War bei der Vorstellung der Zeitschrift Compact

Mit Contenance für die Nation

Der Publizist Jürgen Elsässer stellte in Berlin seine neue Zeitschrift vor und lud zum »gepflegten Dialog« über »Finanz­oligarchen«, die drohende »Zerstörung Deutschlands« und die »karzinogene Mutation« des Feminismus.

Eine ganz besondere Person hat den Eingang im Blick: Detlef Nolde, in den neunziger Jahren Mitglied der FAP, 1997 zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt, dann »Nazi-Aussteiger«, später Mitglied in der DVU. Er begutachtet wachsam die Besucher, die den Ratskeller Schmargendorf im Berliner Stadtteil Charlottenburg-Wilmersdorf betreten, wo Rechtsextreme in der Vergangenheit bereits zu ihren »Dienstagsgesprächen« zusammenkamen. Eine merkwürdige Ansammlung von Rednern hat sich an diesem Abend zu einer Veranstaltung eingefunden: Jürgen Elsässer will seine neueste Publikation vorstellen, die Zeitschrift Compact.

Der Chefredakteur Elsässer und seine Schreiber treten auf den knapp 60 Seiten des Magazins für die nationalstaatliche Souveränität ein, wettern gegen den Feminismus und propagieren kulturalistischen Ethnopluralismus, Antiamerikanismus und – er darf nicht fehlen – Antizionismus. Thilo Sarrazin ist auf der Titelseite der ersten Ausgabe zu sehen, die Schlagzeile lautet: »Der nächste Bundeskanzler?« Elsässer und seine Mitstreiter haben an Sarrazin jedoch einiges aus­zusetzen. Das ehemalige Vorstandsmitglied der Bundesbank hätte beispielsweise »seine Aus­flüge in die Erbbiologie besser unterlassen« sollen, so Elsässer.
Die Kritik am Biologismus hält Elsässer aber nicht davon ab, es Sarrazin zumindest metaphorisch gleichzutun. Durchaus im Stil des ebenfalls auf dem Podium sitzenden Chefredakteurs der Jungen Freiheit, Dieter Stein, attackiert er »den Feminismus und dessen karzinogene Mutation, die Gender-Mainstreaming-Ideologie«. »Eine familienfeindliche Achtundsechziger-Minderheit unter der Führung ideologisch verbohrter Feministinnen« sei auch daran schuld, dass etwa Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund ihre Lehrer nicht mehr ernst nähmen, da diese keine Autorität mehr besäßen. »Ich kann gut verstehen, dass der türkische Familienvater seine Töchter nicht auf eine solche Schule schicken will«, sagt Elsässer. Hingegen pflegten Muslime noch die »Ideale von Liebe und Partnerschaft, von Familie und Respekt«, die »den ursprünglichen deutschen sehr nahe stehen«.
Deshalb kritisiert Elsässer Sarrazins »Angriffe auf den Islam«. Das Problem sei nicht der Islam und seine Kultur, sondern zum einen die Schwäche der deutschen Leitkultur, die »selbstverständlich nicht jüdisch-christlich oder muslimisch-jüdisch-christlich, sondern schlicht christlich ist«. Zum anderen hält der Blattmacher die Einwanderungspolitik für gefährlich. Sie sei schon immer ein Projekt des »Finanzkapitals« und ­seiner Verbündeten – Achtundsechziger, Feministinnen, die Grünen – gewesen, um die Löhne der deutschen Arbeiter zu drücken. Zudem fehlten bei Sarrazin »zwei große Themenkreise vollständig«: »die Zerstörung Deutschlands durch die undemokratischen Eingriffe der EU« und durch »die US-amerikanische Finanz- und Kriegspolitik«.

An Sarrazin gefällt Elsässer in erster Linie, dass er die Befindlichkeiten der Mehrheit anspricht und nach einer Emnid-Umfrage gerade bei Wählern der Linkspartei besonders gut ankommt. Die 29 Prozent der mit Sarrazin sympathisierenden Anhänger der »Linken« stellten das Poten­tial für eine »Sarrazin-Partei«. Dieter Stein von der Jungen Freiheit bleibt es überlassen, neben einem ausdrücklichen Lob für Elsässers Ausfälle gegen die Geschlechterpolitik und die »Anti-Kulturrevolution von 1968« darauf hinzuweisen, dass eine solche Partei nicht wie von Elsässer gefordert eine »Partei der Mitte«, sondern eben doch eine Rechtspartei sein müsse.
Einen sich zwischendurch gemäßigt gebenden Redner, der sich als Mann der »Mitte« darstellt, rechts zu überholen, ist ein beliebtes Spiel auf dem Podium, auf dem neben Elsässer und Stein noch der Chefredakteur der Islamischen Zeitung, Sulaiman Wilms, die »patriotische Deutsch-Rapperin« Dee Ex und der ehemalige Focus-Redakteur und Buchautor Oliver Janich von der »Partei der Vernunft« sitzen. In der Diskussion treten ganz erstaunliche Ideen zutage, die allgemein als randständig gelten und von der Öffentlichkeit ignoriert oder belächelt werden, was ihre Verfechter auf dem Podium selbstverständlich in der Wahrnehmung bestärkt, Opfer der »Mainstream-Medien«, »Finanzoligarchen« und der »Achtundsechziger-Kulturrevolte« zu sein, »zu der man heute auch Merkel und Wulff zählen muss«, wie Elsässer meint.
Die finsteren Mächte sollen den Rednern zufolge im Bündnis mit den »kleinen Leuten« bekämpft werden, die in der heimtückischen Verschwörung des Finanzkapitals, der Feministinnen und der anderen Bösewichte ebenfalls ständig hinters Licht geführt würden. Wie dieser Kampf am besten zu führen ist, muss jedoch noch geklärt werden, denn die Anwesenden haben unterschiedliche Vorstellungen. Oliver Janich befürwortet die Rückkehr zu einer Goldwährung, schließlich seien die Inflation und das staatliche Währungsmonopol die Grundübel. Die Argumente hat er auch in seinem Buch dargelegt, das am Eingang erhältlich ist.
Elsässer überzeugt das nicht, es sei »die nationale Frage«, die als einzige dazu tauge, »die Massen auf die Straße zu bringen«. Der Islamkonvertit Wilms hält unter Berufung auf Martin Heideg­ger und Ernst Jünger dagegen: Das Zeitalter des Nationalstaats sei beendet. Dafür erntet Wilms wütende Zwischenrufe aus dem Publikum: »Was wollen Sie denn stattdessen? Die Sharia?« Elsässer muss für Ruhe sorgen: »Contenance!« Schließlich soll auf der Veranstaltung der »gepflegte Dialog« zwischen »demokratischer Rechter« und »demokratischer Linker« sowie »vernünftigen« Islamkritikern und Muslimen geführt werden.

Dass sich diese Kreise in einer Partei vereinen lassen, bezweifelt Stein. Er gibt Elsässer den »guten Rat«, es vorerst bei der Diskussion zu belassen und von der Gründung einer Partei abzusehen. Bis Elsässer die Massen auf die Straße bringen kann, dürfte es ohnehin noch dauern: Etwa 100 Zuhörer befinden sich im Raum. Die Empörten müssen vorerst noch mit anderen Parteien vorliebnehmen. Vielleicht kann ihnen der ebenfalls anwesende Berliner NPD-Landesvorsitzende Uwe Meenen weiterhelfen.