Rechtsextremismus in den USA: die »Nationalanarchisten«

Anarchos im Rassenwahn

Rechtsextreme Querfrontstrategen gibt es auch in den USA. Dazu gehört zum Beispiel das bizarre Randphänomen der »National­anarchisten« um Andrew Yeoman in Kalifornien. Serie über Rechtsextremismus in den USA, Folge 5.

Die Bay Area National Anarchists (BANA) sind eine sonderbare Gruppe. Zwar zählen sie sich zur anarchistischen Szene, aber das vielsagende Wörtchen »national« macht schon deutlich, dass sie doch anders sind. Die relativ sprachgewaltige Wortschöpfung »Nationalanarchie« klingt zweifellos wie ein Widerspruch in sich, ähnlich wie der »Nationalsozialismus«, dem der Nationalanarchismus nicht ganz unähnlich ist.

Andrew Yeoman, der Gründer der BANA, ist wie so manche Autonome der alten Schule gegen die Globalisierung, den Internationalen Währungsfonds und Israel. Eigentlich sollte das nur ein müdes Gähnen hervorrufen, wären da nicht weiterhin Yeomans Traktate zu den Vorzügen der Rassentrennung. »Es gibt eine ganze Reihe von Gründen, warum wir für die Rassentrennung sind«, sagte Yeoman in einem Interview mit der »weiß-nationalistischen« Occidental Quarterly und führte weiter aus: »Wir wollen unsere kulturelle Kontinuität, das Prinzip der freiwilligen Verbindung mit anderen, bewahren, und wir wollen uns dagegen schützen, zum Opfer der Kriminalität anderer Rassen zu werden.« Die Mitglieder der BANA träumen vom Rassenkrieg und von »autonomen Zonen«, in denen Leute, die anders sind, nichts zu suchen haben – »wie eine Hippie-Kommune in den Siebzigern«, so Yeoman, »nur mit höheren Standards«. Der junge Kalifornier und die BANA sind eine bizarre Erscheinung in der amerikanischen Rechten. So schrieb die amerikanische Bürgerrechtsgruppe Southern Poverty Law Center (SPLC), die Mitglieder der BANA und ähnlicher Gruppen würden ihren Fanatismus bewusst »mit der Sprache radikaler Umweltschützer« und einer Prise Kapitalismuskritik tarnen, um so nicht nur das äußere rechte, sondern auch das äußere linke Spektrum anzusprechen. »Ex-Linke, Ex-Neocons, Ex-Skinheads«, sie alle gehören dazu, wie es Yeoman ausdrückt.
In den USA sind die Nationalanarchisten noch ein relativ obskures Randphänomen. Dem SPLC zufolge gibt es bislang weniger als 200 Mitglieder, aber die Bewegung ist auch in Russland, England, Spanien und Deutschland aktiv. Die Nationalanarchisten stellen eine neue Form des Faschismus dar, der Markenzeichen wie Hakenkreuze und SS-Runen ablehnt. Alte Nazis in neuem Gewand, eben ohne den belasteten NS-Kult.

Yeoman versteht die Aufregung nicht. »Die oberste Loyalität eines Menschen«, so der BANA-Ideologe in einem Interview, »ist seine kulturelle, ethnische und ethische Identität.« Yeoman fühlt sich verfolgt und angeprangert vom Mainstream und den Medien. Er kapselt sich deshalb weitgehend von der Gesellschaft ab – er ist ein nahezu unsichtbarer Provokateur, der nur ab und zu im Internet und noch seltener in der echten Welt auftaucht, um verbale Stinkbomben zu werfen. Die Nationalanarchie ist für ihn die Rückkehr ins gelobte Gestern, als die Welt scheinbar noch in Ordnung war.
Der britische Esoterik-Forscher Nicholas Good­rick-Clarke führt die Anziehungskraft der National­anarchisten und ähnlicher »arischer Rassenkulte« auf ein »Revival von Folklore und Stammesdenken« unter Jugendlichen zurück, die akut unter dem Gefühl litten, entrechtet zu sein. Die BANA könnten als diffuse Revolte gegen die moderne Welt verstanden werden. »Wir sehen uns als eine Art Stammesgesellschaft an«, erklärte Yeoman ebenfalls im Interview. »Eine Stammesgesellschaft hält an bestimmten Werten, an Lebensarten, fest. Die territoriale Integrität ist dabei ganz wesentlich. Die Bindung eines Stammes ist stärker als der Kapitalismus. Die wesentliche Aktivität einer Gesellschaft basiert nicht nur auf Kaufen und Verkaufen, sondern darauf, höhere Werte, religiöse, traditionelle und politische Ziele, wahrzunehmen.« Yeoman ist gegen den »von der Regierung verordneten Multikulturalismus« und für das »Überleben der Ethnien«. Mit solchen Sprüchen gerät er gerade nach dem umstrittenen Anti-Immigrationsgesetz des Bundesstaats Arizona ins Licht der Öffentlichkeit.

Gelegentlich zeigt sich Yeoman auch bei Antifa-Buchmessen und auf Demonstrationen zu Migrationsthemen. Ab und zu kriegt er dabei Probleme. So wurde Yeoman vor kurzem von Demons­tranten in San Francisco verprügelt, und die Polizei musste einschreiten. »Sie haben es auf mich abgesehen«, sagte er dem Stadtmagazin SF Weekly. »Die kennen mich aus meinen Youtube-Videos.« Gewöhnliche Anarchos wollen mit Yeoman und den BANA nichts zu tun haben. Ein weibliches Mitglied einer anarchistischen Gruppierung in San Francisco schnauft allein bei der Erwähnung von Yeomans Namen auf. »Ja, den Kerl kenne ich«, sagt sie genervt. Mehr möchte sie nicht dazu sagen. Für ein Interview muss sie »erst das Kollektiv fragen«. Die Anfrage zieht sich hin, denn die Anarchisten sind schlecht organisiert. Die Antwort des Kollektivs fällt schließlich negativ aus.Und Yeoman selbst bleibt vorerst unauffindbar. Nach der letzten Schlägerei ist er anscheinend abgetaucht. Außer einer Postfachadresse in einem Vorort von San Francisco findet sich nichts über ihn. Es sollte vielleicht auch nicht verwundern, dass ein Mann, der gegen die Moderne ist, kein Facebook-Profil hat.
Die Ideologie, für die Yeoman steht, gibt es allerdings auch in Deutschland, insbesondere vertreten durch den Berliner Peter Töpfer, der seit Ende der neunziger Jahre die Verbindung von Nationalismus und Anarchismus im Internet propagiert. Auch die Autonomen Nationalisten, die, wie beispielsweise auf der Webseite der Autonomen Nationalen Wetzlar, über eine »lebensbejahende Weltauffassung« schreiben, die »den Kapitalismus und die liberalistische und egoistische Lebensform überwindet«, weisen ähnliche querfrontstrategische Züge auf. Und auch sie sprechen vom »Volk« als »natürlicher menschlicher Gemeinschaft«. Ist der Nationalanarchismus also nichts anderes als das Gerede, das man von der Ultrarechten seit Jahr und Tag kennt, oder steckt mehr dahinter? Die Non-Profit-Organisation Political Research Associates (PRA) in Massachusetts, die rechtsgerichtete Organisationen in den USA beobachtet, sieht zumindest einen globalen Trend. »Die Nationale Anarchie hat sich über das Internet weltweit verbreitet«, steht in einem ihrer Berichte zu lesen. Dieser Trend, so warnt PRA, werde stärker: »Die Bewegung könnte das neue Gesicht der radikalen Rechten werden.«