Der Bundeskongress des DGB

Diplomaten der Arbeit

Auf dem Bundeskongress des DGB sollte der Kurs des Gewerkschaftsdachverbandes für die nächsten vier Jahre bestimmt werden. Das »Parlament der Arbeit« konnte sich nur zu mäßigen Strukturreformen durchringen.

Mit mehr als sechs Millionen Mitgliedern repräsentieren die Organisationen des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) weit mehr Menschen als alle politischen Parteien in Deutschland zusammen. Dennoch übt man sich in Bescheidenheit, wie der Bundeskongress des DGB vergangene Woche in Berlin zeigte. Zwar ließ der alte und neue DGB-Vorsitzende Michael Sommer die deutsche Gewerkschaftsbewegung hochleben, schließlich gehören einige der Gewerkschaften hierzulande zu den stärksten der Welt – zumindest an den Zahlen gemessen. Dass sich aber das erste Drittel seiner sanftmütigen Eröffnungsrede direkt an die Politik in Gestalt der anwesenden Bundeskanzlerin richtete, zeugte nicht gerade von Kampfesgeist und Selbstbewusstsein. Dies entspricht auch zweifelsohne dem Selbstverständnis des DGB als »gewerkschaftlicher politischer Stimme« oder, um es profaner auszudrücken, als Lobby-Organisation.
Einmal mehr erkennt man im Jahr der Agenda 2010, dass »der historische Kompromiss, der auch den kleinen Leuten ihr kleines Glück gönnte«, aufgekündigt worden sei. Das stellte Sommer bei der Eröffnung des 19. »Parlaments der Arbeit« ausdrücklich fest. »Wir haben ein Jahrzehnt der Anarchie auf dem Arbeitsmarkt erlebt«, so der DGB-Chef weiter. In den Gewerkschaften selbst sind wiederum der anhaltende Mitgliederschwund an der Basis und die sprichwörtliche Unlust zum Konflikt an der Spitze in Rechnung zu stellen.

Diesen Erosionsprozess, der sich auch in den Gewerkschaftskassen widerspiegelt, versuchen die Einheitsgewerkschafter auf zweierlei Weise aufzuhalten: Einerseits gelte es, die vorhandenen »Ressourcen zu bündeln und effektiv einzusetzen«. Eine Strukturreform muss her, das gilt schon seit Jahren als unvermeidlich. Der »kleinste gemeinsame Nenner« in dieser Frage wurde nun von den Gewerkschaftsdelegierten in Form einer neuen Satzung beschlossen. Die Neuerung besteht darin, die hauptamtliche Regionalebene in die übergeordneten Bezirke zu integrieren und den ehrenamtlichen Kreis- und Kommunalverbänden mehr Bedeutung zu verleihen. Es sieht aber nur auf dem Papier so aus, als bekäme die Basis mehr Gewicht. Denn die Ehrenamtlichen unterstehen den Vorständen und sind strikt weisungsgebunden. Außerdem werden die Regionsgeschäftsführer nicht mehr von den Bezirken gewählt, da der demokratische Prozess eine Ebene höher angesiedelt wurde. Die Tendenz geht also zum demokratischen Zentralismus.
Dass die Strukturreform kein großer Wurf werden würde, war abzusehen. Bereits Anfang des Jahres hatte der DGB-Regionalvorsitzende für Niedersachsen-Mitte, Sebastian Wertmüller, in der gewerkschaftslinken Zeitung Express kritisiert, dass der Satzungsentwurf »in seiner organisationspolitischen Strenge den Hauch der fünfziger Jahre verströmt«. Wie es um die innerorganisatorische Diskussion steht, kann man derzeit an den Ausschlussverfahren der IG Metall gegen oppositionelle Betriebsgruppen an verschiedenen Daimler-Standorten beobachten.
Andererseits ist von einer »neuen Ordnung« in der Gesellschaft die Rede. Mit den staatlichen Rettungsaktionen in der Wirtschaftskrise habe die marktradikale Theorie des »Neoliberalismus« endgültig abgewirtschaftet, meint man beim DGB. Allerdings haben die deutschen Arbeitnehmerverbände nichts anderes anzubieten als eine Rückkehr zum Status quo ante, wo die »Idee der Sozialpartnerschaft« noch gepflegt wurde. Allenfalls wird noch ein allgemeiner Mindestlohn gefordert und die Rente mit 67 abgelehnt. Statt den Konflikt zu riskieren, setzt man auf Diplomatie, gerade in Zeiten der Krise, in der man für die Zusicherung eines bestimmten Beschäftigungsniveaus zu weiterer Zurückhaltung bereit ist.

Dabei hat es mit den Aktivitäten der sogenannten Spartengewerkschaften auch in der bundesdeutschen Gewerkschaftslandschaft einige Umbrüche gegeben. Diese könnten nun auch vom Bundesarbeitsgericht anerkannt werden, das im Juni darüber entscheiden will, ob es grundsätzlich mehrere Tarifverträge in einem Unternehmen zulässt. Damit könnten die »Tarifeinheit« gekippt und der davon profitierenden Einheitsgewerkschaft die Zügel aus der Hand genommen werden. Denn die Friedenspflichtklausel würde nur noch der unterzeichnenden Gewerkschaft und nicht mehr der Belegschaft die Hände binden. Dementsprechend geharnischt ging DGB-Chef Sommer in die Debatte und erklärte die Tarifeinheit kurzerhand zum Bestandteil der verfassungsmäßig geschützten Tarifautonomie. Denn eines ist ihm klar, und das sagt er auch so: »Natürlich kann man Gewerkschaft auch anders organisieren, als wir das in Deutschland tun.« Umso energischer klingt dann seine Verteidigung des Modells der zentralistischen Einheitsgewerkschaft.
Nicht nur in Fragen der Organisation, auch in denen der Strategie gibt es Alternativansätze. Die konnten sich aber bisher nicht durchsetzen. So wurde die Forderung des DGB-Bezirks Baden-Württemberg – »das politische Streikrecht muss Zug um Zug zurückerobert werden, indem es in Anspruch genommen wird« – von der Antragsberatungskommission als gegenstandslos abgewiesen. Eine Debatte darüber fand nicht statt. Das Thema wird wohl in den kommenden vier Jahren der Linkspartei überlassen bleiben. So behält der größte Gewerkschaftsdachverband in der Bundesrepublik sein merkwürdiges Selbstverständnis: Zu seinen Aufgaben zählt der DGB unter dem Stichpunkt »Vertretung und Koordinierung der gemeinsamen Interessen« vorrangig die Lobby-Arbeit in Parlamenten, Regierungen und Behörden. Die Unterstützung von Arbeitskämpfen und die Gewerkschaftsmitglieder selbst kommen erst im letzten Punkt der Satzung vor. Schließlich muss man Prioritäten setzen.