Wie ein sächsischer Ort Flüchtlinge loswerden will

Schneeberger Gastfreundschaft

Im sächsischen Schneeberg sind Asylbewerber aus Mazedonien in einer früheren Jägerkaserne der Bundeswehr untergebracht worden. Seitdem werden im Ort antiziganistische Vorurteile gepflegt.

In den EU-Staaten wurde im Dezember 2009 die Visumspflicht für mazedonische und serbische Staatsangehörige weitgehend abgeschafft. Seitdem klagen deutsche Innenminister darüber, dass die Reisefreiheit missbraucht werde. Spiegel und Focus prophezeiten im Oktober einen »Zustrom« von Asylbewerbern, Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sprach von einem »offenkundigen Missbrauch« des Asylrechts. Im September hatten 800 serbische Staatsangehörige und 500 Mazedonier Antrag auf Asyl gestellt, der Spiegel sprach in diesem Zusammenhang von einer »Asylbewerberwelle«. Schon im Oktober wurden die finanziellen Rückkehrhilfen für Asylsuchende aus Serbien und Mazedonien gestrichen. Dass die Wortwahl, derer Innenminister und Medien sich bedienen, die Wahrnehmung in der Bevölkerung beeinflusst und Ressentiments verstärkt, konnte man in den vergangenen Wochen unter anderem im sächsischen Schneeberg beobachten.

»Schneeberg kennt nur ein Thema«, titelte die regionale Tageszeitung Freie Presse im Oktober. Im Ort schien man sich darüber einig zu sein, dass die Unterbringung von mazedonischen Sinti und Roma in der ehemaligen Jägerkaserne der Bundeswehr einen Skandal darstelle. Bürgermeister Frieder Stimpel (CDU) ließ in der Regionalpresse verlauten, ein Anstieg von Diebstählen im Ort sei nicht auszuschließen. Die zuständige Polizeidirektion erklärte auf Anfrage der Jungle World, dass es bisher keine Zunahme der Kriminalität gegeben habe. Darüber hinaus mutmaßte Stimpel, die Erstaufnahmeeinrichtung in Schneeberg sei »nicht gerade förderlich, wenn ich dort Gewerbe ansiedeln will«. Auf die Frage, ob es konkrete Hinweise von Unternehmen zum Verzicht auf Investitionen im Ort gebe, gab Stimpel bisher keine Antwort. Der neue Eigentümer der Jägerkaserne Gustav Struck, Bruder des ehemaligen deutschen Verteidigungsministers Peter Struck (SPD), schließt sich den Mutmaßungen des Bürgermeisters weitgehend an. Auch er könne nicht ausschließen, dass die Vermarktung des Geländes durch die Unterbringung von Asylbewerbern erschwert werde.

Da das Schneeberger Wirtschaftswunder aber auf sich warten lässt und die Räume leer stehen, habe er der Anfrage des Freistaates Sachsen »vorübergehend« zugestimmt. Die Stadträte forderten von der Landesregierung die Zusicherung, dass die Unterbringung nur eine kurze Übergangslösung bleibe. Um die Lage zu beruhigen, meldete sich Grit Rosenberg von der Chemnitzer Ausländerbehörde zu Wort: »Mazedonische Familien sind sehr ruhig. Sie passen auf sich und ihre Kinder gut auf.«
Die ablehnende Haltung gegenüber Asylsuchenden im Erzgebirgskreis ist schon länger bekannt. Im benachbarten Aue beklagen Vertreter des »Runden Tisches Migration«, dass der Landkreis sehr restriktiv mit Asylbewerbern umgehe. So werde ihnen kein Bargeld ausgezahlt und es gebe kaum dezentrale Unterbringungen für Asylsuchende. Neben der Unterkunft in der früheren Jägerkaserne gibt es in Schneeberg noch ein weiteres Flüchtlingsheim. Ulrike Kahl, Büromitarbeiterin der grünen Landtagsabgeordneten Annekathrin Giegengack, sagt, die Zustände im Schneeberger Heim seien so miserabel, dass man es eigentlich schließen müsse. Den Mitarbeitern von Vereinen wie dem Sächsischen Flüchtlingsrat oder der Beratungsstelle für Betroffene rassistischer Gewalt (RAA Sachsen) wurde der Zugang in die Flüchtlingsheime im Landkreis verwehrt. Nach zahlreichen Beschwerden gibt es derzeit eine Übergangslösung, die beim zuständigen Landrat erwirkt wurde. Mittlerweile dürfen sie für Beratungsgespräche nach einer Voranmeldung die Heime aufsuchen, wenn sie angeben, welche Person in der jeweiligen Unterkunft von ihnen beraten wird.

Der Ortsverband der NPD nutzt die Stimmung in Schneeberg für sich aus. Die Partei stellte mehrere Anfragen im sächsischen Landtag, danach wurde im Ort ein Flugblatt verteilt, in welchem sich die Antworten der Staatsregierung zur Asylpolitik in Schneeberg wiederfinden. Dass die antiziganistischen Hetze der NPD im Ort auf eine gewisse Akzeptanz stößt, zeigt sich auch daran, dass auf Initiative der Partei Anfang Dezember eine Bürgerversammlung stattfand, die von NPD-Stadtrat Rico Illert im Gemeinderat beantragt worden war. Scheinbar bemühte sich dort niemand darum, sich von dem Anliegen der NPD abzugrenzen. Auf dem Podium nahm Bürgermeister Stimpel neben Vertretern des Sächsischen Innenministeriums, der Landesdirektion Chemnitz und der Zentralen Ausländerbehörde Platz.
Der Pressesprecher des Sächsischen Innenministeriums Frank Wend sagte der Jungle World, dass er das Zustandekommen der Bürgerversammlung anders beurteile. Das Angebot zu einer solchen Veranstaltung habe das Ministerium in Schneeberg bereits Anfang Oktober gemacht: »Bei der Veranstaltung handelte es sich um eine Bürgerversammlung nach Gemeindeordnung, zu der die Stadt Schneeberg die Öffentlichkeit eingeladen hat.« In der Regionalpresse wurde als wichtigstes Ergebnis der Versammlung verkündet, dass die Erstaufnahmeeinrichtung in einem Jahr wieder geschlossen werden soll. Mit dieser Nachricht wurden die aufgebrachten Schneeberger vorerst beruhigt.
Was die abgeschobenen Sinti und Roma in ihren Herkunftsländern erwartet, gehörte nicht zu den Fragen, die bei der Bürgerversammlung besprochen wurden. Die Landesdirektion Chemnitz bemüht sich derzeit darum, die mazedonischen Familien zur »Zurücknahme der Asylanträge und zur freiwilligen Ausreise« zu bewegen. Im November fuhren zwei mit Flüchtlingen gefüllte Reisebusse von Sachsen nach Mazedonien. Pro Asyl geht davon aus, dass die abgeschobenen Sinti und Roma in ihren Herkunftsländern katastrophale Zustände erwarten. Seit Jahren sei in Deutschland keine Flüchtlingsgruppe mehr angekommen, die sich in einem solch besorgniserregenden körperlichen und psychischen Zustand befunden habe. In Mazedonien und Serbien seien sie extremer Diskriminierung ausgesetzt und lebten unter schwierigen sozialen Bedingungen. In vielen Fällen stehe ihnen »ein perspektivloses Leben am Rande der Müllkippen« bevor. Der Wintereinbruch in Südosteuropa verschärft diese Situation. In Schneeberg aber scheint das niemanden zu interessieren.