»Hey Baby«, ein Ego-Shooter gegen Sexismus

Lara Croft war gestern

Im Ego-Shooter »Hey Baby« kann die weibliche Spielfigur Männer abknallen, die sie sexuell belästigen. Ein Spiel für Frauen ist es allerdings nicht. Die Zielgruppe sind wohl eher Männer, die spielerisch etwas über Sexismus lernen sollen.

Auf den ersten Blick könnte »Hey Baby« ein Ego-Shooter sein wie jeder andere auch. Doch hier sind die Feinde keine Zombies, die irgendwo aus den Gräbern gestiegen sind und unschuldige Menschen verfolgen, sondern Männer, die auf den Straßen einer US-amerikanischen Kleinstadt Frauen anmachen. Selbst ungeübte Computerspielerinnen und -spieler merken schon beim Besuch der Webseite heybabygame.com, dass es sich um kein normales Spiel handelt. Angaben zu Preisgestaltung, Hard- oder Softwareanforderungen fehlen völlig, außerdem kann man das Spiel nur auf der Seite online spielen oder kaufen. Wegen der hohen Nachfrage sei es derzeit allerdings nicht verfügbar.

Ist das Spiel einmal geladen, läuft man als Frau durch eine Kleinstadt. Mehr als das Maschinengewehr ist zwar von der Spielfigur nicht zu erkennen, doch die auf sie einströmenden »Komplimente« verdeutlichen das Geschlecht sehr eindringlich. Von ekligen Bemerkungen wie »Uh nice crotch« (netter Intimbereich) über zudringliche Fragen – »Excuse me, do you have a boyfriend?« (Entschuldigung, hast Du einen Freund?) – bis hin zur rassistisch konnotierten Beschwerde – »You’re beautiful, what’s the matter with you, you don’t speak Englisch?« (Du bist schön, was ist dein Problem, sprichst Du kein Englisch?) – ist alles dabei. Dreht die Frauenspielfigur sich um, wird sie verfolgt, und die Sprüche hören sich seltsam gehaucht an, ein Faktor, der zusätzliches Unwohlsein garantiert. Da es auf meinen Testrechnern leider nicht möglich ist, die Herren mit einem »Danke« in rosa Herzchen aufzulösen – das ist eine von zwei Optionen im Spiel –, bleibt als einzige Lösung, den nicht enden wollenden Munitionsvorrat aufzubrauchen und jeden Sprücheklopfer in einen Grabstein mit Blumen zu verwandeln. Die Sprüche sind dann noch einmal als Grabinschriften nachzulesen. Unbeteiligte Passanten und die Frauen der Stadt sind dabei seltsam immun gegenüber Kugeln, wie auch das übrige Inventar, abgesehen von ein paar Fässern. Beendet ist das Spiel mit dem Tod der Belästiger aber nicht. Mit jeder Runde durch die Stadt kommen die gleichen Sprüche von immer neuen Störenfrieden.
Für den Journalisten Seth Schiesel der New York Times war das Spiel ein Schlüsselerlebnis. Er habe sich zunächst verzweifelt gefragt, was er tun solle, dann dämmerte ihm, dass es unzähligen Frauen auf der Welt im realen Leben jeden Tag genauso gehe wie der Spielfigur. Deshalb, so sein Fazit, sei »Hey Baby« eher ein Spiel, das Männer spielen sollten, um ihnen »die Augen zu öffnen«.
Eine nachvollziehbare Forderung, und vermutlich auch die Absicht des Spiels, denn wer jeden Tag im realen Leben damit rechnen muss, blöd angemacht zu werden, hat vermutlich nicht auch noch in seiner Freizeit und in der virtuellen Welt Lust darauf. Jedes befreiende Gefühl ist im Spiel nur von kurzer Dauer, bis der nächste Nerver auftaucht. Dazu gibt es noch einige versteckt eingebaute Alltagssexismen. Ein Laden schreibt zum Beispiel in seinem Eingang »Parking in rear« (Eingang hinten) und hat darunter eine Schaufensterpuppe in Straps und String aufgestellt, natürlich mit dem Hintern nach außen. Das Ganze in veralteter Grafik, mit wild ineinander hineinlaufenden Personen und obendrauf noch quälender Klingeltonmusik – der Tab wird schnell geschlossen, Spaß sieht heute anders aus.

Obwohl das Spiel feministische Inhalte wie sexuelle Belästigung und Sexismus thematisiert, fielen die Reaktionen in der feministischen Blogosphäre nicht begeistert aus. Jennifer Kesler fürchtete auf The Hathor Legacy, mit der Darstellung von »Gewalt als Lösung« könne das Spiel seine eigene Botschaft und den Kampf vieler Frauen gegen alltägliche Belästigung unterminieren. Immerhin heiße es häufig, ungewollte Anmachen seien in Wirklichkeit schmeichelhafte Komplimente, über die Frauen sich zu freuen hätten. Schon verbales Sich-Wehren werde oft als »weibliche« Überreaktion abgetan. Die Option »Tötung« trivialisiere allerdings aus feministischer Perspektive die Problematik. Damit weist sie auf die Gefahr hin, dass das Spiel einfach als ein Projektionsfeld für männerhassende Rachephantasien funktionieren könnte. Auch Amanda Hess vom Washington City Paper betonte, feministische Interessen könnten kaum von Spielen transportiert werden, die Gewalt enthalten.
Ob das Spielen gewalttätiger Computerspiele Menschen zu realer Gewalt animiert, ist weiterhin umstritten. Schließlich ist Gewalt ein zentrales Element von Egoshootern. Und wenn das Spielen von »Counterstrike« nicht automatisch zum Amokläufer macht, kann man das auch im Falle von »Hey Baby« kaum behaupten. Der politisch korrekte Verzicht auf Gewalt ließe »Hey Baby« außerdem auch lächerlich aussehen.
Zum Verhältnis zwischen Gewalt in der virtuellen Welt des Spiels und im realen Leben betonte die Gamedesignerin von »Hey Baby«, die Künstlerin Suyin Looui, im Interview mit dem US-ame­rikanischen National Public Radio, dass sie die Gewalt ausdrücklich überzogen darstellen wollte, aber nicht als Strategie zur Problemlösung oder zur Überwindung von Sexismus. Für die abgeknallten Männer gibt es im Spiel keine Punkte oder Belohnungen. Vor allem aber gibt es kein Ziel, keine endgültige Lösung für den Spieler, was als Verweis auf den Alltag vieler Frauen verstanden werden kann, die belästigt und angequatscht werden, egal was sie anhaben oder wie sie sich verhalten. Für sie gibt es auch keine richtige Lösung: Keine Reaktion zu zeigen, verärgert den Gegenüber oft genauso wie eine schlagfertige Bemerkung, während ein Lächeln oder »Danke« – wenn die Anmache einigermaßen zivilisiert ausfällt – leicht als Ermunterung ausgelegt werden können weiterzumachen.
Abgesehen von der Gewaltdebatte, hat »Hey Baby« für Aufsehen gesorgt, weil es darauf hinweist, wie störend oder auch angsteinflößend bereits vermeintlich harmlose Anmachen auf viele Frauen wirken. Damit hat das Spiel jedenfalls sein Ziel erreicht.

Gerade Computerspiele bieten feministischen und queeren Strömungen heute neue Möglichkeiten. Anders als bei Büchern oder Filmen kann ein Spiel immer neu gestartet werden, um verschiedene Entscheidungen auszuprobieren, auf ein neues Ziel hinzuarbeiten oder auch die Ausgangsbedingungen völlig zu ändern. Statt sich auf einen Charakter zu beschränken, ist es möglich, verschiedene Lebensentwürfe durchzuspielen. In der kommerziellen Computerspielproduktion werden diese Möglichkeiten derzeit viel zu selten genutzt. Die Hauptfiguren von Games sind meistens Abbilder der jungen, männlichen, weißen Entwickler, die auch nur junge, männliche, ­weiße Spieler als Adressaten im Blick haben.
So ist auch die äußere Erscheinung in vielen Spielen zwar individuell einstellbar, häufig aber nur in engen Grenzen. Die ewige Kopiervorlage weiblicher Spielfiguren bleibt weiterhin Lara Croft, obwohl Computerspielerinnen immer wieder nach realistischeren Figuren verlangen. Immerhin stieg der Anteil von Spielen mit Protagonistinnen im Jahr 2009 deutlich an, wie ein Blick in die Datenbankseite mobygames.com zeigt. Ob der Trend anhalten wird, muss sich aber erst zeigen. Weiterhin überwiegt in europäischen und US-amerikanischen Produktionen die Hautfarbe weiß, schwarze Protagonisten oder gar Protagonistinnen sind selten.
Ebenso mangelhaft ist die Repräsentation von queeren Lebensweisen. Zwar tauchen in Computerspielen Homosexuelle auf, bei genaueren Hinsehen ist deren Darstellung jedoch nicht unproblematisch. Oft wird die (angenommene) ­Sexualität von Charakteren auf niveaulose Schwulenwitze reduziert oder am »verweiblichten« Verhalten oder Aussehen bestimmter Figuren festgemacht. Die äußerst seltenen Transgender-Charaktere werden gern mit Magie in Verbindung gebracht oder, dem Klischee »Mann in Frauenkleidern« folgend, als wandelnde Witzfiguren benutzt. Statt gerade Jugendlichen Identitifikationsmöglichkeiten zu eröffnen, setzen Computerspiele oft auf Stereotype.
Im Internet wird daran Kritik zu formuliert. Bloggende Computerspielerinnen reklamieren öffentlich, dass sie ernst genommen werden wollen. Das Blog Border House vereint etwa unter anderem gamende Feministinnen, Transgenders und people of color, die alle eine bessere Repräsentation in Computerspielen fordern. Abseits großer Firmen bieten sich Nischen, um eigene Spiele zu entwerfen und, wie im Falle von Suyin Looui, damit sogar für Aufsehen zu sorgen.