Die CDU nach Roland Koch

Rechts vom Portemonnaie

In der vergangenen Woche hat der hessische Ministerpräsident Roland Koch seinen Rückzug aus der Politik verkündet. Seine Parteifreunde sorgen sich nun um das konservative Profil der CDU.

Selten waren die Reaktionen auf den Rücktritt eines Regierungschefs so sehr ein Lehrstück für Legendenbildung wie im Fall Roland Kochs. In seiner Stellungnahme formulierte der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer beispielhaft, »die konservative Grundströmung in der Union« verliere mit dem hessischen Ministerpräsidenten »einen besonders ausgewiesenen und kompetenten Vertreter«. Zahllosen Parteigranden gilt Koch als Inbegriff ordnungspolitischer Kompetenz sowie als strammer Parteisoldat im Dienste jener Klientel, die der brandenburgische General Jörg Schönbohm (CDU) gern die »Stammkundschaft« der Union nennt.

Die launische Laufkundschaft umwirbt derweil die Kanzlerin der Mitte. Dabei verkörpert niemand die Defizite des rechten Parteiflügels so eklatant wie Roland Koch. Schon die Begründung für seinen künftigen Amtsverzicht folgte nicht dem traditionellen konservativen Kanon. Kochs Klage über mangelnde »Gestaltungsfähigkeit« und Sätze wie »Politik ist ein faszinierender Teil meines Lebens, aber Politik ist nicht mein Leben« klangen kaum nach einem demütigen »Diener des Volkes«. Sie ähnelten eher dem individuellen Lebensentwurf der in Unionskreisen übel beleumundeten Toskana-Fraktion. Auch der angebliche »Wertekonservatismus« des hessischen Ministerpräsidenten irritiert politische Beobachter. »Was wäre auch konservativ daran, sich von Schulzeitverkürzung Weltmarktvorsprünge zu erwarten? Oder generell die Wirtschaft als das Schicksal aufzufassen?« fragt, Jürgen Kaube, ein führender Feuilletonist der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Im Leitartikel des Blattes, wo neben geistig-moralischen vor allem die handfesten monetären Werte zählen, wird nüchtern konstatiert, Koch habe »Haushaltssanierung und konsequenten Schuldenabbau nicht zum Markenzeichen seiner Regierungspolitik« gemacht. Sein Finanzminister Karlheinz Weimar habe zudem »den 1999 von der rot-grünen Vorgängerregierung übernommenen Schuldenberg auf die gigantische Höhe von fast 40 Milliarden Euro wachsen lassen«.
Eine solide ordnungspolitische Bilanz sieht anders aus. Die FAZ verweist deshalb auf das Erbe, das Kochs Nachfolger Volker Bouffier antreten muss: vom Versprechen, vor der nächsten Landtagswahl per Volksabstimmung ein Verbot der Schuldenneuaufnahme in der Verfassung zu verankern, bis hin zur Entscheidung über die Vergabe einer Bürgschaft in dreistelliger Millionenhöhe an Opel. Kochs Kritik am Kurs der Kanzlerin bei der Finanzierung von Bildung und der Ausweitung der Kinderbetreuung bleibt somit Teil jener kraftvollen Rhetorik, die bei konservativen Politikern gerne für bare Münze genommen wird.

Die Inszenierung Kochs als Repräsentant der konservativen »Stammkundschaft« folgt dem bloßen Wunsch, nicht der politischen Realität. Schon 2008 zeigte das schlechte Wahlergebnis der Union bei den hessischen Landtagswahlen die schwache Mobilisierungsfähigkeit des Bembel-Konservatismus. Mit seinem »Operation sichere Zukunft« genannten Rotstiftprogramm stieß Koch von der Schulsekretärin bis zum Oberförster die vermeintlich »eigene« Klientel vor den Kopf. Seine Nachrufer vergessen zudem, dass auch die beinahe verlorene Bundestagswahl 2005, als die Unionsparteien dem wirtschaftsliberalen Credo des Leipziger Reformparteitags von 2003 folgten, die Grenzen eines marktradikalen Programms aufzeigte. Wer derzeit in der Union fiskalpolitische Offensiven und die Rückkehr eines Friedrich Merz fordert, überschätzt die Wirkungsmacht dieser Agenda.
Die »Stammkundschaft« der Union ist ohnehin kein homogener Block. Die »ländlichen Kirchgänger« beispielsweise, die bei der Wahl in Nordrhein-Westfalen hunderttausendfach zu Hause blieben, sind keineswegs nur wertkonservative Nostalgiker oder marktgläubige Selbständige, sondern vom Rentner bis hin zur Landwirtin in vielfachen Varianten Empfänger staatlicher Transferleistungen. Die »finanziellen Grausamkeiten«, die Koch in Hessen nun seinem Nachfolger überlässt und die in Berlin am kommenden Wochenende beim »Spargipfel« der Bundesregierung diskutiert werden sollen, kündigen Unheil gerade für jene Wählerschichten der Union an, die nicht mit neuen Abschreibungsmöglichkeiten rechnen können. Massiver Subventionsabbau oder die Ankündigung der Rente mit 70 sowie die Einführung einer Pkw-Maut sind nur Teile des Katalogs von »Sparmaßnahmen«. Die »Prinzipienlosigkeit« von Bundeskanzlerin Angela Merkel ist dabei der Versuch, dem Primat der Ökonomie zu folgen, ohne die kriselnden Volksparteien CDU und CSU zu überfordern. Deren konservative Anhängerschaft wird seit Jahren mit Massenentlassungen trotz Rekordgewinnen konfrontiert und beargwöhnt sinkende Reallöhne. Harte ökonomische Rahmendaten bestimmen die Lebenssituation jener Bevölkerungsteile, die vom christlichen Arbeitnehmerflügel bis hin zu fiskalkonservativen Handwerksmeistern die Vielfalt der »Volksparteien« CDU und CSU ausmachten.

Für die Parteirechte bleibt derzeit nur der Lärm der Rückzugsgefechte. Alfred Dreggers Stahlhelm liegt längst unter der hessischen Heimaterde begraben. Gesellschaftspolitisch sind die Nationalkonservativen ohnehin in der Defensive. Wer deren Kanon heute einfordert, verwechselt die Heimeligkeit eines Marburger Burschenschaftlerfrühschoppens mit den pluralisierten Lebenswelten vieler junger Wähler auch der Union. Wer Kitas für die Verstaatlichung der Kinderbetten hält, findet derzeit nur in der Jungen Freiheit eine Meckerecke. Und wer, wie der baden-württembergische Ministerpräsident und neue rechte Hoffnungsträger, Stefan Mappus, den Christopher Street Day »abstoßend« findet, der schweigt in gehobener Position zu solch heiklen Fragen. Dies gebietet schon der Respekt vor den Amtskollegen.Der Unionsrechten bleibt die fiskalkonservative Fixierung auf die gute Ordnung durch rigide Haushaltskonsolidierung. Doch die Durchsetzung des Wunschkatalogs des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI) könnte jede Bundesregierung nur durch die Wiedereinführung des Zensuswahlrechts überleben. Ein Ministerpräsident wie Koch, der monatelang nur kommissarisch regierte, hat in der Tat keine Gestaltungsmacht. Sein Rückzug ist deshalb ein Symptom. Die konservative Lebenslüge verkörperte er als hessischer Ministerpräsident perfekt. Unter der Regentschaft des gerühmten Ordnungspolitikers machte Hessen im Jahr 2009 Rekordschulden von 3,5 Milliarden Euro. Für die Rolle des nützlichen Idioten, der jene Sparprogramme ankündigt, die dann von Kanzlerin Merkel zurückgewiesen und abgemildert umgesetzt werden können, steht Koch künftig nicht zur Verfügung. Christdemokratische Politik bleibt der Nachvollzug selbstgeschaffener »Sachzwänge«. Statt großer Entwürfe herrschen wie bei der Finanzmarkttransaktionssteuer die Regierungstechnik des Sich-Durchwurstelns – und Murren in den eigenen Reihen. »Wenn wir nur noch alle paar Wochen zusammenkommen, um angeblich alternativlose Rettungspakete durchzuwinken, dann kann man das Parlament auch auflösen«, sagte Wolfgang Bosbach im Gespräch mit dem Kölner Stadt-Anzeiger.
Doch nicht nur der Unionspolitiker Bosbach wird trotzdem weiter fleißig Rettungspakete schnüren. Denn ein konservatives Aufbegehren wäre am Ende eine Protestbewegung gegen den Euro und für die D-Mark, für Steuersenkungen und gegen »Besitzstände« der Wählerinnen und Wähler, gegen staatliche »Rettungsschirme« – und für den freien Fall.