Der Aufstieg als Wille und Vorstellung

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Zu den Besonderheiten der deutschen Sprache gehören die Komposita. Wo sonst gibt es eine Nichtigkeitsabteilung oder ein Flachdachrisiko? Auch können Übeltäter oftmals sehr schnell anhand der Komposita identifiziert werden, die sie gebrauchen. Wenn man heutzutage hört, dass jemand ein Wort mit »Leistung« kombiniert, kann man sicher sein, dass ein wirtschaftsliberaler Schwätzer spricht. Das war nicht immer so. Früher gab es zum Beispiel den Leistungsdruck. Manche Menschen glauben, dass es ihn immer noch gibt, aber die Schüler haben keine Zeit mehr, sich um ihn zu kümmern.
Prominenter ist derzeit der Leistungsträger. Bislang konnte noch niemand in Erfahrung bringen, wessen Leistung er eigentlich wohin trägt, aber wichtiger ist ja auch, dass er auf seinem Weg nicht von kleinlichen Neidern und Steuereintreibern aufgehalten wird. Dann gibt es die Leistungsgerechtigkeit. Darunter kann man die Gerechtigkeit bei der Verteilung von Leistungen verstehen, aber solche Ideen führen in den Gulag. Also versteht man darunter lieber, nun, so genau hat es Guido Westerwelle auch nicht erklärt, aber es hat etwas damit zu tun, dass die Hartz-IV-Empfänger auf keinen Fall mehr Geld bekommen dürfen, ganz egal, was die kryptokommunistischen Verfassungsrichter sagen. Schließlich wäre da noch die Leistungsbereitschaft. Während seines elfjährigen Studiums hatte Westerwelle viel Zeit, über die Leistungsbereitschaft nachzudenken, und er fand heraus, dass sie sehr, sehr wichtig ist.
Denn nur mit Leistungsbereitschaft kommt man in den Leistungsträgerhimmel. Das nennt man Aufstieg. »Die Freiheit des Liberalismus ist Freiheit zum Aufstieg durch Eigenverantwortung und Leistungsbereitschaft«, erläutert der FDP-Bundestagsabgeordnete Marco Buschmann. Der Begriff Aufstieg gibt dem sonst eher drögen Gerede über Leistung eine mystische Note. Man denkt an Christi Himmelfahrt, allerdings war dieser Jesus, der sich lieber mit einer Horde Langhaariger herumtrieb, als im mittelständischen Betrieb seines Vaters zu arbeiten, nicht unbedingt ein Vorbild in Sachen Leistungsbereitschaft. Oder man denkt an die Sonne, die strahlend aus dem Meer aufsteigt, dann allerdings in bolschewistischer Manier Leistungsträger und Faulpelze gleichermaßen bescheint und deshalb auch kein Vorbild sein kann. Vielleicht sollten wir eher an den Untergang der »Titanic« denken. Da gab es noch echten Wettbewerb. Wer nicht leistungsbereit war und die Freiheit zum Aufstieg aus den unteren Decks nicht nutzte, bekam auch keinen Platz im Rettungsboot. Wer den Aufstieg rechtzeitig schaffte, musste allerdings feststellen, dass die Leistungsträger, die es nicht so weit hatten, bereits in den Rettungsbooten saßen.