Warum die Deutschen arm und dumm sind

Das Prinzip Spargel

Von Ivo Bozic

Die Deutschen sind nicht nur arm, sondern auch dumm. Um sich nicht als Loser zu fühlen, leben sie einer tragik-komischen Phantasiewelt.

Die Deutschen sind komisch, tragisch-komisch. Der Kabarettist Thomas Freitag hat es mal so beschrieben: Die Deutschen seien das einzige Volk, das sich nicht auf seiner Terrasse entspannen könne, weil es gerade für seine Zweit-Terrasse arbeiten müsse. Tatsächlich lassen sich Deutsche von Wahlkampfplakaten locken, auf denen mit »Arbeit, Arbeit, Arbeit!« gedroht wird. »Geld, Geld, Geld!« hätten sie als anstößig empfunden. Und wenn die FDP in Nordrhein-Westfalen jetzt mit »Arbeit muss sich lohnen« wirbt, so kommt zu Recht niemand auf die Idee, »sich lohnen« könne irgendetwas mit Löhnen zu tun zu haben.
Der Deutsche nimmt seine Armut nicht nur gelassen hin, er arbeitet dran. So wählte er immer gerade jene Parteien, die versprachen, das Wohlstandsglück des Wirtschaftswunders und die daraus folgenden sozialen Errungenschaften möglichst nachhaltig zu zerschlagen. Doch während es jeder normale Mensch als Problem ansehen würde, wenn es bergab geht, sind die Deutschen stolz darauf, wenn die Sparmaßnahmen fruchten und ihre Taschen endlich leer sind.
Dass sie arm sind, merken die Deutschen zu ihrem Glück aber nicht, weil sie arm auch im Geiste sind. Fahle, holzige, geschmacksneutrale Wurzeln graben sie aus staubigem Sand, ergötzen sich an dem vermeintlichen »Luxus-Gemüse« und geben dafür gern all jenes Geld aus, dass sie sich in unbezahlten Überstunden verdient haben. Wobei »verdient haben« im Deutschen nichts mit Verdienst zu tun hat.
Andere Länder haben saftige Tomaten, knackige Paprika, raffinierte Artischocken – in Deutschland holt man zähe Stöcke aus dem Boden und verspeist sie. Und um sich nicht eingestehen zu müssen, wie armselig das ist, werden die bleichen Stangen mystifiziert und als hochwertig bezeichnet. So fühlt man sich selbst wertvoller beim mühsamen Kauen und Verdauen. Das ist das Prinzip, nachdem die ganze deutsche Kultur funk­tioniert. Man könnte es »spargeln« nennen. Griechenland mag pleite sein, aber die Griechen haben heute 39,6 Prozent mehr Lohn in ihren Taschen als vor zehn Jahren. Die Deutschen haben 0,8 Prozent weniger. Die Deutschen sind die ein­zigen in Europa mit einer negativen Reallohnentwicklung. Die Deutschen sind eben nicht nur arm, sondern auch strohdumm. Wenn ihnen beim Wasserlassen der morbide Gestank ihres Post-Spargel-Urins in die Nase steigt, lächeln sie selig: »Wozu brauch’ ich Geld, ich hab’ Spargel!«
Sie spargeln und sparen und verzichten gern, vor allem auf ihren Lohn, wenn es gut für den Standort ist, also gut für Deutschland. In ihrer Schildbürger-Logik glauben sie allen Ernstes, wenn es ihnen persönlich besonders schlecht geht, und den übrigen Landsleuten, Nachbarn und Kollegen auch, dann ginge es ihnen allen als Gesamtheit besonders gut. Streiken ist in dieser Logik gefährlich, denn es könnte den Menschen mehr Geld bringen und damit schlecht für Deutschland sein. Die Deutschen verzeichnen deshalb nicht nur die schlechteste Lohnentwicklung, sondern auch die wenigsten Streiktage im Jahr, nämlich vier. Zum Vergle ich: Bei den Dänen sind es 157 Streiktage – bei plus 19 Prozent Reallohnentwicklung. Dass es da einen Zusammenhang geben könnte, darauf käme der Deutsche nie.
Doch seien wir lieber froh, dass der Deutsche so einfältig ist, denn auf der anderen Seite ist er kein Masochist. Wenn er schlechte Laune hat, und der Deutsche hat oft schlechte Laune, fängt er gerne mal einen Weltkrieg an. Dass es anderen besser geht als ihm, kann er nicht auf sich sitzen lassen. So erklärt sich auch die abgrundtiefe Häme über die »Pleite-Griechen«. In der Bild-Zeitung kann man lesen, wie der Deutsche denkt. Die Redaktion schickte einen Mitarbeiter »ins Land der Bankrotteure und Luxusrenten, Steuerhinterzieher und Abzocker«. Und völlig empört berichtet der Reporter: »Überall in Athen ist die Krise Top-Thema. Aber kürzen, streichen, Einschnitte in staatlichen Leistungen? Die Griechen sagen: Nein, nicht mit mir.« Der Reporter trifft eine 85jährige Rentnerin, die monatlich 3 500 Euro Pension bezieht, und zitiert sie: »Ich sehe nicht ein, weshalb ich jetzt weniger bekommen soll.« Das findet der Deutsche unerhört. Man spürt fast, wie der Reporter nicht übel Lust gehabt hätte, auf der Stelle das gesamte Hab und Gut der alten Dame zu beschlagnahmen. Eigentlich Grund genug für einen Weltkrieg. Zum Glück hat der Deutsche dafür gerade keine Zeit: Die Spargelsaison hat begonnen.