Autonome WM-Gruppe (AWMG) im Interview über den Fahnenstreit in der Berliner Sonnenalle und anderswo

»Der Fahnenstreit ist ein Kasperletheater«

Der sogenannte Neuköllner Fahnenstreit tobt nicht nur in dem Berliner Viertel, sondern mittlerweile auch in ARD und ZDF.

Unter den derzeit überall demonstrativ zur Schau gestellten schwarz-rot-goldenen und Reichskriegsflaggen wurden ausgerechnet eine in Neukölln beheimatete Fahne zum medialen Superstar der Deutschland-Devotionalien. Ihr Besitzer Youssef Bassal stammt aus dem Libanon und wurde nach eigenem Bekunden von, wie die Zeit schrieb, Angehörigen der »sogenannten linksautonomen Szene« nachdrücklich aufgefordert, die Flagge zu entfernen. Was Bassal über Deutschland, Fußball und schwarz-rot-goldene Tücher denkt, ist unter dem Label »Neuköllner Fahnenstreit« mittlerweile selbst in süddeutschen Provinzblättchen nachzulesen. Aber was sagen seine angeblichen Kontrahenten von der AWMG, der Autonomen WM-Gruppe?
Wer seid Ihr, und was geht es Euch an, wer wo welche Fahne raushängt?
Wir sind ein loser Zusammenhang junger und gar nicht mal mehr so junger Menschen mit den verschiedensten Sozialisationshintergründen, für die dieses ach so unpolitische Wedeln mit Nationallumpen, ganz einfach gesagt, kaum etwas mit Sport zu tun hat, sondern vor allem einen Rückfall in antiemanzipatorische Ressentiments darstellt.
Von den auf Fanmeilen grassierenden Sprüchen wie »Wer nicht hüpft, ist kein Deutscher« über trans- und homophobe Übergriffe bis hin zu gezielten Angriffe auf Menschen, die man für Feinde Deutschlands hält, steht die Realität in krassem Kontrast zu den Heile-Welt-Bildchen, das die Medien vom »Partyotismus« gerne malen.
Mögt Ihr überhaupt Fußball?
Teilweise sind wir aktive Fußball-Fans, aber es gibt natürlich auch Menschen in unserem Zusammenhang, die sich abseits des nationalen Schwampfs kaum bis gar nicht für Fußball interessieren.
Kommen wir zu dem, was als Neuköllner Fahnenstreit gerade bundesweit bekannt wurde – lustiger Aspekt am Rande: Im Sat1-Frühstückfernsehen leitete die Moderatorin den entsprechenden Beitrag ein mit einem flockigen: »Und nun nach Nordrhein-Westfalen, wo sich ein Fahnenstreit …«
In meinen Augen ist das ein hochstilisiertes Kasperletheater, wo man mit recht einfachen Karikaturen von bösartigsten autonomen Nestbeschmutzern, die in ihrer Selbstgefälligkeit rassistische Beißreflexe der bürgerlichen Gesellschaft reproduzieren, um sich werfen kann und somit der Hetze gegen die mehr oder minder radikale Linke (oder die, die sich dafür halten) mehr Futter liefert. So kann sich auch der gegenüber Linken offenste Aktivbürger endlich gegen die gewaltbereiten und Gesetze des Rechtsstaates beugenden Hasskappenträger stellen, da diese ja angeblich im Grunde ähnlich rassistisch Aktionen machen wie die »Autonomen Nationalisten«. Quasi der Beweis, dass die Hufeisen-Theorie letztlich doch funktioniert. Und wenn dann selbst die Springerpresse das Bild vom »guten integrierten Südländer« für sich entdeckt, kann man nur verlieren.
Dem Besitzer der riesigen Fahne, die da in Neukölln von einem Haus wehte, wird das aber herzlich egal sein. Zumal er ja nicht auf einer Fanmeile Anhänger anderer Teams ­beleidigt oder bedroht, sondern eben bloß dieses Tuch herumbaumeln lässt …
Wir haben als Gruppe – entgegen der Behauptung der ARD, dass wir den Fahnenstreit organisieren würden – lediglich darüber informiert, dass es diese riesige Windel gibt und in einem mittlerweile wieder entfernten Aufruf verbreitet, dass das Ding zu klauen 100 Punkte wert sei. Ansonsten haben wir rein gar nichts damit zu tun.
Uns ist es, ehrlich gesagt, auch egal, wem die Fahnen gehören, sei es jetzt Dustin Deutschländer oder eben ein Mensch mit Migrationshintergrund, die Problematik bleibt zu oft die Gleiche.
Immerhin, Ihr habt der ARD ein Interview gegeben.
Nein, haben wir nicht.
Wohl. Und zwar dem Nachtmagazin.
Der Scheiß mit der ARD hat im Grunde damit angefangen, dass wir am Montag vergangener Woche eine Mail von einem ARD/RBB-Menschen bekommen hatten, der uns fragte, ob wir für ein Interview zur Verfügung stünden. Die Gruppe hatte zuvor die Entscheidung getroffen, dass Fernseh- oder Telefoninterviews mit Vertretern der Massenmedien ein NoGo seien. Das teilten wir auch so mit, fügten aber hinzu, dass wir bereit wären, nach einer Information darüber, in welche Richtung der geplante Bericht gehen würde, eine kurze schriftliche Stellungnahme zu verfassen.
Daraufhin kam nichts mehr. Am Mittwoch trudelte allerdings eine Mail vom ZDF ein, in der wir gefragt wurden, ob wir denn mit ihnen ein Interview machen würden. Wir schrieben das gleiche wie dem Menschen vom Ersten, und als wir die Antwort bekamen, dass wir schließlich den Leuten vom Nachtmagazin zur Verfügung gestanden hätten, kamen wir nach kurzer Recherche dahinter, dass es a) einen ekelhaft tendenziösen Bericht über den Fahnenstreit gegeben hat und b) ein Mensch unter unserem Label wirklich ein Interview gegeben hatte.
Unsere Reaktionen reichten von »Öffentlich-Rechtliche enteignen« bis zu einem gewissen Galgenhumor, den wir dann gekoppelt mit dem unsäglichen Taz-Artikel in »Jens und die Anti­deutschen« verarbeitet haben. Gestern kam die Mail von dem Menschen der ARD, der dann erklärte, dass sie angeblich nicht gewusst hätten, dass »Jens« nichts mit uns zu tun hatte, aber trotzdem kommt uns die Sache komisch vor. Wir wurden direkt angeschrieben, haben eine Absage erteilt, und dann springt irgendwo ein Typ aus der Hecke, geht zur ARD und sagt: »Hey, ich bin Jens von der AWMG und hier, um ein Interview zu geben«? Das alles passt nicht so recht zusammen.
Was sagte dieser Jens denn überhaupt?
Ach, der durfte ein antinationales Allgemeinsätzchen – mit dem wir größtenteils auch d’accord gehen können – von sich lassen, bevor Bassal dann wieder fast schon tränenerstickt vom kleinen Deutschland in sich faselte. Ich glaube, unsere Reaktion wäre heftiger ausgefallen, hätte »Jens« da irgendwie reaktionären Mist von sich gegeben.
Das heißt, Jens hat zumindest Eure Sachen gelesen und verstanden? Vielleicht werdet Ihr ja noch beste Freunde, Jens und die AWMG?
Ja, wir haben ihm ja, in der Annahme, er sei ARD-Praktikant, schon angeboten, in unserem sanften Schoß Zuflucht zu finden, wenn es ihm beim offensichtlich-rechtlichen Fernsehen zu eng wird. Ganz anders als »Kya« damals beim G8.
Auf der anderen Seite bleibt halt der schale Nachgeschmack. Wenn man annimmt, dass es wirklich ein ARD-Fake war, stellt man sich natürlich die Frage, wo die in ihrer journalistischen Arbeit eine Grenze ziehen.