Über die Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen ohne Aufenthalts¬titel

Auf Krücken zum Amt

Menschen, die unter das sogenannte Asylbewerberleistungsgesetz fallen, wird nicht nur ein geringeres Existenzminimum zugestanden als den gewöhnlichen Leistungsempfängern. Unter Umständen wird ihnen dringend benötigte medizinische Hilfe verweigert – wie zum Beispiel dem chronisch kranken Flüchtling und Menschenrechtsaktivisten Ali Safianou Touré.

Die Tabletten lindern die Schmerzen etwas. Aber sie drücken auf den Magen. Seit Monaten schläft Ali Safianou Touré erst am frühen Morgen ein – für zwei, drei Stunden. »Ich habe viel Stress und mache mir Gedanken«, sagt der Mann mit den kräftigen Oberarmen. Geht er mit den Krücken aus dem Haus, macht er nach wenigen Metern eine Pause – zu stark stechen die Schmerzen im Rücken und in den Knien. »Ich kann schlecht atmen, ich muss stehenbleiben und mich ausruhen«, sagt der 38jährige, der als kleiner Junge an Poliomyelitis erkrankte und seit einiger Zeit auch unter Herzproblemen und Bluthochdruck leidet. Kein Physiotherapeut massiert seine beanspruchten Schultern. Einen elektronischen Rollstuhl, den ihm Ärzte dringend empfehlen, bezahlt derzeit ebenfalls keine Stelle. Auch eine Haushaltshilfe wird nicht genehmigt.
Denn der Flüchtling aus Togo soll nach West­afrika zurück, sein Asylantrag wurde 2005 abgelehnt, da für ihn nach dem Tod des Präsidenten Gnassingbé Eyadèma, der das Land seit 1967 diktatorisch regiert hatte, keine Gefahr mehr bestehe. Seitdem ist er in Deutschland nur »geduldet«, das heißt, er muss eigentlich ausreisen. Alle drei Monate geht er den Weg zur Ausländerbehörde Parchim in Mecklenburg-Vorpommern, um einen neuen Duldungsstempel zu bekommen. Dort hat er auch vor zwei Jahren ein Bleiberecht aus humanitären und rechtlichen Gründen beantragt. Mit einem Aufenthaltstitel hätte er bessere Chancen auf eine ausreichende Gesundheitsversorgung als mit dem Duldungsstatus. Doch Touré wartet noch immer auf eine Entscheidung der Ausländerbehörde.

Für Asylbewerber und Menschen, die mit einer Duldung in Deutschland leben, gilt nicht das Bundessozialgesetz, sondern das sogenannte Asylbewerberleistungsgesetz, das ein geringeres Existenzminimum und eine eingeschränkte medizinische Grundversorgung vorsieht. Derzeit leben rund 87 000 Menschen mit einer Duldung in Deutschland. Vor allem Kranke und Behinderte haben keine Chance, die harten Bedingungen der letzten Bleiberechtsregelung zu erfüllen. Jeden Monat kommen zwischen 400 und 1 000 Asylbewerber nach Deutschland, von denen nicht einmal zwei Prozent als Asylberechtigte anerkannt werden. Sofern sie dann keinen Aufenthaltstitel nach der Genfer Flüchtlingskonvention erhalten, müssen sie oft jahrelang mit dem Duldungsstatus leben – und mit einer eingeschränkten medizinischen Grundversorgung.
Flüchtlingsverbände kritisieren das seit vielen Jahren. Sie weisen aber auch darauf hin, dass der Behandlungsanspruch nach dem sogenannten Asylbewerberleistungsgesetz entgegen der weit verbreiteten Annahme nicht nur bei akuten Krankheiten und Schmerzzuständen gerechtfertigt sei. Häufig sei die Verweigerung von Opera­tionen und medizinischen Hilfsmitteln durch Ämter und Amtsärzte rechtswidrig und zum Teil auf die fehlende Kenntnis der Rechtsgrundlagen zurückzuführen. Auch chronische Krankheiten müssten nach diesem Gesetz behandelt werden, zumal wenn sie schmerzhaft sind. Außerdem seien die Regeln der ärztlichen Ethik sowie die in der Verfassung garantierten Grundsätze der Menschenwürde und des Rechts auf Leben und auf körperliche Unversehrtheit zu beachten, sagt Georg Classen vom Flüchtlingsrat Berlin.
Ali Safianou Tourés Asylheim befindet sich in der kleinen Stadt Parchim in Mecklenburg-Vorpommern. Der Flachbau wurde vor sechs Jahren neu errichtet, weil Flüchtlinge jahrelang und hartnäckig dagegen protestiert hatten, dass sie und ihre Kinder weitab von Ortschaften und Bushaltestellen in alten NVA-Baracken untergebracht wurden. Zu den Protestierenden gehörte auch Touré, für den die Strecke auf dem kilometerlangen Feldweg bis zur nächsten Ortschaft besonders beschwerlich war. »Wir kamen zu siebt in dem Lager an, die anderen sechs haben viele Tage geweint, weil es wie ein Gefängnis war«, sagt er.
Auch heute noch engagiert sich Touré in der »Karawane für die Rechte von MigrantInnen und Flüchtlinge«, geht auf Treffen und protestiert gegen Abschiebungen sowie dagegen, dass Flüchtlinge in Deutschland sich nicht dort aufhalten können, wo sie wollen, weil sie der Residenzpflicht unterliegen.
Politisch aktiv war er auch in Togo. »Ich war zu 100 Prozent Aktivist«, erzählt er. Touré ging zu vielen Demonstrationen – damals noch ohne Krücken. Manchmal wurde auch geschossen. »Einmal bin ich mit einem Freund zur Demons­tration und kam allein wieder zurück«, sagt er. Seit über acht Jahren lebt er in Deutschland. Seit über acht Jahren darf der gelernte Schneider nicht arbeiten. Und er muss mit 196,85 Euro im Monat auskommen. Seit vielen Monaten wartet er darauf, dass die Ausländerbehörde Parchim endlich über seinen Antrag auf Bleiberecht entscheidet. Auch wenn die üblichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind, können die Behörden jemandem einen Aufenthaltstitel erteilen, beispielweise wenn gesundheitliche oder rechtliche Gründe vorliegen. »Die Behörde verlangt ein Attest und noch ein Attest, und wenn ich alles zusammen habe, heißt es, dass ich für diese oder jene Sache ein aktuelleres Attest bringen soll«, erzählt Touré. Nach Angaben von Bernd Mesovic, Referent bei der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl, verhalten sich die Länder und auch die einzelnen Ausländerbehörden in dieser Frage unterschiedlich. »Sicher hoffen einige Ausländerbehörden, dem in bestimmten Fällen erwartbaren Behandlungsaufwand und den damit neben der Lebensunterhaltssicherung verbundenen finanziellen Folgen entrinnen zu können«, sagt Mesovic.
Die Ausländerbehörde Parchim weist den Vorwurf zurück und erklärt sich für nicht zuständig. »Wir sind der falsche Adressat«, sagt Heiko Lorenz. »Wenn es um die Behandlungsmöglichkeiten in Togo geht, muss man sich an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wenden«, sagt der Leiter der Parchimer Ausländerbehörde.

Tourés Anwältin Sigrid Töpfer sieht das anders: »Die Ausländerbehörde ist einfach dreist und hat es seit über einem Jahr nicht geschafft, eine Entscheidung zu fällen. Das ist nicht mehr hinnehmbar.« Sie möchte für ihren Mandanten ein Bleiberecht nach Paragraph 25 des Aufenthaltsgesetzes erreichen, wonach »einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist«, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann, »wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist«. Darüber könne die Behörde sehr wohl entscheiden, sagt Töpfer. Das Gegenteil zu behaupten, sei ein »taktischer Zug«. Sie hat gegen die Ausländerbehörde Parchim deshalb beim Verwaltungsgericht Schwerin eine Untätigkeitsklage eingereicht. Das war allerdings schon im Juli 2010. Im Februar will das Gericht angeblich entscheiden. Ali Safianou Touré wartet weiter.