Südsudan und die Unabhängigkeit

Bye-bye Bashir

Die ersten Auszählungergebnisse bestätigen, dass die Mehrheit der Südsudanesen sich bei einem Referendum für einen unabhängigen Staat entschieden hat. Das ist nicht das einzige Problem des Präsidenten Omar al-Bashir.

Die Araber spielen gerne Domino. Das bedeutet zwar nicht, dass nun die verbliebenen Diktatoren automatisch einer nach dem anderen fallen werden, aber ein jeder von ihnen ist besorgt. Sehr besorgt dürfte der sudanesische Präsident Omar al-Bashir sein. Als er Anfang Januar eine »neue Revolution« ankündigte, konnte er noch nicht ­ahnen, dass seine Worte so schnell doppeldeutig klingen würden. Denn selbstverständlich wollte er nicht darauf anspielen, dass die Sudanesen ihn verjagen könnten. Bashirs »Revolution« soll in einer strengeren Anwendung der Sharia bestehen.
»Was in Tunesien geschehen ist, war ein Weckruf. Es wird wahrscheinlich auch im Sudan geschehen«, kommentierte der oppositionelle Islamistenführer Hassan al-Tourabi. Am Montag der vergangenen Woche ließ Bashir ihn verhaften. Wenn ein arabischer Staatschef besonders aggressiv frömmelt und konkurrierende, nicht lizensierte Frömmler einsperren lässt, ist dies ein ­sicheres Zeichen dafür, dass er erhebliche innenpolitische Probleme hat.
Selbst wenn Bashir sich an der Macht halten kann, verliert er ein Drittel seines Territoriums, ein Viertel seiner Untertanen und, was ihn am schwersten trifft, fast alle jener Ölquellen, mit deren Ertrag er sein Klientelsystem finanziert. Vorausgesetzt allerdings, er hält sich an das im Jahr 2005 mit dem Sudan People’s Liberation Movement (SPLM) geschlossene Abkommen. Das damals vereinbarte Referendum wurde Mitte Januar beendet, und die ersten, in der vergangenen Woche veröffentlichten Auszählungsergebnisse ergaben eine Mehrheit von 90 Prozent für die Unabhängigkeit.

Bashir wirkte in den ersten Januarwochen etwas bockig, aber einsichtig. Wenn diese Undankbaren meine Herrschaft nicht zu schätzen wissen, sollen sie eben gehen, schien er sagen zu wollen. Ohne die nichtmuslimischen Nörgler des Südens falle es immerhin leichter, die Sharia durchzusetzen, und die Südsudanesen würden schon sehen, was ihnen die Unabhängigkeit bringt: »Der Süden kann weder für seine Bürger sorgen noch einen Staat aufbauen.«
Das allerdings haben auch die von zivilen Oli­garchen oder Offizieren aus dem Norden gebildeten Regierungen seit der Unabhängigkeit im Jahr 1956 nicht vermocht. Der erste Bürgerkrieg hatte bereits ein Jahr zuvor begonnen, nach einer elfjährigen Pause flammte er 1983 erneut auf. Von allen Regierungen wurde der Süden bei der Zuteilung staatlicher Investitionen benachteiligt, und unter den muslimischen Arabern im Norden ist Rassismus gegen die überwiegend nichtmuslimischen Schwarzen weit verbreitetet. Bei seinem Besuch im südsudanesischen Juba wurde der Präsident mit dem Ruf »Bye-bye Bashir« begrüßt. Ob es mit der autoritär herrschenden SPLM besser läuft, ist fraglich, aber schlimmer kann es kaum werden.

Die Ölvorräte des Südens werden auf fünf bis sieben Milliarden Barrel geschätzt, ihr derzeitiger Gesamtwert liegt zwischen 450 und 630 Milliarden Dollar. Exportiert wird das Öl durch eine Pipeline in den Norden. Trotz dieser Abhängigkeit kann Bashir wohl nicht damit rechnen, dass er wie bisher die Hälfte der Einnahmen bekommt. Die Versuchung ist also groß, die Sezession doch noch zu verhindern. Sollte Bashir sich dazu entschließen, wird er wohl, wie beim Kampf um Darfur, arabische Milizen einsetzen. In Abyei, einer ölreichen Region, deren Zugehörigkeit beim Abschluss des Friedensabkommens ungeklärt blieb, kam es während des Referendums zu heftigen Kämpfen. Den Recherchen Alan Boswells von McClatchy Newspapers zufolge war es das Ziel der arabischen Misseriya-Miliz, eine Eskalation herbeizuführen. Dies sei fast gelungen.
Den Frieden zu halten, ist für Bashir nicht nur ein finanzielles Risiko. Er muss befürchten, dass islamistische oder arabisch-nationalistische Hardliner im Offizierskorps dies als Schwäche und Einladung zu einem Putsch werten. Tourabi, ein elitärer Islamist, dessen Machtbasis eher in den Institutionen als in der Fähigkeit liegt, Massenproteste zu organisieren, gilt daher derzeit als besonders gefährlich.

Doch die UN-Bürokratie und die westlichen Regierungen glauben, wollen glauben oder geben vor zu glauben, dass das Regime sich an das Friedensabkommen halten wird. Der Sudan könnte Mitte des Jahres von der Liste der den Terrorismus unterstützenden Staaten gestrichen werden, stellte die US-Regierung in Aussicht. Vielleicht hofft Bashir, der gegen ihn vom Internationalen Strafgerichtshof (ICC) ausgestellte Haftbefehl (Jungle World, 14/09) werde aufgehoben. Der UN-Sicherheitsrat könnte die Ermittlungen und – das Statut des ICC erwähnt diese Maßnahme nicht explizit – wohl auch den Haftbefehl für ein Jahr suspendieren. Doch eine solche Maßnahme wäre schwer zu rechtfertigen.
Ohnehin gehört der Haftbefehl, der von vielen Staaten Afrikas und des Nahen Ostens offen missachtet wurde, als Bashir sie mit einem Besuch beehrte, zu den geringeren Problemen des Präsidenten. Den Haag ist fern, die unzufriedenen Sudanesen aber sind nah. In der vergangenen Woche kam es in mehreren Städten zu Protesten gegen Preiserhöhungen, das Regime hatte die Subventionen für Benzin gekürzt und die Importe beschränkt. Die Demonstrationen waren nicht sonderlich groß, doch das Regime ist nervös. »Etwa 14 Polizeiwagen haben die Universität umstellt«, berichtete Mohammed Hassan aus Wad Medani der Nachtrichtenagentur Reuters. »Sie haben Fahrzeuge mit Maschinengewehren, die auf uns gerichtet sind.«
Auch im Sudan kann der Moment kommen, da die Wut größer wird als die Angst, so wie es 1985 der Fall war, als ein Aufstand den Sturz Gafar al-Numeiris einleitete. Kurz zuvor hatte der Präsident eine Verschärfung der islamischen Gesetze angekündigt und Tourabi verhaften lassen.