Der KAS Eupen und der belgische Fußball

»Schöner wie Karneval«

Mit der KAS Eupen spielt erstmals ein Team aus der deutschsprachigen Minderheit in der höchsten belgischen Fußball-Liga. Hinter dem ­Erfolg stehen italienische Expertise und ein Disziplinfanatiker aus dem Elsass.

Wenn der frankophone belgische Sender RTBF seine Zuschauer auf Deutsch begrüßt, muss das schon triftige Gründe haben. »Einen wunderschönen guten Abend«, so eröffnete die beliebte Fußball-Sendung La Tribune Anfang November die Spieltaganalyse. Der Anlass war in der Tat bemerkenswert: Im Nachbarschafts-Derby der beiden östlichsten Clubs der Jupiler League hatte die Königlich Allgemeine Sportvereinigung, der Aufsteiger aus dem Ardennen-Nest Eupen, dem Hauptort der winzigen deutschsprachigen Region Belgiens, den renommierten Club Standard de Liège mit 3:1 bezwungen. Auswärts, wohlgemerkt, in der hitzigsten Stadionatmosphäre des Landes, gefürchtet als »Hölle von Sclessin«, nach dem inoffiziellen Namen des Maurice-Dufrasne-Stadions. Und in beeindruckender Manier.
Im Rest des Landes rieb man sich wieder einmal die Augen. So wie im Sommer, als der KAS Eupen als erstem deutschsprachigen Club der Aufstieg in die höchste Liga gelang. Bis dahin pendelte sie meist zwischen Zweit- und Drittklassigkeit. Das Dasein in der fußballerischen Peripherie passte zur geographischen Randlage, denn hinter Eupen und seinen 17 000 Einwohnern kommen nur noch bewaldete Hügel und dann sehr bald die Grenze zu Deutschland. Den Saisonstart verpatzten die Schwarz-Weißen in geradezu bizarrer Konsequenz: mit nur einem Punkt aus zehn Spielen, dafür aber zwei Trainerwechseln unter nebulösen Umständen in nur vier Wochen. Die Sensation verkam zur Lachnummer. Dann aber, im Spätherbst, brach der Club als Punktelieferant urplötzlich aus der vorgesehenen Rolle aus, gewann dreimal, holte zwei Unentschieden und kletterte sogar aus den Abstiegsrängen.
Es scheint, als hätte das Umfeld nur etwas Zeit gebraucht, um den rapiden Sprung zu verkraften und in der ersten Liga anzukommen. Ganz so wie das Stadion am Kehrweg, das auf einem Bergrücken hoch über dem Städtchen thront. Als die Saison begann, waren die Tri­bünendächer noch niedriger als die angrenzenden Tannenreihen. Nur mit Hilfe von proviso­rischen Lichtmasten wurde die nötige Beleuchtungsstärke für Fernsehübertragungen erreicht, und am Haupteingang dominierte das in die Jahre gekommene Plakat einer Baufirma die Szenerie: »Handwerker aus unserer Region bürgen für Qualität«, war darauf zu lesen. Deren Inhaber ist der honorige Vereinspräsident Dieter Steffens. Nach einer hektischen Renovierung sind alle Bedingungen des belgischen Fußballverbands erfüllt und die Kapazität von rund 4 000 auf knapp 9 000 verdoppelt. Keines der gerne zitierten Schmuckkästchen, aber eine formidable Heimstatt.
Und was man lange Jahre nicht gedacht hätte: Die Eupener kommen in Scharen, um ihren Erstligisten anzufeuern. Sie tun das ganz nach den örtlichen Gebräuchen. Singen »Allez Eupen«, mit »Ö« vorne und Betonung auf »-pen«, denn die Deutschsprachige Gemeinschaft, die gerade einmal 70 000 Menschen in neun kleinen Gemeinden umfasst, gehört zum frankophonen Landesteil Wallonie. Aber sie singen auch »Hey AS Eupen« auf die Melodie des Pippi-Langstrumpf-Lieds. »Ça va?« begrüßt man bekannte Gesichter im Stadion, und die Antwort kann leicht »Un’ sellebst?« lauten, die Eifel ist schließlich um die Ecke. Rheinischen Liedguts bedient man sich mit Inbrunst, um mit einem fulminanten »Eupen Alaaf« abzuschließen. Kein Wunder, denn der Aufstieg, so hört man auf den Rängen, war ja auch »schöner wie Karneval«.
Trotz aller Begeisterung besteht kein Zweifel daran, dass erst der Erfolg die Begeisterung der Eupener für den AS weckte. Anfang Dezember, bei der Heimniederlage gegen das Spitzenteam aus Gent, trotzt Grundschullehrer Marc dem Schneegestöber auf den Stehplätzen, gehüllt in eine mollige Gladbach-Jacke. Just von dort kommt der Endzwanziger soeben zurück. Seit er acht ist, geht er zur Borussia, und der drohende Abstieg drückt auf seine Stimmung. Die AS entdeckte er dagegen erst mit dem neuen Stadion. So geht es vielen hier, die vorrangig Schalke-, Köln- oder Aachen-Anhänger sind. Nur wenn Belgien spielt, drücken alle die Daumen für Les Diables Rouges. Marc sagt, die deutschsprachigen seien die patriotischsten Belgier. In dem vom flämisch-wallonischen Dauerstreit geprägten Land gelten sie auch als die letzten Überzeugten.
Samstagnachmittags aber schauen die letzten Belgier Bundesliga. Vor den Spielen der Jupiler League am Abend läuft in Eupens Fankneipen die Sky-Konferenz. Die Einheimischen lassen den Bildschirm nicht aus den Augen. Die Gästefans aus Gent aber übertönen den Kommentar mit ausgelassenem »Waar is dat feestje? Hier is dat feestje!« Über 200 Kilometer liegt Gent von den Ardennen entfernt, und schon als die AS aufstieg, erzählen sie, war klar: Da müssen wir mal hin! Den Exotenbonus räumen sie unumwunden ein. Wo sonst in Belgien feiert man im Sommer Tirolerfest und lauscht zum Neujahrskonzert »Wiener Walzerträumen« und dem Radetzkymarsch?
Der Aufschwung der AS indes ist mit anderen Farben verbunden. Auf der offiziellen Aufstiegs-Baseballmütze, die im Fanshop verkauft wird, kreuzen sich die Stangen einer belgischen und einer italienischen Flagge. Und wo man auch hinhört, ohne »die Italiener« wäre der Club heute nicht in der ersten Liga. Vielleicht nicht einmal in der zweiten, denn als Antonio Imborgia, der einst in der Serie B für Cagliari und Palermo spielte, im Winter 2008 in die Stadt kam, stand man dort abgeschlagen am Tabellen­ende. Imborgia, als Spielerberater zuvor für Kaliber wie Nuno Gomes und Gabriel Batistuta ­tätig, führte der maroden AS Finanzen und vor allem Spieler zu – meist solche, denen in Italien noch nicht der Durchbruch gelungen war. Ob der druckvolle Stürmer Matthias Lepiller, der Verteidiger Alessandro Iandoli oder erst zu Saisonbeginn der Mittelfeldmann Abderrazzak Jadid – sie alle holte er nach Eupen.
Die Herzen fliegen dem 52jährigen Retter im bodenständigen Eupen allerdings nicht zu. Sein elegantes Auftreten findet man allürenhaft, die sizilianische Herkunft sorgt für Mafia-Vergleiche, und überhaupt besteht da der Verdacht, dass er Eupen nur als Kulisse zum Schaulaufen für seine Spieler nutzt, auf dass diese sich hier für höhere Aufgaben empfehlen können.
Vielleicht fehlte ja in dieser Konstellation nur jemand wie Albert Cartier als Scharnier. Der ambitionierte Coach übernahm die verunsicherte Mannschaft Ende September und brachte sie in ruhigeres Fahrwasser. »Mit Härte, Transparenz und Kreativität«, so fasst er seine Philosophie zusammen. »Und viel Arbeit. Nur durch Arbeit findet man Lösungen.« Der drahtige 50jährige stammt aus dem Elsass und spielte lange beim FC Metz. Er schwärmt von der Organisation des deutschen Fußballs – und von Werten wie Pünktlichkeit, Sauberkeit und Disziplin. Just darum gefällt es ihm in Eupen: »Wenn man hier durch die Stadt geht, sieht man, dass es sauber ist. Man achtet auf Radfahrer und Fußgänger und respektiert die Zebrastreifen.«