Abschiebungen von Roma in das Kosovo

Endstation Kosovo

Die deutsche Praxis, Roma und andere Minderheiten in das Kosovo abzuschieben, gerät immer stärker in die Kritik.

Seit einem halben Jahr sind die Shalas zurück. Sie leben in einem kleinen Dorf in der Nähe von Mitrovica im Nordosten des Kosovo. Medizinische Versorgung und Arbeit hatte man dem Roma-Ehepaar im Rahmen des Rückkehrprogramms URA 2 zugesichert: Unterstützung und Geld, um sich wieder anzusiedeln in einem Land, aus dem sie vor 17 Jahren nach Deutschland geflohen waren. Gut sollte es ihnen hier gehen, das war zumindest der Plan. Doch die Realität, die sie vorfanden, sah anders aus. Nachdem Aysha Shala in Deutschland bei einem Autounfall schwer verletzt wurde, ist sie traumatisiert. Sie kann nicht einmal die Fahrtkosten aufbringen, um eine Therapie in Priština in Anspruch zu nehmen. Aysha Shala ist zum Pflegefall geworden. Der Job im Nachbardorf, den ihr Mann Lulzim dank deutscher Vermittlung gefunden hatte, lief mit dem Ende der Förderung aus. 75 Euro Sozialhilfe sind alles, was dem Paar im Monat bleibt. Stephan Dünnwald von Pro Asyl kann viele solcher Beispiele nennen, an denen deutlich wird, dass zwischen dem Anspruch einer sozialverträglichen Rückkehr mit URA 2 und der Lebensrealität im Kosovo Welten liegen.

In Deutschland leben derzeit etwa 14 000 Roma, Ashkali und sogenannte Kosovo-Ägypter, die als »ausreisepflichtig« gelten. Bis zu 2 500 von ihnen können pro Jahr abgeschoben werden. Hans-Hermann Gutzmer vom Niedersächsischen Innenministerium spricht davon, dass es sich hierbei um eine Gruppe handele, bei der »in besonderem Maße Integrationsschwierigkeiten« vorlägen. In vielen Fällen, sagte Gutzmer Ende Juni bei einer Anhörung des Innenausschusses des Bundestags, fehle es an der »notwendigen Bereitschaft, sich intensiv um eine Erwerbstätigkeit zu bemühen«, eine Begründung, die insbesondere von Vertretern der Kirchen kritisiert wird. Oft seien es alte, kranke und behinderte Menschen, die von der Bleiberechtsregelung in Deutschland nicht profitieren konnten und in besonderem Maße Schutz und Hilfe bedürften, sagt Sebastian Ludwig vom Bundesverband Diakonie. Ihre Chance, sich in die Gesellschaft des Kosovo zu integrieren, tendiere »gegen Null«. Die Arbeitslosigkeit im Kosovo liegt bei rund 90 Prozent. Nach Jahren des Aufenthalts in Deutschland verfügen die Rückkehrer zudem über keinerlei Netzwerke, die ihnen Schutz und Sicherheit bieten. Vor allem Roma, Ashkali und Kosovo-Ägypter leben nach der Abschiebung in großer Armut, Pro Asyl geht davon aus, dass einer Familie im Schnitt nicht mehr als 80 Euro im Monat zur Verfügung stehen. Viele leben davon, was ihnen in Deutschland gebliebene Verwandte überweisen.Die Minderheiten der Roma, Ashkali und Ägypter sind unter den ethnischen Gruppen des Kosovo die Schwächsten. Sie werden nicht nur gesellschaftlich diskriminiert, sondern sind auch den Anfeindungen durch albanischstämmige Sicherheitskräfte ausgesetzt, die in den Roma Verbündete der verhassten serbischen Minderheit sehen. Abgeordnete der Grünen und der Linkspartei fordern, die Abschiebungen in das Kosovo für Minderheiten auszusetzen und den Betroffenen aus humanitären Gründen ein Bleiberecht zu gewähren.

Die meisten Rückkehrer ziehen nicht in ihre Herkunftsorte. Nach dem Ende des Kosovo-Krieges wurden ganze Stadtteile ethnisch gesäubert, das Eigentum der Roma niedergebrannt und geplündert. Mehr als 235 000 Roma, Ashkali und Ägypter verloren durch Flucht oder Vertreibung ihren Wohnsitz. Sie wurden zu Binnenflüchtlingen, die in vielen Fällen ihre Rechte nicht geltend machen können. Eine aktuelle Studie des UN-Flüchtlingshilfswerks kommt zu dem Ergebnis, dass »grundlegende Menschenrechte und der Zugang zu Sozialleistungen bei einem hohen Prozentsatz der Kosovo-Roma erheblich eingeschränkt sind«. Die UN-Übergangsverwaltung des Kosovo (UNMIK) hatte bislang Abschiebungen von Roma in das Kosovo verhindert und Rückführungen von Ashkali und Ägyptern nur nach eingehender Prüfung gestattet. Im November 2008 gab die UNMIK die Zuständigkeit für Rückführungsfragen an die kosovarische Regierung zurück. Im April 2010 verständigte sich diese mit dem deutschen Innenministerium darauf, gemäß einer Quote künftig auch Roma aufzunehmen. Das Kosovo wird von den deutschen Behörden mittlerweile als »stabil« eingestuft – eine Einschätzung, der Flüchtlingsverbände vehement widersprechen. »Die Menschen kehren zurück in eine Nach-Bürgerkriegsgesellschaft, die in hohem Maße ethnisch fragmentiert ist«, sagt Dünnwald. Knapp die Hälfte der »freiwilligen Rückkehrer« sind Kinder und Jugendliche. Die meisten von ihnen wurden in Deutschland geboren und haben das Land, in das sie abgeschoben werden, noch nie gesehen. Die Rückkehr bedeutet für sie in der Regel das Ende ihres Bildungsweges. »Nur noch einses von vier Kindern geht im Kosovo weiter zur Schule«, erzählt Johannes Wedenig, der das Unicef-Büro in Priština leitet. Die Gründe dafür sind Armut und fehlende Papiere, die in den Wirren der Abschiebung verloren gingen. Wenn keine Zeugnisse vorliegen, weigern sich Schulen, die Kinder aufzunehmen. Doch auch diejenigen, die ein deutsches Schulzeugnis vorweisen können, werden oftmals von den Lehrern nach Hause geschickt. Da sie in Deutschland aufgewachsen sind, sprechen die meisten weder Albanisch noch Serbisch – ein Umstand, der sie um Jahre zurückwirft, die später kaum aufgeholt werden können.
»Früher konnten Roma nicht in den Kosovo abgeschoben werden, weil die Lage es nicht zuließ. Die Situation hat sich jedoch nicht grundlegend verändert«, kritisiert Ludwig die Abschiebepraxis. UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon warnte kürzlich den Sicherheitsrat, dass Abschiebungen von Roma die fragile Sicherheitslage im Kosovo gefährden könnten. »Unter diesen Bedingungen zurückzukehren, ist unzumutbar«, meint Ludwig. In den verantwortlichen Innenministerien der Länder, die die Abschiebungen durchführen, sieht man das anders, dort möchte man an der Abschiebepraxis festhalten. Ausreisewillige Roma belasten auf Dauer das Sozialsystem, argumentierte Gutzmer, eine »Gefahr für Leib und Leben« sehe er nicht. Im November vorigen Jahres reiste er mit einer Delegation in das Kosovo, um sich ein Bild von der dortigen Situation zu machen. Im Reisebericht wird die Hauptstadt Priština – trotz gravierender Arbeitslosigkeit und Armut – als eine »prosperierende Großstadt« beschrieben, die sich ihren Besuchern »mit einer bunten Vielfalt und einem regen Wirtschaftsleben« präsentiere. Das ist nur eine von vielen Fehleinschätzungen, die der Niedersächsische Flüchtlingsrat in einem Gutachten offenlegte. »Die Delegation hat sämtliche Aspekte unterschlagen, die gegen eine Abschiebung von Flüchtlingen sprächen«, bilanziert Bastian Wrede vom Flüchtlingsrat.

Auch Christian Schwarz-Schilling, ehemaliger Hoher Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina, kritisierte bei der Anhörung im Innenausschuss die deutsche Abschiebepraxis. Analysen von Sachverständigen internationaler Organisationen wie der Uno oder der OSZE blieben ebenso unbeachtet wie die Appelle des EU-Menschenrechtskommissars Thomas Hammerberg. Schwarz-Schilling erinnerte zudem an die historische Verantwortung, die Deutschland gegenüber den Roma habe. Während des Nationalsozialismus wurden die Angehörigen jeder zweiten Roma-Familie ermordet. »Es reicht nicht aus, Denkmäler zu errichten und Gedenktage abzuhalten«, mahnte Schwarz-Schilling. »Wir dürfen bei Menschenrechtsverletzungen nicht die Augen verschließen und so tun, als ginge uns das Ganze nichts an.«