30.
Der rechtskonservative Pan hat in den Parlamenten der Bundesstaaten nicht die Mehrheit, sie benötigt die Unterstützung der Partei der institutionalisierten Revolution (Pri), die Mexiko jahrzehntelang regiert hat. Diese war in den acht­ziger Jahren, was Frauenrechte anging, relativ progressiv. Doch nun sind Abtreibungen zum Politikum geworden, und der Pri scheint zu fürchten, dass der Pan bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2012 von der katholischen Kirche unterstützt werden könnte. Die Kirche ist nach wie vor ein sehr wichtiger Machtfaktor im Land. Die Einflussnahme rechter katholischer Organisationen wie Opus Dei stellt den laizisti­schen Staat in Frage, derzeit auch im Hinblick auf gleichgeschlechtliche Partnerschaften.
Die mexikanische Gesellschaft ist gespalten, dem Umfrageinstitut Mitofsky zufolge sprechen sich 49 Prozent der Bevölkerung für die Möglichkeit eines legalen Schwanger­schaftsabbruchs aus, 45 Prozent lehnen eine Entscheidungsfreiheit der Frau ab.
Im Dezember vergangenen Jahres bildete sich ein Bündnis von 90 Nichtregierungsorganisationen und 170 Frauen aus Politik und Wissenschaft, die gemeinsam den »Pakt für das Leben, die Freiheit und die Rechte der Frauen« unterzeichnet haben. Grundlegend ist die Forderung nach dem Selbstbestimmungsrecht der Frau, eine Schwangerschaft fortzusetzen oder abzubrechen. Dies sehen sie in den Artikeln 1 und 4 der Verfassung garantiert, wo unter anderem das Recht auf die Entscheidung über die Anzahl der Kinder festgeschrieben ist.

»Wir fordern den mexikanischen Staat auf, die reproduktiven und gesundheitlichen Rechte der Frauen zu achten und die weltliche Ausrichtung des politischen und rechtlichen Systems nicht einzuschränken«, sagt Oriana López Uribe von der Nichtregierungsorganisation María, dem »Abtreibungsfonds für soziale Gerechtigkeit«. Im Februar hatte der Gouverneur des Bundesstaates Veracruz beim mexikanischen Abgeordne­ten­haus eine Initiative eingereicht, den Artikel 4 der Verfassung zu ändern und damit Abtreibungen im gesamten Land und somit auch in Mexiko-Stadt zu verbieten. »Doch die angestrebte Verfassungsreform hat vielmehr die Abgeordneten darauf gebracht, dass die Verfassung dringend um den Terminus ergänzt werden muss, dass der mexikanische Staat weltlich ist«, sagt Oriana López.
Seit acht Monaten unterstützt die NGO María Frauen, die aus anderen Landesteilen in die Hauptstadt reisen, um dort einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen. Insgesamt lassen den Erhebungen der Nationalen Autonomen Universität Mexikos zufolge in Mexiko jährlich eine Million Frauen eine Abtreibung vornehmen, zumeist illegal. In 14 öffentlichen Kliniken und einem Gesundheitszentrum werden Schwangerschaftsabbrüche angeboten. Bis die Frauen zu einer dieser Kliniken finden, haben sie meistens schon mehrere besucht, die keine Abtreibungen durchführen, ein zeitaufwändiges Unterfangen in der gigantischen Millionenstadt.
»Viele Frauen haben mit Mühe und Not das Geld für die Reise angespart, aber hier angekommen, hungern sie und schlafen auf der Straße«, berichtet Oriana López. »So finden wir viele Frauen ausgehungert vor und versorgen sie mit energie­reicher Kost. Darüber hinaus können wir ihnen eine kostenlose Schlafmöglichkeit in der Umgebung der Klinik anbieten.« Rund 60 Frauen unterstützt die NGO María im Monat. Doch auch wenn die Helferinnen über eine kostenlose Hotline armen Frauen aus ganz Mexiko Reisegeld und Vollpension in der Hauptstadt vermitteln, betonen sie, dass die Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch nicht mit dem Bildungsgrad oder der Gesellschafts­schicht zusammenhängt.

»Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es keinen besonderen Frauentyp gibt, der Abtreibungen vornimmt, und ebensowenig ein vorrangiges Handlungsmotiv. Es gibt 42jährige Reinigungskräfte und 21 Jahre alte Angestellte, die keine Kinder wollen, 13jährige Mädchen, die vergewaltigt wurden, indigene Frauen vom Land, die schon sechs Kinder haben, Frauen mit Universitätsabschluss, Arbeitslose, Ehefrauen, Singles, Migrantinnen. Die Notwendigkeit einer freien Entscheidung, Kinder zu bekommen, ist einfach allgemein vorhanden«, konstatiert Oriana López.
Schwangerschaftsabbrüche sind für die Projektleiterin von María nicht nur ein Thema der öffentlichen Gesundheitsversorgung. »Es geht auch um die Würde von Frauen und um den Respekt, der ihren eigenen Entscheidungen gezollt wird. Frauen müssen die Möglichkeit haben, über ihren Körper selbst zu entscheiden, um kein fremdbestimmtes Leben zu führen.«
Die Gesetzesverschärfungen in Mexiko trügen dazu bei, dass Frauen, die eine Abtreibung vornehmen, gesellschaftlich stigmatisiert werden. »Die sozialen Netzwerke der einzelnen Frauen stehen ihnen wegen der Kriminalisierung nicht mehr zur Verfügung, um moralische, finanzielle oder logistische Unterstützung zu erhalten. Frauen geraten so oft in große Not.«

* Name von der Redaktion geändert