Die »Frau-Sarrazin-Debatte«

Ich knick’ dich, du Opfer!

Während über ihren Mann nur noch selten geredet wird, avanciert Ursula Sarrazin zum Schreckgespenst des Berliner Schullebens.

Nun will sie ein Buch schreiben, wie ihr Ehemann, am besten über Bildung. »Ich führe schon lange ein Tagebuch«, begründete sie ihr Vorhaben im Gespräch mit dem Spiegel, »das reicht schon jetzt für ein dickes Buch.« Auch einen vorzeitigen Rückzug aus dem Lehrberuf hält Ursula Sarrazin, die Gattin des früheren Finanzsenators, die an einer Berliner Grundschule arbeitet, für vorstellbar. Schließlich sei auch ihr Mann früher als geplant in Pension gegangen. Vielleicht sieht man die Sarrazins also demnächst gemeinsam in Talkshows sitzen.

Seit einigen Wochen sorgt Ursula Sarrazin nämlich ebenfalls für einen Skandal. Während gegen ihren Mann, von dem inzwischen schon wieder weniger die Rede ist, in Gestalt seines Buches »Deutschland schafft sich ab« zumindest Beweismaterial in schriftlicher Form vorliegt, kursieren über Frau Sarrazin aber lediglich Gerüchte. »Deutschlands umstrittenste Lehrerin« soll sie sein, schreibt die Bild-Zeitung, und die Zeit ereifert sich über ihre vermeintliche Publicitysucht, die man ihr vor allem deshalb unterstellt, weil Zeitungen wie eben die Zeit mehrere Seiten über sie vollschreiben. »Mein jüngster Sohn kam völlig geknickt nach Hause, wenn er bei Sarrazin Unterricht hatte. Er hatte Angst«, gab die Mutter eines Schülers in der Berliner Zeitung zu Protokoll. Einem deutsch-japanischen Schüler soll Frau Sarrazin den Schimpfnamen »Suzuki« gegeben, einen Deutschtürken als »armseliges Opfer« und »Schmarotzer« verunglimpft haben. Außerdem soll sie manchmal jähzornig sein und mit Blockflöten um sich schlagen.
Ursula Sarrazin behauptet, solche Äußerungen seien frei erfunden oder aus dem Zusammenhang gerissen, möglicherweise habe sie einmal einen Namen falsch abgelesen, und Blockflöten seien ihr zu schade, um damit zu schlagen. Sie selbst sieht sich als Opfer einer Mobbing-Kampagne, die einige türkische Eltern gegen sie begonnen hätten. Völlig unplausibel ist das nicht, wenn man bedenkt, dass sie zwangsläufig als Frau ihres Mannes wahrgenommen wird, gegen den manche türkische Familien einen berechtigten Zorn hegen dürften. Außerdem weiß, wer schon einmal das Pech hatte, mit der geballten Macht des in Deutschland besonders ernst genommenen »Elternrechts« konfrontiert worden zu sein, dass Eltern gegenüber den Lehrern ihrer Kinder bisweilen unverschämter auftreten als Lehrer gegenüber ihren Schülern.
Die Erziehungsmethoden, die Ursula Sarrazin zu vertreten vorgibt, nehmen sich jedenfalls insgesamt ziemlich banal aus. »Wir wollen den Kindern etwas beibringen. Dafür sollten sich die Kinder anstrengen«, sagt sie. Oder: »Man kann die Kinder nicht in Watte packen, das Leben packt sie ja später auch nicht in Watte.« Von ihren Maßnahmen, für Ruhe zu sorgen, berichtet sie: »Wenn ein Kind permanent stört, dann versucht man, es in den Flur zu setzen oder in die Nachbarklasse zu geben.« Derlei Äußerungen, die kaum mehr als den Grundkonsens bürgerlicher Schulautorität wiedergeben, werden ihr nun ausgerechnet von der bürgerlichen Presse als Anmaßungen vorgehalten.

Schlechte, jähzornige Lehrerinnen gibt es viele, ob Frau Sarrazin eine von ihnen ist, lässt sich aus der Ferne aber nicht feststellen. Wer aus ihrem Fall einen öffentlichen Skandal machen will, muss sich fragen lassen, ob es nicht an der Zeit wäre, auch andere Formen von Autorität zu kritisieren, die Pädagogen ausüben. Wenn etwa Lehrerinnen beim Schulfest junge Deutschtürken, die daheim Pizza oder Kohlrouladen essen, auf ihre Herkunft festnageln mit Sätzen wie: »Heute zeigt uns Murat mal, wie man türkisch kocht!« Oder wenn Lehrer pubertäre Cliquenführer, die den Klassenaußenseiter mit Aussagen wie »Ich schlag dich tot, du Opfer!« bedrohen, mit dem Hinweis in Schutz nehmen, dass solche Heranwachsende halt ein schwieriges Alter durchlebten und selbst unter ihrem Machismo litten. Wer in derlei Erscheinungen kein Problem sieht, der darf auch aus Frau Sarrazin keines machen.