Schöner neuer Markt

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Wenn Sie 14,30 Euro übrig haben und nicht wissen, was Sie mit dem Geld anfangen sollen, könnten Sie auf dem Spotmarkt in Leipzig eine Tonne Kohlen­dioxid erwerben. Genauer gesagt, Sie könnten das Recht erwerben, eine Tonne Kohlendioxid zu emittieren. Wenn Sie zufällig jemanden kennen, der ein Kohlekraftwerk besitzt, wird er Ihnen dieses Recht vielleicht abkaufen. Allzu groß ist die Chance nicht, denn bei den Emissionszertifikaten »ergibt sich für Deutschland ein leichter Überschuss«, wie das Umweltbundesamt feststellte. Die meisten Zertifikate werden nämlich verschenkt. Die Emission von Treibhausgasen sank 2009 zwar um 8,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, doch selbst Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) musste damals zugeben: »Der Rückgang der Emissionen liegt vor allem an der Wirtschaftskrise.« Der diesjährige Winter ist kalt, die Wirtschaft wächst, deshalb sind nach Schätzungen der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen die Emissionen 2010 um vier Prozent gestiegen. Vielleicht gibt es also doch jemanden, der ein Zertifikat braucht, weil er noch mehr emittiert, als die großzügige Bundesregierung ihm gestattet hat. Sie könnten auch darauf spekulieren, dass die Bundesregierung für die 2012 beginnende, neue Handelsperiode eine strengere Umweltpolitik beschließt, weniger Zertifikate verschenkt und so den Preis hochtreibt. Das wäre eine sehr gewagte Spekulation. Der Preis könnte aber auch einfach so steigen. Schließlich gibt es derzeit viele Anleger, die nicht wissen, wo sie ihr Geld investieren sollen. Wenn eine ausreichend hohe Zahl solcher Leute Emissionszertifikate kauft, steigt der Preis. Wenn Sie glauben, so blöd könne niemand sein, denken Sie an die Finanzderivate.
Einen großen Beitrag zum Klimaschutz leistet der europäische Emissionshandel nicht. Immerhin ist es gelungen, einen schönen neuen Markt zu schaffen, sogar den »am schnellsten wachsenden Produktmarkt in der Finanzgeschichte«, wie Sabina Manea von der London School of Economics feststellt. Das Handelsvolumen betrug im vergangenen Jahr 92 Milliarden Euro. Allerdings sind jüngst 28 Millionen Euro von diesem Markt verschwunden. Keiner weiß, wie das passieren konnte. In mehreren Staaten sind Hacker in die Computersysteme eingedrungen und haben Zertifikate gestohlen. Genauer gesagt, sie haben die Daten gestohlen, die Zertifikate simulieren, denn die Zertifikate sind keine echten Zertifikate aus Papier. Deshalb weiß auch niemand, was aus ihnen geworden ist. Wurden sie weiterverkauft? Oder waren die Täter Umweltschützer, die die Zertifikate und mit ihnen die Emissionsrechte verschwinden ließen? Dann dürften jetzt eigentlich knapp zwei Millionen Tonnen Kohlendioxid weniger emittiert werden. Aber von wem? Darüber scheint man in der Europäischen Kommission nun angestrengt nachzudenken, der Emissionshandel wurde für eine Woche ausgesetzt.