Das Tote-Hosen-Konzert in Tel Aviv

Auswärts spielen

Eisgekühlter Bommerlunder, Bommerlunder eisgekühlt: Während die Toten Hosen vor ein paar Tagen zum ersten Mal in Israel gespielt haben, machten andere Musiker in den vergangenen Monaten einen ­Bogen um das Land. Israel-Boykott-Gruppen aus aller Welt feiern das als Erfolg ihrer Kampagnen und prophezeien Israel eine Zeit der Isolation und musikalischen Ödnis.

Irgendwann wird es den israelischen Security-Leuten dann doch ein bisschen zu wild: Als sich der völlig durchgeschwitzte Deutsche ins Publikum stürzt und sich von der begeisterten Menge tragen lässt, setzen sich zwei Muskelpakete in Bewegung, um den Irren zurück auf die Bühne zu holen. Der reißt sich los, klettert auf den Balkon, läuft seinen sportlichen Verfolgern davon und beendet seinen Ausflug auf der Theke der Bar. Der Sänger heißt Campino, die Band Die Toten Hosen. Es ist ihr erster Auftritt in Israel überhaupt – und der Barby-Club im Süden Tel Avivs steht Kopf.
Dass ein Konzert wie das der Toten Hosen überhaupt stattfindet, ist in Israel zurzeit keine Selbstverständlichkeit. Eine ganze Reihe von Bands und Solo-Musikern haben in diesem Jahr aus politischen Motiven oder wegen der gesellschaftlichen Großwetterlage ihre Auftritte abgesagt – darunter Elvis Costello, die Pixies, Klaxons, Gorillaz, Devendra Banhart, Carlos Santana und Gil Scott-Heron. Begründungen dafür gab es entweder gar keine oder sie fielen schwammig aus. So wollte Elvis Costello nicht, dass sein Auftritt in Tel Aviv als politischer Akt gewertet wird, Gil Scott-Heron sah sich während eines Konzertes in London mit Protesten gegen seinen Israel-Besuch konfrontiert und sagte daraufhin kommentarlos ab, Devendra Banhart platzierte eine herzzerreißende Erklärung auf seiner Website (»Wir lieben Israel und seine Menschen«), in der er seine Befürchtung zum Ausdruck brachte, man könnte seinen Auftritt missbrauchen, um Standpunkte zu unterstützen, die nicht die seinen wären.
Die Absagen der Musiker haben für Jubel gesorgt – jedenfalls bei den diversen politischen Gruppen aus aller Welt, die seit 2005 unter dem Dach des »Boycott, Divestment And Sanctions Movement« (BDS) vor allem über die Internet-Plattform bdsmovement.net lose miteinander vernetzt sind. Es ist ein bunter Haufen sich irgendwie pro-palästinensisch verstehender Gruppen, der sich da zusammengefunden hat – NGO, Menschenrechtler, Gewerkschaftsgruppierungen, Linke und Liberale verschiedenster Couleur, ein paar israelische Friedensgruppen, Intellektuelle, Künstler. Was sie eint, ist die Behauptung, Israel sei ein Apartheidstaat, vergleichbar mit dem früheren Südafrika – und müsse boykottiert werden. Investoren sollen ihr Kapital aus Israel und israelischen Firmen abziehen, Sanktionen durchgesetzt werden.
BDS-Unterstützer, die ihre Mission ernst nehmen, müssten ihren Lebensstil komplett umkrempeln: Verboten sind wegen erkannter oder vermeintlicher Verflechtungen mit dem Staat Israel unter anderem Coca Cola, der Nachrichtensender CNN, Haarpflegeprodukte von L’Oreal und der Fußballclub Arsenal London.
In ihren Publikationen neigen die BDS-Gruppen zwar zu nerviger Großmäuligkeit, ganz ohne Einfluss sind sie aber tatsächlich nicht.
Das israelische Reut Institute stellt in einem Papier aus dem Juni fest, dass die Boykott-Gruppen noch nie so viel Druck auf Individuen und Organisationen ausgeübt haben wie seit der Einnahme der Gaza-Flotille durch israelische Soldaten im Mai. Zu den größten Erfolgen der Bewegung gehört dabei dem Reut Institute zufolge die Entscheidung der mit knapp zwei Millionen Mitgliedern größten britischen Gewerkschaft Unite, zum Boykott israelischer Produkte aufzurufen. Aber auch die vielen abgesagten Konzerte schaden dem Land.
Das Reut Institute fasst zusammen: »Der durch die BDS-Bewegung hervorgerufene Schaden besteht darin, dass durch den – impliziten oder expliziten – Vergleich Israels mit dem früheren Apartheidregime Südafrikas die Delegitimierung Israels gefördert wird. Die BDS-Bewegung sollte daher in erster Linie als Instrument verstanden werden, Israel als Pariastaat zu brandmarken und so zum Erreichen des Ziels, dem Untergraben der Legitimität seiner staatlichen Strukturen, beizutragen.«
Auffällig ist, wie kurzfristig viele Künstler ihre Israel-Gigs vom Tourplan strichen. So kritisierte Elvis Costello, der in den mehr als 30 Jahren seiner Karriere nie in Israel spielte, in einem Interview mit der Jerusalem Post Anfang Mai noch die Befürworter eines Boykotts. Die einzigen Antworten auf die seiner Meinung nach falsche Palästinenser-Politik der aktuellen israelischen Regierung seien Dialog und Versöhnung. Zwei Wochen später sagte Costello (»What’s so funny ’bout Peace, Love and Understanding«) seine beiden Konzerte ab.
»Ich habe zu keiner Sekunde auch nur im Geringsten erwogen, hier abzusagen«, sagt dagegen Tote-Hosen-Sänger Campino zwei Stunden vor Konzertbeginn beim entspannten Gespräch im Backstage-Raum. Es gibt Mineralwasser und Obst. Seine Bandkollegen lungern auf Sofas herum, checken ihre Mails am Notebook oder hören Musik über Kopfhörer.
»Über unsere Internetseiten haben wir zwar die ein oder andere Nachricht bekommen, in der man uns fragte, wie wir uns erlauben könnten, hier in diesem Land zu spielen, wo doch so viele andere abgesagt haben. Ich lasse mich von solchen Aussagen aber überhaupt nicht beeindrucken, mit so etwas kann man uns nicht einschüchtern. Hier scheint das aber wirklich ein großes Thema zu sein. Ich habe einigen israelischen Zeitungen Interviews gegeben – und ausnahmslos alle Reporter haben nach dem Boykott gefragt.«
Ein spezielles Bühnenprogramm haben die Hosen für den Abend nicht zusammengestellt, nur die sonst so beliebten Anti-Nazi-Songs hat die Band von der Setlist gestrichen. »Es fühlt sich hier nicht richtig an, die zu spielen«, sagt Campino. »Ich will mich nicht einschleimen oder doppelt beweisen, was für ehrenwerte Kämpfer wir sind.« Auch Statements zum Konflikt mit den Palästinensern spart man sich: »Als jemand, der noch nie hier gewesen ist, habe ich keinesfalls vor, mit dem erhobenen Zeigefinger zu kommen und den Leuten zu sagen, was sie alles besser machen sollen.«
Keines der Bandmitglieder war zuvor jemals in Israel. Erst am Morgen sind die Hosen in Tel Aviv angekommen, haben den Tag in der Stadt verbracht. »Ich weiß nicht, wie es anderen Menschen geht, die aus Deutschland kommen, aber mit dem Betreten israelischen Bodens spielte sich die ganze Geschichte des Holocaust in meinem Kopf ab«, sagt Campino. »Man geht durch die Straßen und in die Geschäfte und denkt: Unsere Elterngeneration wollte deren Elterngeneration ausradieren. Das hatte ich einfach im Kopf, als ich den Trubel sah und die vielen freundlichen Menschen, dieses fröhliche Chaos. Wenn man sich hier länger aufhält, rücken diese Gedanken vermutlich wieder in den Hintergrund, aber im Moment sind sie dominant. Ich habe aber den Eindruck, dass unsere Anwesenheit und unsere deutsche Herkunft hier für uns eine größere Sache sind als für das Publikum.«
Veranstalter des Hosen-Gigs ist Shuki Weiss, eine schillernde Figur in der israelischen Musiklandschaft. Bereits mit zwölf Jahren begann der heute 58jährige, mit Platten zu handeln. Weil es sechs Monate dauerte, bis die begehrten Alben aus England und den USA in Israel erschienen, reiste Weiss regelmäßig nach London, deckte sich mit Platten ein und verkaufte sie in Israel weiter. Später gehörte ihm die größte israelische Plattenladenkette. Seit 30 Jahren bringt er von Madonna über Depeche Mode bis Elton John die international erfolgreichsten Pop- und Rockstars in sein Heimatland, fördert lokale Bands und bereist auf seiner Suche nach neuen Trends die Welt. Er hat zehn Angestellte unter Vertrag, die angehalten sind, mehrmals pro Woche durch die Tel Aviver Clubs zu ziehen, um rechtzeitig auf Trends reagieren zu können.
Ein paar Tage vor dem Konzert der Hosen schafft Weiss in seinem prall gefüllten Terminkalender Platz für ein Interview. In seinem kreativ-chaotischen und dank Klimaanlage eiskalten Büro im Zentrum Tel Avivs fällt es ihm sichtlich schwer, die Ruhe zu bewahren, als die Sprache auf das Thema Boykott kommt. »Ich will versuchen, sachlich und korrekt zu bleiben«, sagt er, zündet sich eine Zigarette an und lässt sich von seiner Assistentin noch schnell einen Espresso bringen, bevor er mit seiner Antwort beginnt: »Die Absagen von Konzerten sind für uns seit Jahrzehnten ein Problem. Israel ist so ein kleines Land, und wenn es an irgendeinem Ort einen Anschlag eines Selbstmordattentäters oder Raketeneinschläge gibt, sieht es wegen dieser Flammensymbole auf den CNN-Grafiken so aus, als gäbe es im ganzen Land Tote und Verletzte. Die Folge: Musiker bekommen Angst um ihr Leben, sorgen sich um ihre Crew – und sagen ab. Das verstehe ich, und damit muss ich leben. Auch die Entscheidung der Pixies, der Klaxons und der Gorillaz sind für mich nachvollziehbar. Es gab gerade die Ereignisse rund um die Gaza-Flotille, es herrschte Ratlosigkeit und Konfusion. Dass Bands in so einer unübersichtlichen Lage lieber nicht anreisen, finde ich okay. Bei diesen Dreien tut die Boykottbewegung so, als hätte sie auf diese Entscheidungen irgendeinen Einfluss gehabt, aber ganz ehrlich: Das ist Bull­shit! Die Künstler und vor allem deren Managements und Plattenfirmen waren schlicht verunsichert – und wer könnte ihnen das verübeln?«
Shuki Weiss hat durch die kurzfristigen Rückzieher der Bands viel Geld verloren. Wie viel genau, will er nicht sagen. »Wenn meine Frau das liest, bringt sie mich um.« 16 000 Fans wurden bei den Pixies erwartet, für Santana waren bereits 8 000 Tickets vorbestellt – obwohl es die teuersten Karten für ein Rock-Konzert in der israelischen Geschichte waren. Weiss’ Problem als Geschäftsmann: Es gibt für ihn keine Möglichkeit, eine Nichtauftritts-Versicherung abzuschließen. Zwar bekommen zum Beispiel Landwirte eine Entschädigung, wenn sie ihre Produkte aufgrund von Krieg und Terror nicht verkaufen können – doch für jemanden, der Live-Musik importiert und exportiert, ist so etwas nicht vorgesehen.
Aber der finanzielle Verlust ist nicht das größte Ärgernis für Weiss, er hält die Denkweise der boykottierenden Künstler für grundfalsch. »Die Entscheidungen von Costello, Santana und Scott-Heron können sich die sogenannten Menschenrechtler, palästinensischen Intellektuellen für den Boykott und wie sie sich alle nennen leider tatsächlich auf ihre Fahnen schreiben. Diese drei Künstler haben sich meiner Einschätzung nach deren Druck oder deren Argumenten gebeugt – und das war vor der Gaza-Flotille. E-Mails, Plakate bei den Konzerten – das hat gereicht. Für mich ist das unverständlich: Wer hier auftritt, unterstützt damit doch nicht automatisch die Regierungspolitik. Man kommt, um für seine Fans zu spielen. Und falls jemand Kritik an unserer aktuellen Regierung hat, sage ich: kein Problem! Komm her, äußere sie live auf der Bühne, dir wird ganz sicher nichts passieren. Israel ist ein demokratisches Land, das einzige in dieser Region. Hier kann jeder öffentlich seine Meinung sagen. Das sollten kritische Köpfe wie Costello mal im Iran oder in Ägypten versuchen!«
Es gibt genügend internationale Stars, die das genauso sehen und die gerne vor ihren israelischen Fans spielen, wie Rihanna, Ozzy Osbourne, Jeff Beck, John Lydon, Joanna Newsom und Metallica, die alle in den vergangenen Wochen in Tel Aviv aufgetreten sind. »Wir scheinen das Schlimmste bereits überstanden zu haben«, glaubt Weiss. »Das Thema Boykott ist derzeit in keiner meiner Verhandlungen ein Thema.«
Namhafte deutsche Musiker tauchen in den Boykottlisten nicht auf. Und das wird auch so bleiben, glaubt der 56jährige Georg Blochmann, Leiter des Goethe-Instituts in Tel Aviv. »Im Unterschied zu Großbritannien zum Beispiel ist es in Deutschland undenkbar, dass ein Israel-Konzert in seriösen Medien als Stellungnahme zum Nahost-Konflikt interpretiert wird. Bei uns werden diese Auftritte mit Blick auf den Holocaust als Teil des Aussöhnungsprozesses gesehen, und die Berichte darüber sind immer positiv konnotiert.« Seiner Einschätzung nach ist das in einigen Fällen auch der einzige Grund dafür, Israel auf den Tourplan zu setzen: »Bei manchen deutschen Künstlern ist das Teil ihrer Marketingstrategie. Selbst wenn sich in Israel überhaupt niemand für ihre Konzerte interessiert, gibt es garantiert immer ein paar positive Berichte in der deutschen Presse – das zeigen alle Auswertungen der Artikel, die wir nach Besuchen deutscher Künstler vornehmen.«
Nicht immer sind die Künstler aus Deutschland mit dem notwendigen Geschichtsbewusstsein ausgestattet. Als Tokio Hotel vor drei Jahren auf Einladung ihres israelischen Fanclubs in Tel Aviv auftraten, ließ deren Sänger Bill Kaulitz verlauten, er wolle aus dem deutsch-israelischen Verhältnis »kein großes Ding machen«, für die Fans seiner Band spiele die Geschichte ohnehin keine Rolle.
Den Toten Hosen will Georg Blochmann ausdrücklich kein Kalkül unterstellen: »Campino ist ein kluger und reflektierter Künstler. Er und die Band verbreiten Begeisterung, positive Energie. Das ist mehr als Lifestyle, und gerade deshalb passt ihr Konzert in die israelische Lifestyle-Metropole.«
Die etwa 400 Zuschauer im Barby-Club sind jedenfalls begeistert von der Band, die in Deutschland mühelos ganze Stadien füllt. Was man allerdings nicht verschweigen sollte: In Israel kennt die Toten Hosen fast niemand, mehr als die Hälfte des Publikums kommt aus Deutschland. Touristen und Exil-Deutsche grölen hier gemeinsam: »Wir woll’n die Hosen seh’n!«
Die anwesenden Israelis wurden vor allem durch die populäre israelische Vorband Useless ID angelockt oder von deutschen Freunden mitgeschleppt. Dennoch feiern sie Campino für jede hebräische Ansage und sind am Ende des Konzerts genauso durchgerockt wie die Deutschen im Saal. Bei einem der letzten Songs holt Campino seinen privaten Camcorder auf die Bühne, filmt die Meute vor der Bühne und schreit völlig entrückt in sein Mikrofon: »Tel Aviv is the home of Rock’n’Roll!« Das ist vielleicht ein bisschen übertrieben, aber viel dichter dran an der Wahrheit, als die eifrigen Boykott-Befürworter wahrhaben wollen.