Protest gegen Abtreibungsgegner in Berlin

Die Kreuze schwimmen lassen

Christliche Abtreibungsgegner wollen durch Berlin marschieren. Ein Bündnis hat dagegen Protest angemeldet – der in diesem Jahr indirekt auch von Katholiken finanziert wird.

Was war das für ein Anblick im September 2009. Oben auf der Bühne ein Barde mit weißem, längerem, jedoch schon schütter werdendem Haar, der schmetterte: »Lebt in der Liebe, so wie Christus uns geliebt hat.« Vor der Bühne zumeist ­ältere, schwarzgekleidete Menschen mit ernsten Mienen, aber auch junge, sehr bunt gekleidete Personen, die im Takt der Musik neongrüne Dildos schwenkten. Touristen blieben irritiert stehen. Jesusfreaks? Christen für Sexspielzeug? Eine neue Sekte? Alles falsch. Es handelte sich um die Auftaktveranstaltung des »1 000-Kreuze-Marsches für das Leben« 2009, zu dem der Bundesverband Lebensrecht (BVL) einmal jährlich in Berlin-Mitte aufruft. Unter die christlichen Abtreibungsgegner hatten sich Gegendemonstranten gemischt, die kurze Zeit später den Marsch blockierten und einige erbeutete Kreuze in die Spree warfen.
Ähnliche Szenen erwartet Leonie Schneider, eine Vertreterin des Bündnisses »1 000 Kreuze in die Spree«, wieder: »Wir werden auch in diesem Jahr nicht zulassen, dass fundamentalistische Abtreibungsgegnerinnen und -gegner ihre menschenverachtende Propaganda unwidersprochen auf die Straße tragen. Ihren Lügenmärchen werden wir gute Argumente und ihrem Trauermarsch fröhliche und selbstbestimmte Aktionen entgegensetzen.« Tatsächlich ist die Zahl von 1 000 Abtreibungen pro Werktag in Deutschland, die die selbsternannten Lebensschützer nennen, frei erfunden. Das statistische Bundesamt geht von knapp 300 Schwangerschaftsabbrüchen pro Tag aus, mit sinkender Tendenz.

Gefälschte Zahlenangaben sind nicht der einzige Vorwurf, der gegen die Abtreibungsgegner erhoben werden kann. Sie propagieren eine recht altmodische Form von Ehe und Familie, agitieren gegen Verhütungsmittel und halten Homosexualität für eine »heilbare Krankheit«. Weibliche Emanzipation und Selbstbestimmung sind ihnen zuwider. Dennoch behaupten sie, im Sinne der Frauen zu handeln. So forderte der Salzburger Weihbischof Andreas Laun auf der letztjäh­rigen Kundgebung, »die Politik sollte die Frauen wieder ernst nehmen«, damit diese »vor dem Druck der Gesellschaft, die nur will, dass sie arbeiten gehen und keine Kinder haben, einen Schutz« hätten. Außerdem handelten »die Feministinnen ständig gegen die Frauen«.
Solche Ansichten kommentiert Leonie Schneider: »Leute wie Herr Laun wollen Frauen wieder auf ihre vorgeblich natürlichen Aufgaben und die drei großen K reduzieren, nämlich Kinder, Küche, Kirche. Abtreibungsgegner üben Druck auf Frauen aus, indem sie diese vor Abtreibungskliniken belästigen und behaupten, es gäbe eine psychische Störung, die alle Frauen nach einer Abtreibung bekämen. Vor der Propaganda solcher Leute wollen wir uns schützen.«
Ein Thema, das der BVL bei der diesjährigen Kundgebung neben Schwangerschaftsabbrüchen ebenfalls aufgreifen will, ist die gesellschaftliche Debatte um Sterbehilfe und Patientenverfügungen. So soll auch gegen »das erneute Aufkommen der Euthanasie« demonstriert werden. Dies wertet der Pressesprecher des Gegenbündnisses, Pablo Valgolio, als »ungeheuere Verharmlosung der Vernichtung von sogenanntem ›unwertem Leben‹ durch die Nationalsozialisten«. Die 1000-Kreuze-Märsche seien zudem »offen nach rechts«, in München und Münster »beteiligten sich in den vergangenen Jahren auch Neonazis« an den Demonstrationen. Man werde den Abtreibungsgegnerinnen und -gegnern am Samstag mit einer Gegenkundgebung auf jeden Fall »lauten Widerstand entgegensetzen«.

Die Berliner Rapperin Sookee beteiligt sich an den Protesten gegen die Abtreibungsgegner mit einem ganz besonderen Beitrag. Im Juli trat die Musikerin, die in ihrem Song »Pro-Homo« auch eine gegen den Papst gerichtete Zeile rappt, ausgerechnet auf einem Jugendfestival der katholischen Kirche in Baden-Württemberg auf. Die Gage, die sie für dieses Konzert erhielt, übergab sie auf einer Pressekonferenz in der vergangenen Woche dem Bündnis »1 000 Kreuze in die Spree«. Dass Katholiken auf Umwegen dieses Bündnis unterstützen, ist eine amüsante Form der Umverteilung.
Die Organisatorinnen und Organisatoren des Jugendfestivals hätten sich aber an ihrer Kritik am Papst nicht gestört, sagt Sookee, sie hätten diese sogar begrüßt. Auch die Bedingung der Musikerin, zusätzlich zu dem Auftritt einen Workshop zum Thema Heteronormativität anzubieten, sei akzeptiert und von den Jugendlichen gut aufgenommen worden. »Es geht mir darum, die Leute positiv zu irritieren«, beschreibt Sookee ihre Motivation für die Teilnahme an dem Festival.
Die Gründe, sich am Protest gegen die Abtreibungsgegner zu beteiligen, sind für die Musikerin offensichtlich. Als besonders »makaber« bezeichnet sie die »Embryonen-Offensive« des Vereins Durchblick, der auch Mitglied im BVL ist. Der Verein verschickte kürzlich im Saarland mehr als 300 000 Plastikembryonen an Privathaushalte, die der »Aufklärung« über die angeblich schreck­lichen Folgen einer Abtreibung dienen sollten. Im Begleitmaterial wird das Übliche vorgebracht: Eine Schwangerschaft bestehe ab dem Moment des Verschmelzens von Samenzelle und Ei, die Dunkelziffer für Abtreibungen in Deutschland sei unglaublich hoch, nach einer Abtreibung drohten jeder Frau unausweichlich Depressionen und Schlimmeres.

Um solcher Propaganda entgegenzutreten, unterstützt Sookee die Proteste. Außerdem gelte es, auf die Politik der Abtreibungsgegner aufmerksam zu machen, da sie »aus der öffentlichen Wahrnehmung, auch der linkspolitischen, weggeknickt« sei. Leonie Schneider findet das Beispiel der Musikerin jedenfalls recht inspirierend: »So wie Sookee das Geld der Katholiken umverteilt hat, werden auch am Samstag die Kreuze umverteilt: von den Fundis in die Spree.«