Kann Russland die Bundestagswahl beeinflussen?

Yes, he can

Kommentar Von Ivo Bozic

Wenn Wladimir Putin wirklich Angela Merkel stürzen wollte, müsste er Rot-Rot-Grün unterstützen.

Als sich die Hinweise häuften, dass die russische Regierung die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten entscheidend beeinflusst haben könnte, fragten die Medien hierzulande besorgt, ob Wladimir Putin als nächstes Angela Merkel stürzen wolle. Sich mit dieser Frage zu beschäftigen, ergibt jedoch nur Sinn, wenn man zunächst eine andere beantwortet: Kann er? Nun, Einfluss nehmen auf den politischen Diskurs im Land, das kann er und das tut er längst. Der russische Präsident ist durch und durch Geheimdienstler, in Putin lebt der alte KGB weiter. Wie man Gesellschaften oder Organisationen zersetzt, das hat er gelernt, politische Lager gegeneinander auszuspielen, ist seine leichteste Übung.
Das ist keine Verschwörungstheorie, noch nicht einmal ein Geheimnis. Russland fördert in Europa derzeit vor allem Rechtspopulisten, finanziert zum Beispiel den Front National von Marine Le Pen, die im Gegenzug erklärt, sie sei bereit, die Rechtmäßigkeit der »Wiedervereinigung« der Krim mit Russland anzuerkennen, sollte sie zur Präsidentin Frankreichs gewählt werden. Die höchsten Vertreter der österreichischen FPÖ reisten im Dezember nach Moskau und unterzeichneten ein Papier zur Zusammenarbeit mit Putins Partei »Einiges Russland«. Matteo Salvini von der italienischen Lega Nord fährt regelmäßig zu »politischen Konsultationen« nach Moskau. Auch Vertreter der Jugendorganisation der AfD, der »Jungen Alternative«, haben sich mit der Jugendorganisation von Putins Partei, der »Jungen Garde«, getroffen, um eine »Zusammenarbeit auszuloten«, wie sie sagten.
Als das extrem rechte Magazin Compact 2014 zu einer sogenannten »Friedenskonferenz« nach Berlin lud, zählte zu den Rednern auch Wladimir Jakunin, der Präsident der russischen Eisenbahn, ein enger Vertrauter Putins mit 20 Jahren Geheimdiensterfahrung. Dass der Propagandakanal RT Deutsch nicht gerade die Unterstützung Merkels auf dem Programm hat, ist offensichtlich. Er mobilisiert aber nicht nur rechte Wutbürger. Eine Umfrage, die RT Deutsch 2015 selbst durchgeführt hat und an der 2 000 Personen teilnahmen, ergab, dass sich die Leser und Zuschauer des Online-Portals parteipolitisch vor allem aus drei Gruppen zusammensetzen: Nichtwähler, Anhänger der AfD und Anhänger der Linkspartei.
Die Mittel, Einfluss zu nehmen im Bundestagswahlkampf, hat Putin also. Doch will er auch? Was hätte er davon, Merkels Wiederwahl zu verhindern? Welches Interesse könnte er haben? Spekulieren wir: Die Rechten, also konkret die AfD, zu unterstützen, passt in das Konzept, nationalistische, autoritäre und antieuropäische Organisationen zu fördern. Aber die AfD wird nicht die Kanzlerin stellen. Wenn sie bei der Bundestagswahl gut abschneidet, könnte das eine Regierungsbildung kompliziert machen, das würde Instabilität bedeuten. Das könnte in Putins Interesse sein. Doch wenn Putin Merkel stürzen wollte, müsste er dann nicht statt der Rechtspopulisten vielmehr die einzig rechnerisch und politisch denkbare Konkurrenz zu einer von Merkel geführten Koalition unterstützen, nämlich Rot-Rot-Grün? In der SPD finden sich nicht wenige Putin-affine Politiker. Zudem liegt es auf der Hand, dass – neben der AfD – die Linkspartei vermutlich ein besonders gutes Standing bei Putins Strategen hat.
Doch auch hier ist es nicht so einfach: Gerade Sahra Wagenknecht, die wohl zu Putin loyalste Politikerin der Linkspartei, ist es, die derzeit das Regierungsprojekt Rot-Rot-Grün hartnäckig torpediert – und somit die einzige realistische Alternative zu einer von Merkel geführten Regierung.
Putin weiß sicher, dass er bei dieser Wahl keinen abhängigen Getreuen zum Kanzler wird machen können, die russische Propaganda läuft deshalb wohl nicht auf einen »Sturz« Merkels hinaus, sondern vorerst auf eine weitere Polarisierung und Hysterisierung der Gesellschaft. Und das ist viel schlimmer.