Thilo Sarrazin hat Freunde bei der NPD

Fans und Feinde

Die NPD würde Thilo Sarrazin gerne als neues Parteimitglied begrüßen, und auch die Rechtspopulisten von Pro Köln und Pro Deutschland umwerben ihn. In den Internetforen der Neonazis findet der SPD-Politiker allerdings weniger Zustimmung.

Angst vor »Überfremdung«, »Juden-Gene«, 18 Prozent für eine Partei rechts von der CDU, so lauteten die Schlagzeilen der vergangenen Tage. Man könnte vermuten, Deutschlands extreme Rechte hätte es geschafft, ihre Agenda in den Mittelpunkt des Medieninteresses zu rücken. Doch nicht Holger Apfel, Udo Voigt oder Christian Worch gilt die Aufmerksamkeit, sondern einem ehemaligen SPD-Finanzsenator. Auf den Zuspruch, den Thilo Sarrazin für seine Thesen in der deutschen Bevölkerung findet, reagieren die meisten Rechten mit Begeisterung. Angestrengt wird überlegt, wie man auf dieser Welle mitschwimmen könnte. Allerdings weisen auch einige Aktivisten aus der rechten Szene beleidigt darauf hin, dass sie sich für ähnliche Standpunkte jahrelang haben prügeln lassen, nur damit dieser dahergelaufene Sozi nun die Lorbeeren einheimst. Als Bundespräsident Christian Wulff am 1. September seine Antrittsrede im sächsischen Landtag hielt, wurde er durch Zwischenrufe des NPD-Fraktionsvorsitzenden Holger Apfel gestört. Andere Abgeordnete der Partei hielten Transparente hoch mit der Aufschrift: »Alle wissen: Sarrazin hat Recht«. Saalordner mussten eingreifen, um die koordinierte Provokation zu beenden. Über mögliche Sanktionen gegen die Fraktion wird derzeit noch beraten. Bereits im Oktober 2009, als Sarrazin wegen eines umstrittenen Interviews ebenfalls in der Kritik stand, hatte die sächsische NPD-Fraktion auf sich aufmerksam gemacht, als sie forderte, den ehemaligen Berliner Finanzsenator zum Ausländerbeauftragten zu machen, da er »die Entwicklung unseres Landes auf den Punkt« brächte. Jürgen Gansel, ebenfalls Mitglied der sächsischen NPD-Fraktion, äußerte sich euphorisch über Sarrazins jüngstes Werk: »Er hat ein regelrechtes NPD-Buch geschrieben!« Anbiedernd bemüht man sich um Sarrazin, die NPD hat einen Aufkleber mit dessen Konterfei entworfen und ein Flugblatt gedruckt, auf dem ein Zitat aus dem Buch (»Ich möchte nicht, dass wir zu Fremden im eigenen Land werden«) und der alte NPD-Slogan »Ausländer in ihre Heimat zurückführen!« zu lesen sind. In einer aktuellen Stellungnahme fordert der Bundesvorsitzende Udo Voigt Sarrazin auf, seinen Worten nun auch Taten folgen zu lassen: »Über kurz oder lang werden Millionen Deutsche aufwachen und handeln – Herr Sarrazin hätte es jetzt in der Hand, die Weckzeit vorzustellen. Änderungen wird es nicht durch kluge Reden geben, sondern nur durch ein revolutionär verändertes Wahlverhalten bisher frustrierter Wähler. Herr Sarrazin, helfen Sie uns jetzt, die Etablierten das Fürchten zu lehren!« Da sich Sarrazin aber wohl eher den Bandidos anschließen würde, als der NPD beizutreten, wie ein User des Nazi-Forums Altermedia anmerkte, macht sich derzeit vor allem die rechtspopulistische Bürgerbewegung Pro Köln/Pro Deutschland Hoffnung, den Publikumsliebling zukünftig in ihren Reihen begrüßen zu dürfen. Im Zuge der aktuellen Debatte verschaffte sich die Fraktion von Pro Köln mit dem Vorschlag Gehör, Sarrazin zum Ehrenbürger der Stadt Köln zu ernennen, da er »in den letzten Monaten für die Meinungsfreiheit wichtige Breschen in das Dickicht der ›Politischen Korrektheit‹ in Deutschland geschlagen« habe. Manfred Rouhs, Bundesvorsitzender von Pro Deutschland, stellte sogar sein Amt zur Verfügung, sollte Sarrazin bereit sein, Vorsitzender der »Bürgerbewegung« zu werden. Politische Avancen werden Sarrazin seit der vergangenenWoche auch von René Stadtkewitz gemacht, einem ehemaligen CDU-Politiker aus Berlin-Pankow, der mit seinem Kampf gegen den Bau einer Moschee bekannt wurde und kürzlich wegen eines geplanten Treffens mit dem holländischen Rechtspopulisten Geert Wilders von seiner Fraktion ausgeschlossen wurde. Er möchte mit einer neu gegründeten Partei zur Berliner Abgeordnetenhauswahl 2011 antreten und würde gern »auf die zugreifen, die ganz Ähnliches sagen«. Ein gänzlich anderer Tonfall in der Causa Sarrazin wird in den Internetforen der Neonazi-Szene, Thiazi und Altermedia, angeschlagen. Zwar finden sich auch hier viele Stimmen, die für Sarrazins Engagement lobende Worte finden. Hervorgehoben werden dabei vor allem die Chancen, die die Enttabuisierung gewisser Themen auch für rechtsextreme Zwecke bringen könnte. Man solidarisiert sich mit Sarrazin, der ein typisches Opfer der »Multikulti-Meinungsdiktatur« sei. Zahlreiche Nazis sorgen sich gar um Sarrazins Leben, auf der Internetseite des ehemaligen NPD-Verbands Ex-K3-Berlin, fürchtet man, dass wie schon Jörg Haider und Jürgen Möllemann auch Sarrazin »geselbstmordet« werden könnte. Einen wesentlich größeren Raum nehmen allerdings Spekulationen über die »wirklichen« Hintergründe der Affäre ein. Weit verbreitet ist zum Beispiel die Version, dass Sarrazin vom »System« aufgebaut wurde, um ein Ventil für den wachsenden Unmut der Deutschen über die »Überfremdung« zu schaffen. Demnach habe Sarrazin den Auftrag, eine staatlich kontrollierte Sammelpartei rechts der Union aufzubauen, was den Erfolg des »wahren« nationalen Widerstands verhindern würde. Bei glaubensfesten Antisemiten hatte sich Sarrazin bereits im vergangenen Jahr disqualifiziert, als er sagte: »Die Türken erobern Deutschland genauso, wie die Kosovaren das Kosovo erobert haben: durch eine höhere Geburtenrate. Das würde mir gefallen, wenn es osteuropäische Juden mit einem um 15 Prozent höheren IQ als dem der deutschen Bevölkerung wären.« Entsprechend fleißig sammeln die Nazis Belege dafür, dass Sarrazin entweder selbst Jude sei oder zumindest als perfider Agent der Israel-Connection agiere. Auf Thiazi.net stellt der User Spjabork fest, dass Sarrazin »unwahrscheinlich glimpflich« behandelt werde. »Das ist verdächtig. Und die Thesen, die er vertritt, sind dieselben, die der Mossad mit seiner PI (Politically Incorrect) unter das Volk zu streuen versucht.« Hier wird auf angebliche Deals zwischen israelischen Zionisten und europäischen Rechts­populisten wie Geert Wilders und Patrik Brinkmann verwiesen, die darauf abzielten, den Islam zu bekämpfen, um so einen Rückzugsraum für Juden in Europa und die Vorherrschaft der »US-amerikanischen Ostküste« abzusichern. Prägnant formuliert Thiazi-User Mauser das Misstrauen der Neonaziszene gegenüber Sarrazin: »Einem wie ihm geht es niemals um das Wohl Deutschlands und des deutschen Volkes, sondern immer nur um sein eigenes und das seiner jüdischen Herren!«