Bewährung trotz Totschlags. Das Urteil im Fall Dennis

Bewährung trotz Totschlags

Im Prozess gegen drei Berliner Polizisten, die einen flüchtigen Einbrecher aus Neukölln erschossen haben, wurde am Wochenende das Urteil gesprochen. Angehörige und Freunde sind mit dem Strafmaß unzufrieden und protestieren gegen Polizei­gewalt.

Am Silvesterabend 2008 wollte Dennis J. seine Freundin aus Schönfließ nahe Berlin mit einem gestohlenen Jaguar abholen. Doch dazu kam es nicht. Nach einem Hinweis aus der Familie des Mädchens fand ein dreiköpfiges Polizeiteam aus Berlin den 26jährigen im Auto wartend vor. Als der Polizeikommissar Reinhard R. versuchte, Dennis J. festzunehmen, wollte dieser mit dem Wagen fliehen. Daraufhin erschoss ihn der Polizist aus nächster Nähe. Diese Tat wurde in den vergangenen zwei Monaten vor dem Landgericht Neuruppin erörtert. Nach nur zehn Verhandlungstagen innerhalb von zwei Monaten sprach der Vorsitzende Richter Gert Wegner am Samstag das Urteil gegen die drei Berliner Beamten. Der Todesschütze wurde des »minder schweren Totschlags« für schuldig befunden und zu zwei Jahren Haft verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurden. Die wegen »versuchter Strafvereitelung im Amt« angeklagten Beamten Heinz S. und Olaf B. gelten ebenfalls als schuldig und müssen jeweils Geldstrafen in Höhe von 10 800, beziehungsweise 8 400 Euro zahlen.

Damit fällt das Urteil vor allem für den Hauptangeklagten milde aus. Das Strafgesetzbuch sieht für Totschlag eine Haftstrafe bis zu zehn Jahren vor. Dennoch kündigten die Verteidiger der Beamten an, Revision zu beantragen, um einen Freispruch zu erwirken.
Dass der Schütze zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde, löste Bestürzung und Empörung bei den Angehörigen und Freunden des Opfers aus. Sie fühlen sich »verarscht«. Noch im Gerichtssaal wurden zwei Männer festgenommen, weil sie sich ausfällig über den Richter äußerten. Draussen riefen Menschen, die Mangels Plätzen vor dem Gerichtssaal warten mussten »Mörder«, »Mörder«. Es kam zu Rangeleien mit den Bereitschaftspolizisten. Ein weiterer Mann wurde verhaftet und wie die anderen beiden in das nahegelegene Revier gebracht. Erst Stunden später wurden die Angehörigen von Dennis J. nach Bemühungen einer Anwältin freigelassen. Sie sollen nun wegen Widerstandshandlungen und Beleidigung angezeigt werden.
In den Augen der Unterstützer und der Familie des Opfers straft der Rechtsstaat mit zweierlei Maß. Ein paar von ihnen mussten selbst bereits, wie der damals mit drei Haftbefehlen gesuchte Dennis J., wegen diverser kleinerer Delikte Haftstrafen verbüßen. Dass Reinhard R. auf freiem Fuß bleiben darf, obwohl er einen Menschen erschossen hat, können die Hinterbliebenen nicht fassen. Ein junger Mann deutet das Urteil so, dass Polizisten einen »Freifahrtschein« hätten, ihre Waffe einzusetzen.
Die Anwälte der Angehörigen zeigen sich hingegen mit der Verurteilung relativ zufrieden. Beate Böhler ist »froh«, dass die Straftaten als solche anerkannt wurden. Immerhin sei Reinhard R. der erste Berliner Polizist, der als Totschläger verurteilt wurde. Die Höhe der Strafe von zwei Jahren führe, wie Wegner bereits in seiner Urteilsbegründung erklärte, zur Entlassung des Schützen aus dem Polizeidienst. Auch Jan Stübing, der ebenfalls die Familie von Dennis J. vertrat, versuchte die Angehörigen nach dem Urteil zu beruhigen. Bereits in seinem Schlussplädoyer gegenüber dem Hauptangeklagten erklärte er: »Das Leben wird sie richten«.

Die Verurteilung der drei Berliner Beamten kann als Teilerfolg gelten. Die unter ihnen abgesprochene Aussage, sie hätten in Notwehr gehandelt, wurde vom Gericht nicht anerkannt. Die Polizisten haben sich, so Wegner, in keiner »lebensbedrohlichen Situation« befunden. Ebenso stellte der Richter fest, dass Reinhard R. den ersten tödlichen Schuss auf Dennis J. aus etwa eineinhalb Metern Entfernung »zumindest mit bedingtem Tötungswillen« abgefeuert habe. Das Gericht sah es weiterhin als erwiesen an, dass Olaf B. und Heinz S. ihren Kollegen zu decken versucht haben. Obwohl sich die beiden Beamten in unmittelbarer Nähe des Schützen befanden, sagten sie im Prozess aus, sie hätten die insgesamt acht Schüsse, die abgefeuert wurden, wegen der Sylvesterknaller nicht hören können. Der Richter deutete dieses Aussageverhalten als »Korpsgeist«, der aber »kein Spezifikum der Berliner Polizei« darstelle, wie der Brandenburger Staatsanwalt in seinem Schlussplädoyer beschrieb.
Noch am Abend nach der Urteilsverkündung mobilisierte die Antifaschistische Linke Berlin mit den Hinterbliebenen zu einer Kundgebung auf dem Berliner Hermannplatz. Nach Redebeiträgen, die auf die ebenfalls von Polizisten getöteten Halim Dener und Tennesse Eisenberg hinwiesen, formierte sich spontan ein Demonstrationszug von etwa 200 Menschen. Sie wurden jedoch nach wenigen hundert Metern von einem Großaufgebot der Bereitschaftspolizei gestoppt. Dabei wurden Pfefferspray sowie Schlagstöcke eingesetzt und mindestens sieben Personen vorläufig festgenommen, darunter Angehörige von Dennis J. und Journalisten.
Auch diese Demonstration wurde nur von wenigen linken Gruppierungen unterstützt. In Teilen der Medien wird der von Unterstützern als »Hinrichtung« bezeichnete Totschlag noch immer mit der kriminellen Laufbahn des Opfers relativiert. Aber gerade die Tatsache, dass mit Dennis J. ein »ganz normaler« junger Mann aus Neukölln durch Polizeigewalt starb, hätte vermuten lassen, dass die öffentliche Bestürzung über dessen Tötung größer ausfallen würde. Dennoch setzen die Unterstützer und Angehörigen des Opfers ihre Arbeit fort. So fand zu Wochenbeginn erneut eine Informationsveranstaltung zum Prozess mit der »Initiative Oury Jalloh« statt. Auf diese Weise entwickelt sich vielleicht zum Revisionsverfahren eine Vernetzung im linken Spektrum.