»Ich glaube, dass sich Völker durch mehr definieren«

Sind »Ossis« eine Ethnie? Das mag absurd klingen, aber der Fall von Gabi S. zeigt die Brisanz dieser Frage. Denn als sie sich auf eine Arbeitsstelle in ­einem Fensterbaubetrieb in Baden-Württemberg bewarb, stand auf den ihr zurückgesandten Bewerbungsunterlagen der Vermerk »Ossi«. Gabi S. ging deshalb davon aus, sie sei bei der Bewerberauswahl wegen ihrer ostdeutschen Herkunft diskriminiert worden, klagte auf Schadenersatz und berief sich dabei auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Das verbietet allerdings nur die Diskriminierung aufgrund »ethnischer Herkunft«, nicht etwa die Diskriminierung aufgrund »ostdeutscher Herkunft« oder »regionaler Kulturzugehörigkeit«. Jetzt diskutiert Deutschland: Sind Ossis ein eigener »Volksstamm«? Die Jungle World erkundigte sich beim zuständigen Expertengremium: der »Gesellschaft für bedrohte Völker«.

Nach dem jüngsten Urteil des Stuttgarter Amtsgerichts im Fall Gabi S. wird den Ostdeutschen abgesprochen, eine eigene Ethnie, also ein eigener Volksstamm zu sein. Was sagt denn die Gesellschaft für bedrohte Völker dazu?
Da kann ich ehrlich gesagt nicht viel dazu sagen, ich arbeite hier ehrenamtlich und habe mich mit der Debatte noch nicht wirklich beschäftigt. Ich kann also nicht für die Gesellschaft für bedrohte Völker sprechen. Aber ich persönlich finde das absurd.
Absurd? Das Motto der Gesellschaft für bedrohte Völker ist doch: »auf keinem Auge blind«! Ist Ihre Gesellschaft nicht doch auf einem Auge blind, wenn Sie dem Volk der »Ossis« keine Beachtung schenkt? Offenbar wird die ostdeutsche Minderheit unterdrückt.
Ja, aber es ist ja eher die Frage, ob die Ostdeutschen eine eigene Ethnie sind, darum ging es ja in der Debatte, und das glaube ich nicht.
Aber es gibt die Beobachtung, dass Menschen oft erst zu einem Volk werden, wenn sie sich von anderen unterdrückt fühlen, denn dann können sie sich von ihren Unterdrückern abgrenzen und sich irgendeinen Namen geben. Angeblich hat es vor der Staatsgründung Israels etwa gar kein »palästinensisches Volk« gegeben.
Ich glaube schon, dass sich Völker durch mehr definieren, die Palästinenser waren ja etwa auch Araber.
Werden die Nöte der Ostdeutschen denn insgesamt schon ernst genug genommen, oder sollte sich die Gesellschaft für bedrohte Völker ihrem Schicksal zuwenden?
Ich habe mich damit nicht beschäftigt, ich kann dazu nichts sagen. Am besten rufen Sie bei der Zentrale in Göttingen an, oder Sie rufen unter dieser Nummer morgen noch mal an, dann sind hier hauptamtliche Mitarbeiter.