Freizeitangebote für Kinder von Nazis

Ab ins Pimpfenlager

Auch Kinder von Nazis wollen in den Ferien verreisen. Organisationen wie die »IG Fahrten und Lager« oder der »Deutsche Jugendbund Sturmvogel« kümmern sich um die Freizeitgestaltung und den Drill des Nachwuchses.

Nazis machen sich Sorgen um ihren Nachwuchs. Schließlich müssen sie ihre Sprösslinge vor antideutschen Punkercliquen und drogenabhängigen Hedonisten bewahren. Dazu konnten sie ihre Kinder bis vor einiger Zeit mit der »Heimattreuen Deutschen Jugend« (HDJ) hinaus in die Natur schicken, wo die Kleinen gemeinsam mit anderen lernen sollten, worauf es wirklich ankomme: Gemeinschaft unter Kameraden, Stählung des Körpers für die Volksgesundheit, Gehorsamkeit, Disziplin.
Bis die HDJ im März 2009 vom damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) verboten wurde, kümmerte sie sich um die Freizeitgestaltung für Kinder und Jugendliche, organisierte Zeltlager, Wanderungen und Fahrten ins Grüne. Nazis konnten den Nachwuchs in Sommercamps abliefern, wo er mit nächtlichen Fahneneiden und Schießübungen den nötigen militärischen Schliff verpasst bekam, zum »deutschen Mannestum« gedrillt und in die Geheimnisse der Rassenkunde eingeweiht wurde. Das Leipziger Bundesverwaltungsgericht war von den Umtrieben der HDJ ebenfalls wenig begeistert und bestätigte Anfang September das Verbot.

Die nationalsozialistische Früherziehung weiterhin zu gewährleisten, hat sich die NPD-Jugendorganisation »Junge Nationaldemokraten« (JN) zur Aufgabe gemacht. Sie rief im Dezember 2009 eine »IG Fahrten und Lager« ins Leben, die für die »ordnungsgemäße Durchführung und Betreuung von Lagern und besonderen Fahrten« verantwortlich ist. Die JN legt Wert auf »Ordnung und Disziplin«, aber selbstverständlich kommt »auch der Spaß nie zu kurz, sei es im sportlichen Wettkampf, beim abendlichen Kameradschaftsabend oder bei verschiedensten Fahrtenspielen und anderen Geschicklichkeitsproben«. Im Bericht über einen »Orientierungsmarsch« der JN Baden-Württemberg im Juli heißt es, Ziel sei es gewesen, »den jungen Teilnehmern zu zeigen, dass es auch noch andere Freizeitmöglichkeiten gibt als diejenigen, die den BRD-Alltag bestimmen«. Die Kinder und Jugendlichen sollten lernen, »im Kleinen die Gemeinschaft zu leben, die wir für unser ganzes Volk wollen«. Auch praktische Fertigkeiten werden vermittelt, wie etwa im diesjährigen »Winterlager« der JN Leipzig/Nordsachsen. Dort erfuhren die Teilnehmer, »wie wichtig ein wärmendes Feuer ist« und wie man es ohne Feuerzeug entzünden kann.
Seit dem HDJ-Verbot gehen die nationalsozialistischen Kinder- und Jugendarbeiter konspirativer vor. Termine für Ferienlager und andere Aktivitäten sind nicht mehr offen im Internet zugänglich, vertrauliche Mail-Verteiler erreichen nur Eingeweihte. Deshalb dürfte es Nazi-Eltern ziemlich verärgert haben, dass sich das Medieninteresse im Januar auf eine Organisation richtete, die zuvor noch nie öffentlich in Erscheinung getreten war. Vermeintliche Pfadfinder hatten in einer Freizeitstätte im mecklenburgischen Neuhof ein »Neujahrscamp« für Kinder ausgerichtet. Doch Recherchen der Antifa Rostock ergaben, dass die uniformierten Jugendlichen dem »Deutschen Jugendbund Sturmvogel« angehörten – einer Gruppe, die sich in der völkischen Tradition des Sturmvogel-Bundes aus den zwanziger Jahren sieht und in den Achtzigern von der Wiking-Jugend abgespalten hat.

Der Jugendbund verachtet zivilisatorische Errungenschaften und möchte lieber »jungen Menschen eine Möglichkeit geben, ihr Leben jenseits von Fernsehgeräten und Computern aktiv zu gestalten«, bevor sie sich »in der Scheinwelt der modernen Gesellschaft in Drogenkonsum, Ziellosigkeit und Sinnverlust verstricken«. Mit der ideologischen Mischung aus esoterischem Antimodernismus, deutschnationaler Metaphorik, germanischer Mythologie und Runensymbolik dürfte die Organisation einen würdigen Ersatz für die HDJ bieten. Schon für die Kleinsten organisiert der »Sturmvogel« einwöchige »Pimpfenlager« – benannt nach den Mitgliedern des »Deutschen Jungvolkes«, einer Unterabteilung der Hitlerjugend. Ältere Jugendliche sollen auf mehrtägigen sogenannten Wolfsangelmärschen »Kameradschaft erfahren« und am »Frontsoldatentum« Gefallen finden. In bester »Blut und Boden«-Manier kann der Nachwuchs auf ausgedehnten Reisen ein recht großes Deutschland kennenlernen – von »Schleswig-Holstein bis nach Tirol, vom Elsass bis ins Memelland«, wie es in einem Jahreskalender der Organisation heißt. Gingen die Fahrten in den neunziger Jahren nach Informationen des Antifaschistischen Pressearchivs in Berlin (Apabiz) vor allem in die »deutschen Siedlungsgebiete« wie Pommern oder Oberschlesien, so reist man heutzutage bis nach Finnland oder Schottland.
Auch in Deutschland gibt es Gegenden, in denen die Szene kampiert – ein wesentliches Betätigungsfeld des »Sturmvogels« liegt in Mecklenburg-Vorpommern, etliche Mitglieder wohnen in Nordwestmecklenburg, wie das Apabiz berichtet. Die Einöde des Bundeslandes bietet Nazis beste Bedingungen, sich unter freiem Himmel zu betätigen. So ist in den Landkreisen Ostvorpommern und Uecker-Randow der »Heimatbund Pommern« umtriebig, der die Jugend mit Sportfesten, Fahrradtouren, Wanderungen und Müllsammlungen beschäftigt und dabei nationalistische, rassistische und geschichtsrevisionistische Propaganda betreibt. Seine Ziele sind nicht nur der Kampf gegen die »Spaßgesellschaft« mit ihren »konsumsüchtigen Egoisten« und der Erhalt einer »artgerechten völkischen Kultur«, sondern auch die Rekrutierung von Jugendlichen, beispielsweise für Kampagnen gegen Flüchtlingsheime oder Aktionen gegen die Ausstellung »Verbrechen der Wehrmacht«.

Haben nationalsozialistische Eltern aber die Befürchtung, die eigenen Kinder könnten als Mitglieder einer solchen Gruppe sozial geächtet werden oder in der szeneinternen Parallelwelt den Bezug zur Realität verlieren, sind sich unpolitisch gebende, bündische Organisationen sicher eine Alternative, wie beispielsweise der »Freibund«. Er möchte dem Nachwuchs zeigen, wie man »gesund und sportlich« nach einer »ganzheitlichen Vorstellung« lebt. »Ein Zusammengehen mit weltanschaulichen, politischen und gesellschaftlichen Parteien« lehnt der Freibund ab, was aber nicht heißt, dass er selbst keine politischen Vorstellungen hätte: »Als junge Deutsche, die ihre Heimat lieben«, bekennen sich die Mitglieder »verantwortungsbewusst zu unserem Volk und Vaterland«.