Die Öko-Bilanz Venezuelas

Mutter, rück die Kohle raus

Der venezolanische Präsident Hugo Chávez gibt sich besonders umweltbewusst. Doch nur der Ölexport verschafft ihm das Geld für seine Sozialprogramme, und er will den Abbau fossiler Brennstoffe weiter fördern.

»Die Kämpfe der Völker werden uns zu einem großen Sieg führen. Wir werden den Imperialismus und den Kapitalismus besiegen und damit den Planeten retten«, sagte Venezuelas Präsident Hugo Chávez auf der Abschlusskundgebung des Umweltgipfels in Cochabamba in Bolivien am 22. April. Auf dem Weg zu diesem Sieg gebe es aber noch viele Schlachten zu schlagen, eine davon im Dezember in Cancún.
In der mexikanischen Stadt findet die nächste offizielle Weltklimakonferenz statt, Chávez will dort die Industrienationen in die Verantwortung für den Klimawandel nehmen. Man dürfe sich nicht weiter vom »Imperium« erpressen lassen und faule Kompromisse schließen, wie es auf dem Klimagipfel in Kopenhagen geschehen sei, sagte Chávez. Vor allem die Industrienationen seien für die globale Erwärmung verantwortlich und müssten ihren Energieverbrauch drosseln. Insbesondere schalt Chávez natürlich seinen Lieblingsfeind, die USA, das Land, in dem pro Kopf die meiste Energie verbraucht wird.
Was der führende Repräsentant des »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« in solchen Reden aber nicht so gerne thematisiert, ist die Tatsache, dass die venezolanischen Exporte zu beinahe 80 Prozent von der Erdölproduktion abhängen. Wenn man nur die Ölverkäufe in die USA betrachtet, machen diese 60 Prozent der Exporteinnahmen aus. Nach Schätzungen des Amtes für Energiestatistik der USA liefert Venezuela täglich 1,5 Millionen Barrel Rohöl und verarbeitete Ölprodukte in die USA, das sind elf Prozent der US-Erdölimporte. Dem venezolanischen Ölkonzern gehören auch viele Raffinerien in den USA. Beide Länder sind auf dem Energiesektor so stark miteinander verbunden, dass diese gegenseitige Abhängigkeit nicht ohne weiteres überwunden werden kann.
Der venezolanische Präsident ist direkt vom hohen Energieverbrauch der USA abhängig. Seine Popularität im In- und auch im Ausland beruht vor allem auf den Sozialprogrammen, die von der staatlichen PDVSA finanziert werden, dem drittgrößten Erdölkonzern der Welt. Seit der Teilnationalisierung, die Chávez 2006 dekretierte, gehören 60 Prozent der Anteile dem venezolanischen Staat. Nach einer im Jahr 2002 beschlossenen Neuregelung der Beziehungen zwischen der PDVSA und der Regierung ist der Konzern verpflichtet, zehn Prozent der jährlichen Einnahmen dem nationalen Entwicklungsfond Fonden zu übergeben, der es dann für diverse Sozialausgaben verwendet.
Nach Informationen der Fachzeitschrift International Oil Daily gab die PDVSA im Jahr 2007 etwa 14,4 Milliarden Dollar für Sozialprogramme aus. Ein Großteil des Geldes, das US-Amerikaner zahlen, um ihre viel kritisierten Geländewagen und Straßenkreuzer zu betanken, landet auf direktem Weg in den Kassen der venezolanischen Regierung. Wegen der Weltwirtschaftskrise und des sukzessiven Falls des Ölpreises dürften sich diese Einnahmen aber verringert haben. Wie hoch der Verlust ausfiel, ist nicht bekannt, da die Aussagen der venezolanischen Regierung zur eigenen Erdölproduktion nie als besonders vertrauenswürdig galten.

Dass der Geldfluss aus dem Ölgeschäft in naher Zukunft ganz versiegt, ist jedoch nicht sehr wahrscheinlich. Neben großen Reserven flüssigen Öls verfügt Venezuela über ein weiteres gewaltiges Vorkommen im Orinoco-Delta, das immer wertvoller wird. Dort befinden sich die weltweit größten Lagerstätten von Ölsand und Bitumen.
Der Abbau dieses Ölsandes ist erst wirtschaftlich, wenn der Rohölpreis 70 Dollar pro Barrel übersteigt. Doch dann lohnt es sich, das Material mit Wasser und einem Zusatzstoff zu einer Emulsion, Orimulsion genannt, zu verarbeiten. Orimulsion kann wie Heizöl in Kraftwerken und großen Dieselmotoren verwendet werden. Doch Umweltschützer und Wissenschaftler warnen, dass das Material aus den venezolanischen Chemieküchen besonders umweltschädlich sei. Dies liegt daran, dass der Schwefelgehalt des Treibstoffs wesentlich höher ist als bei anderen fossilen Brennstoffen. Zudem enthält Orimulsion das Metall Vanadium, das sich negativ auf den Ausstoß von Feinstaub bei der Verbrennung des Materials auswirkt. Das Klima kann man mit dem »alternativen« Kraftstoff auch nicht retten, da bei der Verbrennung ebenfalls Kohlendioxid in die Atmosphäre entweicht.
Dass derzeit wenig Orimulsion produziert wird, liegt nicht an ökologischen Bedenken der venezolanischen Regierung. Nach dem Putschversuch der Opposition im Jahr 2002 kam es zu einem großen Streik bei der PDVSA, der vor allem von leitenden Angestellten ausging. Nach der Beendigung des Streiks wurden zahlreiche Ingenieure des Staatskonzerns gefeuert. Nicht zuletzt dieser brain drain behinderte die Weiterentwicklung der Ori­mul­sionstechnologie.
Die Abhängigkeit vom Erdöl wird immerhin auch von der Regierung Venezuelas als Problem anerkannt. So gab sie die Order, dass die Ressourcen der PDVSA, die an Fonden fließen, auch dazu verwendet werden sollen, die wirtschaftliche Diversifizierung des Landes zu fördern. Bei diesem Plan soll aber ausgerechnet dem Ausbau der Kohleförderung in Venezuela eine wichtige Rolle zukommen. Von einem ökologischen Umbau der venezolanischen Wirtschaft kann da schwerlich die Rede sein. Zudem gerät die Förderung des Kohleabbaus in Konflikt mit den Bekenntnissen des Präsidenten, die Rechte der Indigenen im Land besser zu schützen.

Zwar beruft sich Chávez gerne auf »Pacha Mama« (Mutter Erde) und den indigenen Öko-Mythen. Wie so viele stellt auch er die Indigenen als besonders umweltbewusst dar. Die traditionelle Lebensweise der amerikanischen Urbevölkerung sei ein nachahmenswertes Entwicklungsmodell, erklärte der venezolanische Staatschef auf dem Gipfel in Cochabamba. Seit Jahren behauptet Hugo Chávez, sich für die Landrechte der etwa 500 000 Indigenen im Land einzusetzen. Die öffentliche Verdammung der historischen Verbrechen bietet dem populistischen Präsidenten die Möglichkeit, sich als Antiimperialist zu gebärden und nationalistische Gefühle in der Bevölkerung anzusprechen.
Einer der Coups dieser öffentlichkeitswirksamen Symbolpolitik war die Umbenennung des Feiertags am 12. Oktober. In ganz Lateinamerika wird an diesem Tag die sogenannte Entdeckung Amerikas durch Columbus gefeiert. Früher hieß die Feier »Tag der Rasse«, doch Chávez nannte ihn zu Beginn seiner Regierungszeit »Tag des indigenen Widerstandes«.
Aber Chávez beließ es nicht bei solchen symbolischen Akten. Für die etwa 500 000 Indigenen Venezuelas hat sich tatsächlich einiges verbessert. Was allerdings auch nicht schwierig war, denn die Politik gegenüber ihnen galt lange Zeit als die rückständigste in Südamerika. Chávez kündigte an, den Indigenen Venezuelas Land zurückzugeben, das ihnen gehört hatte, von dem sie aber vertrieben worden waren. Insbesondere die Yukpa, eine Bevölkerungsgruppe, die im Bundesstaat Zulia im Grenzgebiet zu Kolumbien lebt, hatte er dabei im Auge. Viehzüchter vertrieben die Yukpa in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von ihren Territorien. Der Landkonflikt zwischen Farmern und Indigenen hält an und fordert häufig auch Menschenleben, fast immer, weil die Viehzüchter Auftragsmörder auf ihre Gegner hetzen. Chávez unterstützt gerne rhetorisch den Kampf der Yukpa, zumal die Agrar­oligarchie Zulias gute Verbindungen zum dortigen Gouverneur Pablo Pérez Álvarez unterhält, der in Opposition zur Bundesregierung steht.
Doch auch die bundesstaatlichen Institutionen in Zulia vertreten nicht gerade die Interessen der Yukpa. Das venezolanische Militär verweigert den Indigenen den Zugang zu betimmten Ländereien, da es diese als militärische Sicherheitszonen deklariert. Das angespannte Verhältnis zu Kolumbien macht dies nach Angaben des Militärs aus Gründen der nationalen Sicherheit notwendig. Überdies sieht das Programm zur Diversifizierung der Wirtschaft vor, dass Bergbauunternehmen Konzessionen für das umstrittene Gebiet erhalten, wogegen die Yukpa vehement protestieren. »Pacha Mama« muss also auch einmal zurückstehen, wenn es um die wirtschaftlichen Interessen der Regierung geht.
Vieles deutet darauf hin, dass dies auch so bleiben wird. Venezuela leidet immer noch unter einer Energiekrise (Jungle World 3/10). Kraftwerke, die mit Öl betrieben werden, sind kaum vorhanden und lassen sich auch nicht einfach aus dem Boden stampfen. 60 Prozent der Energie werden von Wasserkraftwerken erzeugt, die von der Regierung auch als Quellen »erneuerbarer Energie« gefeiert werden. Doch wegen einer anhaltenden Dürre sind die Pegelstände in den Stauseen niedrig, die Kraftwerke können nicht ausreichend Strom liefern. Der Bau neuer Wasserkraftwerke würde lange dauern, zudem müssten riesige Urwaldflächen zerstört werden. Die designierten Orte für derartige Großprojekte sind auch oft von indigenen Gruppen besiedelt.

Andere erneuerbare Energien werden in Venezuela kaum genutzt. Es gibt ein erfolgreiches Programm zur Förderung der Solarenergie, doch die Möglichkeiten dieser Technologie sind derzeit noch begrenzt. Die einzelnen Anlagen geben genug Strom für einige Haushalte, ganze Städte oder Industrieanlagen kann man so aber nicht versorgen. Daher wird die Solartechnologie auch eher dafür verwendet, Gegenden, die nicht an das Stromnetzwerk angebunden sind, mit Energie zu beliefern.
Mehr verspricht die Windkraft. An der venezolanischen Küste weht beständig eine steife Brise, und schon viele sind auf die Idee gekommen, diese Energie für den Menschen nutzbar zu machen. Doch die Programme zur Förderung der Windkraft kommen nur langsam in Gang. Bis 2013 sollen aber immerhin drei Windparks an der Küste entstehen.
Trotz dieser kleinen Fortschritte spielen Umweltfragen für Chávez vor allem dann eine Rolle, wenn es gilt, sich international zu präsentieren. Ansonsten verdient die Regierung vor allem an der angeprangerten Energieverschwendung der Industrienationen. Chávez dürfte es auch bei der bevorstehenden »Schlacht von Cancún« nicht versäumen, die westlichen Staaten zu ermahnen. Es hätte jedoch desaströse Folgen für seine Wirtschafts- und Sozialpolitik, wenn sie auf ihn hören würden.