DDR-Sportverbände, die sich nicht vereinigten. Teil II

Aus dem Angler- und Bauernstaat

Drei DDR-Sportverbände gibt es noch, die 1990 nicht dem Westen beigetreten sind: ABM – Angler, Bogenschützen, Motorsportler. Über zwanzig Jahre lang verweigerte sich eine DDR-Sportorganisation den Wessis vom Verband Deutscher Sportfischer. Nun steht doch der Beitritt an. Teil 2 der Serie »Zwanzig Jahre geteiltes Deutschland«.

Siebter Stock eines Plattenbaus in Berlin-Lichtenberg. Im großen Büro steht ein Aquarium. Zu Viert sind die Spitzenfunktionäre des Deutschen Anglerverbandes (DAV) in der Verbandsgeschäftsstelle erschienen. Es geht schließlich um die Außendarstellung des Verbandes, der mit 170 000 Mitgliedern die größte deutsche Sportorganisation ist, die bis heute nicht ihrem Westpendant beigetreten ist.
Und es geht darum, zu erklären, warum der DAV dies nun bald, nach über 20 Jahren Widerstand, doch ändern wird.
Günter Markstein ist 70 Jahre alt und seit sieben Monaten Präsident des DAV. Ein Freund, den er vom Angeln kennt, hat dem kräftig gebauten Mecklenburger zur Wahl gratuliert. »›Mein Präsident‹, sagt der zu mir«, erzählt Markstein, »und der ist Tierarzt, der hat also was im Kopf. ›Ich bin nicht dein Präsident‹, habe ich dem geantwortet, ich bin beim DAV und du beim VDSF.‹« Das ist der Verband Deutscher Sportfischer (VDSF), mit 650 000 Mitgliedern etwa viermal so groß wie Marksteins DAV. »Das hat mein Freund nicht geglaubt, er war ja zu DDR-Zeiten immer im DAV gewesen – ›ich bin doch nie ausgetreten‹. Ich habe ihm gesagt, er soll mal in seinem Ausweis nachschauen, und da stand wirklich: Mitglied des VDSF.« Der Landesverband Mecklenburg-Vorpommern gehört zu den wenigen Sektionen des DAV der DDR, die 1990 geschlossen in den VDSF eingetreten sind. Der Gesamtverband tat das nicht. »›Ich habe immer gedacht, ich bin im DAV‹, hat mein Freund gesagt.«
Stille Wasser sind kompliziert. Ganz offiziell hatte der VDSF 1990 den DAV zum Beitritt aufgefordert – so wie es die anderen Westverbände mit ihren Ostgegenübern auch machten, so wie es die BRD mit der DDR tat.
»Auf Unverständnis«, wie es in der DAV-Chronik heißt, seien die einzelnen Übertritte in den großen Westverband gestoßen. Der Gesamt-DAV verhandelte zwar schon ab Februar 1990 mit dem VDSF, aber, sagt Hans-Peter Weineck, der für den DAV damals am Tisch saß, »die Interessenvertretung war nicht bündig«. Die Spitzenverbände konnten sich nicht einigen. Und entwickelten sich jeder auf seine Weise.
Als der DAV vor sechs Jahren 50 Jahre alt wurde, hat die CDU-Vorsitzende Angela Merkel, damals noch keine Bundeskanzlerin, gratuliert und moniert, dass »auf die Geschichte solcher Verbände wie des Deutschen Anglerverbandes in der früheren DDR heute oft sehr schematisch zurückgeblickt wird«. Der abschätzige Blick ist mittlerweile überwunden: Tatsächlich steht die Einheit der deutschen Angel bevor. »Ende 2011 sollen die technischen Formalitäten erfüllt sein«, erklärt Präsident Markstein, »und im Frühjahr 2012 soll die Fusion ganz offiziell vollzogen werden.« Formal wird das vermutlich so geschehen, wie es kein aufrechter DAV-Vertreter je wollte: Der Osten tritt dem Westen bei.
»Das Wort Beitritt hat keinen guten Klang«, sagt Präsident Günter Markstein. »Es gibt juristisch verschiedene Formen der Verschmelzung«, erläutert der Geschäftsführer Philipp Freudenberg. Hans-Peter Weineck aus Sachsen-Anhalt ergänzt, dass »eine paritätische Zusammensetzung des Präsidiums, das heißt der Vizepräsidenten und Referenten, wichtig ist, nicht das Mehrheitsprinzip«. Und Dieter Mechtel aus Brandenburg sagt, dass viele Mitglieder Angst haben: »Was wird aus unseren Gewässern? Was wird aus dem Gewässerfonds?«
Im Westen sind es nämlich die Vereine, die Angelgebiete bewirtschaften, und man darf nur im eigenen Vereinsteich angeln. »Unsere Philosophie aber lautet: Ein DAV-Mitglied darf auch in Gewässern anderer Landesverbände angeln«, sagt Mechtel nicht ohne Pathos. Und Hans-Peter Weineck trägt ein Beispiel vor. »Ein Angler aus Celle hat mich einmal gefragt, ob er im Bereich des DAV angeln darf. Ich habe gesagt, das kostet ihn als Gastangler zehn Euro. Dann habe ich ihn gefragt, was es mich kostet, wenn ich in Niedersachsen angeln will. Er hat gesagt: eine Jahreskarte von 400 Euro.«
Über dieses Problem des Gewässerfonds hatte man sich schon 1990 nicht einigen können. Der DAV hatte vom VDSF gewollt, dass seine Mitglieder unbürokratisch günstige Angelerlaubnisse erhalten. Bei »Absichtserklärungen seitens der VDSF-Vertreter« sei es geblieben, heißt es in der DAV-Chronik.
Ein anderes Problem bei den seit Jahren von einer »Zwölferkommission« geführten Fusionsverhandlungen ist die Frage, inwieweit man sich als Sport versteht. Die Westler vom VDSF, seit Jahren im Clinch mit Natur- und Tierschützern, haben sich den Sportbegriff schon längst abgewöhnt, die Ostler vom DAV noch nicht. Vom »Angelsport«, betrieben von den »Sportanglern«, war in der DDR so selbstverständlich die Rede, dass ein neuer Sprachgebrauch nicht leicht fällt. Zwar organisieren und beschicken die Angler Weltmeisterschaften, und der VDSF ist auch – anders als der DAV – Mitglied im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB). Aber statt von »Sport« spricht man auch hier mittlerweile lieber vom »Gemeinschaftsangeln«. In dem Positionspapier, in dem der DAV seine »Grundsätze« zur anstehenden Fusion mit dem VDSF formuliert hat, heißt es, es müsse sichergestellt sein, dass »die Angler national und international ihr anglerisches Können unter Beweis stellen und vergleichen können«.
Dass sich der VDSF schon vor vielen Jahren von einem deutlich sportlichen Verständnis des Angelns lossagte, hatte zur Folge, dass sich vie­le Westangler dem DAV zuwandten. Schon 1990 kamen eine Menge neuer Mitglieder aus Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz in den Ostverband. Auch der Deutsche Meeresanglerverband (DMV), der sich 1990 in Hamburg gegründet hatte, kam sofort und gerne unter das Dach, das ihm der DAV in Berlin-Lichtenberg bot.
Der Vorteil für den VDSF, sich vom Begriff des Sportangelns abzuwenden, war, dass die Lieblingstätigkeit seiner Mitglieder aus der Schusslinie der Tierschützer genommen wurde – der VDSF wurde anerkannter Umwelt- und Naturschutzverband. Das ist ein juristisch wertvoller Status, mit dem der Verband bei der Ausarbeitung von Umweltgesetzen Gehör findet und mit dem er auch ein Verbandsklagerecht erhält.
»Diesen Status will der VDSF natürlich nicht aufgeben«, sagt DAV-Präsident Markstein. »Doch wenn wir uns statt durch eine Verschmelzung durch Aufnahme des DAV in den VDSF durch Gründung eines neuen Verbandes zusammenschließen, ginge der Status verloren.«
Also doch das, was man 20 Jahre lang verhindern wollte: ein Beitritt. Nun ist der DAV eifrig damit beschäftigt, den Übertritt in den größeren Verband so gut wie möglich zu regeln. Besser auf jeden Fall, als die staatliche Vereinigung vor 20 Jahren von Günther Krause und Lothar de Maizière ausgehandelt wurde.
Eine neue Satzung soll her, die ist eine Art Grundgesetz des Angelns. Und einen neuen Namen soll der alt-neue Verband erhalten. »Deutscher Angelfischer-Verband« wird derzeit favorisiert. Dagegen hat der VDSF nichts, denn sein »S« steht ja für »Sport«, und das ist das Verständnis des Angelns, das man gerne loswerden möchte.
Sich aber wie der kleinere Beitrittspartner zu nennen, Deutscher Anglerverband, würde die Westler doch zu oft daran erinnern, dass der DAV früher den Zusatz »der DDR« trug.