Machtpolitik in Westafrika

Der Pate lässt wählen

Die Wahlen in der Côte d’Ivoire haben das Land maßgeblich destabilisiert. Auch in Guinea lösten die Präsidentschaftswahlen heftige Auseinandersetzungen aus. In beiden Ländern spielte der Präsident von Burkina Faso, Blaise Compaoré, als »Vermittler« eine Rolle.

Der Präsident und »Patriarch« des westafrikanischen Staats Burkina Faso, Blaise Compaoré, war in den vergangenen Wochen an drei Wahlen in drei verschiedenen Ländern beteiligt. Dabei wurde die Wahl vom 21. November, bei der es um sein eigenes Mandat ging, von den internationalen Medien am wenigsten beachtet. Denn als es in Burkina Faso um die Wiederwahl des amtierenden Präsidenten ging, schien nicht viel auf dem Spiel zu stehen. Daran, dass Compaoré auch nach 23 Jahren des Regierens nicht müde sei, zweifelte kaum jemand. Dass seine Wiederwahl bereits vor Öffnung der Wahllokale feststand, war keine große Überraschung. Im November 2005 war Compaoré mit über 80,35 Prozent der Wählerstimmen im Amt bestätigt worden, diesmal fiel sein Ergebnis mit 80,15 Prozent ein wenig schlechter aus. An zweiter Stelle landete der Diplomat Hama Arba Diallo mit gut acht Prozent, gefolgt von dem Oppositionsführer Bénéwendé Stanislas Sankara, der rund fünf Prozent bekam. Solche Ergebnisse zeugen nicht gerade von einer lebendigen Demokratie. Offene Wahlfälschungen oder gewaltsamer Terror sind dabei nicht einmal nötig. Wo ohnehin niemand an einen politischen Wechsel glaubt und viele Menschen abstimmen gehen, weil ihnen bei Wahlkundgebungen ein wenig Geld zugesteckt wird, besteht wohl selbst ohne direkte Manipulationen der Urnen kaum ein Risiko für den Amtsinhaber.

Blaise Compaoré regiert Burkina Faso seit 1987. Damals ermordete er zusammen mit anderen Militärs bei einem von der früheren Kolonialmacht Frankreich unterstützten Putsch seinen Amtsvorgänger und Adoptivvater Thomas San­kara. Dieser führte damals eine linkspopulistische Militärregierung, die versuchte, das Land unter Mitwirkung von Gewerkschaften und linken Parteien zu reformieren und aus der französischen Vormachtstellung zu lösen. Sankara wurde für viele Jugendliche in Afrika zum Vorbild.
Sein Nachfolger, Blaise Compaoré, führte Burkina Faso dagegen zurück in die Bahnen der »neokolonialen Normalität« und zerstörte die Hoffnungen weiter Teile der Bevölkerung auf Veränderung. Sein Regime stützte sich eher auf Korruption und einen »sanften Autoritarismus« als auf Blutvergießen. Mit einigen Ausnahmen. Im Jahr 1998, kurz nachdem Compaoré durch eine heftig umstrittene Wahl im Amt bestätigt worden war, ermordete seine Leibgarde den kritischen Journalisten Norbert Zongo. Auch der Bruder des Präsidenten, François Compaoré, war in diesen Mord verwickelt. Seitdem führen Oppositionelle und Menschenrechtsorganisationen eine Kampagne für die Bestrafung der Verantwortlichen.
Burkina Faso spielt infolge der »Normalisierung« nach dem Putsch jedoch auch eine wichtige Rolle für Frankreichs politische Interventionen auf dem afrikanischen Kontinent, und mutmaßlich auch für eine Reihe von Waffenlieferungen in Nachbarländer, in denen stärkere Konflikte stattfinden. Compaoré ist in den vergangenen Jahren immer häufiger als Vermittler in zahlreichen dieser Konflikte aufgetreten, wobei hinter ihm oft der Schatten der postkolonialen Hegemonialmacht Frankreich zu erkennen war.
Derzeit ist Compaoré als Vermittler in zwei Ländern tätig, die vom Ausbruch eines Bürgerkriegs bedroht sind. In Guinea leitete er die Gespräche zwischen der zivilen Opposition und der nun scheidenden Militärregierung. Die Abhaltung der Präsidentschaftswahl in diesem Jahr, der ersten pluralistischen Wahl in Guinea seit der Unabhängigkeit im Jahr 1958, erwies sich als schwierig. Der erste Wahlgang fand am 27. Juni statt, der zweite, nach mehrfacher Verschiebung, erst am 7. November. Zwei Kandidaten standen sich noch gegenüber, der frühere Premierminister Celou Daleine Diallo und der Vorsitzende der Oppositionspartei RPG, Alpha Condé, der mit 54 Prozent der Stimmen die Wahl gewann, wie der oberste Gerichtshof Anfang Dezember bestätigte. In Guinea polarisierte sich die innenpolitische Debatte weitgehend um die Frage der ethnischen Zugehörigkeit der Kandidaten, vor allem um Celou Daleine Diallo, der der Bevölkerungsgruppe der Peul angehört. Diese stellen mit 40 Prozent die größte Bevölkerungsgruppe im Lande, übten ­jedoch, im Gegensatz zu der anderen Gruppe, den Malinke, seit der Unabhängigkeit noch nie die politische Macht aus. Viele Händler und Angehörige der städtischen Armutsbevölkerung in der Hauptstadt Conakry sind Peul. Viele Guineer befürchteten im Falle eines Wahlsieges Diallos eine »Rache der Peul«, die bislang von der Macht ferngehalten worden waren. Viele Stimmen von erfolglosen Kandidaten aus dem ersten Wahlgang wurden beim zweiten Wahlgang deshalb auf Condé übertragen. In Guinea ist die Stimmung gespalten. Nur ein Teil der Bevölkerung glaubt an einen echten Wahlsieg von Condé. Nach der Bekanntgabe der vorläufigen Wahlergebnisse am 15. November versammelten sich Unterstützer von Diallo zu Protesten auf den Straßen. Die zumeist aus Angehörigen der Malinke bestehende Polizei eröffnete das Feuer in Stadtteilen, in denen Peul wohnen, und erschoss dabei mindestens 86 Menschen. Mehr als 200 weitere Menschen wurden verletzt. Zumindest vorläufig hat sich Lage jedoch beruhigt, der Ausnahmezustand wurde Ende vergangener Woche wieder aufgehoben.

Das zweite Land, in dem Compaoré als Vermittler tätig war, ist die Côte d’Ivoire. Die Präsidentschaftswahl fand dort am 31. Oktober und am 28. November statt, nachdem sie mehrfach verschoben worden war (Jungle World 48/10). Seitdem hat das Land zwei vereidigte Präsidenten und zwei rivalisierende Regierungen, die Angst vor einem erneuten Aufflammen des Bürgerkriegs ist groß. Die Wahl hat offiziell Alassane Ouattara von der »Sammlung der Houphouët-Anhänger für Frieden und Demokratie« (RHPD) gewonnen. Unter der Hand wurde er auch von den Ex-Rebellen der »Forces Nouvelles« (FN, »Neue Kräfte«) unterstützt, die heute eine Art Parallel-Armee bilden, die den Norden des Landes beherrscht. Der bisherige Präsident, Laurent Gbagbo, will jedoch seine Abwahl nicht akzeptieren, obwohl inzwischen auch der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen seine Unterstützung für den Wahlgewinner Ouattara erklärt hat.
Es war die erste Präsidentschaftswahl in der Côte d’Ivoire seit Ende des Bürgerkriegs, der das Land de facto in zwei administrativ getrennte Hälften, den Norden und den Süden, gespalten hat. Der Krieg endete offiziell mit dem Abkommen von Ouagadougou im März 2007. Auch in diesem Fall unter der Leitung von Blaise Com­paoré.
Compaoré ist nämlich auch der Schirmherr der FN, wie die früheren Rebellen in der nördlichen Landeshälfte seit dem offiziellen Ende des Bürgerkriegs heißen. Die Warlords dieser »neuen Kräfte« bereicherten sich während des Bürgerkriegs hemmungslos, errichteten eifrig Villen in Burkina Faso und investierten mit dem Geld aus den »Revolutionssteuern«, die sie von der örtlichen Bevölkerung und auf den Handel zwischen Norden und Süden erhoben.
Während des Bürgerkriegs wurden die Ivoirer aus der nördlichen Landeshälfte von Nationalisten aus dem Süden als »Ausländer« und verkappte burkinabè bezeichnet. Die Côte d’Ivoire und Obervolta, wie Burkina Faso bis 1984 hieß, waren bis zu ihrer Zerteilung durch die französische Kolonialverwaltung im Jahr 1947 ein einheitliches Territorium. Viele Ivoirer aus dem Norden haben Elternteile auf der anderen Seite der Grenze und oft beide Staatsbürgerschaften. Zahllose Immigranten aus Burkina Faso und Mali arbeiteten zugleich seit Jahrzehnten in der Côte d’Ivoire, dem früheren »Wirtschaftswunderland« der Region, das allein 40 Prozent der Wirtschaftskraft Westafrikas ausmacht, aber seit einigen neoliberalen Reformen in den neunziger Jahren zum Teil ruiniert ist.
Die Berufung auf die Ivoirité, die den Unterschied zwischen »echten« und »falschen« Ivoirern ausmachen sollte, hatte aber auch einen innenpolitischen Grund: Einigen aus dem Establishment in der Côte d’Ivoire ging es darum, Alassane Ouattara vom Präsidentenamt fernzuhalten. Ouattara stammt aus dem Norden, seine Mutter aus Burkina Faso. Im Jahr 2000 wurde er aus vorgeblich ethnischen Gründen von der Wahl ausgeschlossen.
Die französische Regierung unterstützt Ouattara. Dieser ist mit Nicolas Sarkozy, der ihn kurz vor Ablauf seiner Amtszeit als Bürgermeister von Neuilly-sur-Seine im Jahr 2007 dort mit einer Französin traute, persönlich befreundet. Ouattara wird auch von den USA unterstützt, nicht zuletzt deswegen, weil er in den achtziger und neunziger Jahren in internationalen Finanzinstitutionen arbeitete und es bis zum Vizedirektor des Internationale Währungsfonds brachte. In dieser Funktion war er an politischen Entscheidungen beteiligt, die Hunger und Elend über Teile des afrikanischen Kontinents brachten. Heute wirbt er mit seinem »wirtschaftlichen Sachverstand« für sich, der ihm auf nationaler wie internationaler Ebene zuerkannt wird.

Ouattara wird auch von Blaise Compaoré unterstützt. Das von dem Präsidenten Burkina Fasos eingefädelte Abkommen von Ouagadougou sieht vor, dass die Warlords der früheren Rebellen und jetzigen Mitglieder der FN in der Wahlkommission stark vertreten sind. Die Wahlkommission ist zudem nach einem Schlüssel zusammengesetzt, der den früheren Anhängern des alten Präsidenten, Félix Houphouët-Boigny, eine wichtige Rolle beimisst. Die Parteien, die aus den Anhängern des pro-französischen Potentaten Houphouët-Boigny hervorgegangen sind, unterstützten bei der Wahl ebenfalls Ouattara.
Alles hätte also darauf hinauslaufen können, dass Ouattara legal die Wahl gewinnt und ihm dies durch die zuständige Kommission auch bescheinigt wird. Ob dies wirklich der Fall ist, kann nur schwer beurteilt werden. Es hat sicherlich Unregelmäßigkeiten gegeben, zum Teil auch zugunsten von Ouattara. In der nördlichen Hälfte des Landes wurden viele Wahllokale ausschließlich von Ex-Rebellen kontrolliert, weswegen es für Ouattara zum Teil sowjetische Ergebnisse gab. Durch seinen Putsch hat Laurent Gbagbo, der die Wahlkommission entmachtete und sich von dem von ihm kontrollierten Verfassungs­gericht kurzerhand zum Sieger erklären ließ, die Debatte darum abgebrochen. Gbagbo sucht seine Legitimität letztlich nicht in einer Bestätigung durch Wahlen, wie er bereits vorab in Interviews für Jeune Afrique zwischen den Zeilen erkennen ließ. Er baut nun vielmehr auf eine Mobilisierung »der Massen«, wie es sie in der Vergangenheit gab. Zum Beispiel im Herbst 2004, als französische Soldaten in der Wirtschaftsmetropole Abidjan das Feuer auf Demonstranten eröffneten. In der Mobilisierung mischen sich ein populistischer Nationalismus, der sich sowohl gegen »den Norden« als auch gegen die internationalen Großmächte richtet – vor allem Frankreich und die USA –, teilweise religiös eingefärbte Motive und antikolonial anmutende Argumente.
In dieser Rolle des Volkstribuns fühlt Laurent Gbagbo, der in seiner Rede zum Amtseid die »internationale Einmischung« kritisierte, sich am wohlsten. Ob er sich allerdings auf Dauer an der Macht halten kann, während Frankreich, die USA, eine Mehrheit im UN-Sicherheitsrat und inzwischen auch die Afrikanische Union deutlich Alassane Ouattara unterstützen, bleibt fraglich.