Thilo Weichert im Gespräch über die Neufassung des Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung

»Wir können nicht alles beim Alten lassen«

Von anna kow

Nachdem das Bundesverfassungsgericht im März 2010 die Vorratsdatenspeicherung in ihrer damaligen Form für verfassungswidrig erklärt hat, kam Ende des Jahres von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) der Vorschlag für eine Neufassung des Gesetzes (Jungle World 49/10). Nun wird der Justizministerin unter anderem von den Grünen vorgeworfen, sie wolle eine »Vorratsdatenspeicherung light« einführen. Dem Innenminister Thomas de Maizière (CDU) geht dagegen der Entwurf lange nicht weit genug. Die Jungle World sprach mit Thilo Weichert, dem schleswig-holsteinischen Landesbeauftragten für Datenschutz.

Was sieht die neue Initiative von Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger zur Vorratsdatenspeicherung vor?

Die Justizministerin hat Leitlinien für einen Gesetzesentwurf vorgelegt, die eine sogenannte Vorratsdatenspeicherung light vorsehen. Bei IP-Adressen, also bei Internetzugangsdaten, gelte dann eine einwöchige Speicherpflicht seitens der Provider – ansonsten aber soll es keine Vorratsspeicherung geben. Außerdem beinhaltet der Entwurf die Möglichkeit für ein sogenanntes Quick Freeze. Das bedeutet folgendes: Wenn Betroffene bei der Polizei jemanden anzeigen, kann ganz kurzfristig und mit relativ geringen Voraussetzungen ein Einfrieren der für den Fall eventuell relevanten Daten bei den Telekommunikationsanbietern erfolgen. Diese können dann später, wenn die Daten sich als tatsächlich relevant erweisen, von der Polizei genutzt werden. Dazu müssen allerdings bestimmte Anforderungen erfüllt sein, es muss eine schwere Straftat vorliegen.
Zweck der Initiative ist es, die unterschiedslose sechsmonatige Speicherung von sämtlichen Telekommunikationsdaten zu verhindern. Auch soll nun zwischen Datenarten unterschieden werden: Die IP-Adresse ist zum Beispiel nicht so relevant und so persönlichkeitssensibel wie die Standortdaten, die etwa bei der Nutzung von Smartphones erhoben werden können.

Sie haben gerade von Anzeigen durch Betroffene gesprochen – um welche Art von Straftaten oder Verdachtsmomente geht es da eigentlich?

Im Prinzip haben wir inzwischen das gesamte Feld der Kriminalität im Internet – von der Beleidigung bis hin zum Terrorismus. Insofern gibt es keinen Bereich, der nicht für die Polizei relevant ist. Aber es gibt natürlich einige klassische Felder, bei denen insbesondere IP-Adressen interessant sind, zum Beispiel, wenn es darum geht, Anbieter von Kinderpornographie zu ermitteln, oder wenn es um Internetbetrug geht. Dann gibt es Persönlichkeitsbeeinträchtigungen und -verletzungen, die übers Internet stattfinden. Und es gibt natürlich auch weniger sensible Geschichten wie das Versenden von Spam oder irgendwelche Versuche, fremde Rechner auszuspionieren, die meistens erfolglos sind, wenn man sich hinreichend geschützt hat. Im Prinzip ist alles denkbar. Insofern ist es für mich zumindest nachvollziehbar, dass die Polizei sagt: Wir brauchen hier Ermittlungsansätze. Darin unterscheidet sich meine Position von Initiativen wie dem AK Vorratsdatenspeicherung, die sagen: Vorratsdatenspeicherung darf überhaupt nicht stattfinden. Ich denke, dass bei Leutheusser-Schnarrenberger ein ansatzweise richtiger Ausgleich zwischen Strafverfolgungsinteressen und Persönlichkeitsschutzinteressen gefunden wurde.

Ich kann mir nicht ganz vorstellen, was für Informationen da eigentlich gewonnen werden. Es ist oft von Bewegungsprofilen die Rede, die angeblich erstellt werden könnten. Welche Daten müssen denn erhoben werden, um herauszufinden, wo ich meinen Tag verbracht habe?

Tatsächlich werden Verbindungsdaten erfasst, und das bedeutet: Jedes Mal, wenn ich mein Smartphone verwende, wird nicht nur festgestellt, wann ich mich ein- und ausgeloggt, sondern auch, wo ich mich zu dem Zeitpunkt befunden habe. Das heißt: Über die jeweiligen Geokoordinaten kann festgestellt werden, ob ich mich in Kiel in der Holstenstraße oder gerade in Berlin in der Tauentzienstraße aufgehalten habe. Das ist natürlich eine sehr aussagekräftige Information, die jedoch meines Erachtens für die Polizei bei Internetkriminalität relativ irrelevant ist. Insofern macht Frau Leutheusser-Schnarrenberger genau das Richtige, wenn sie sagt: Diese Daten dürfen nicht gespeichert werden – anders als die reine IP-Adresse, die ja auch keine Adresse im klassischen Sinne ist. Aus ihr kann nicht direkt ein Name abgeleitet werden, es lässt sich über eine Abfrage bei dem jeweiligen Provider nur feststellen, welcher Computer sich hinter dieser IP-Adresse verbirgt.

Aber Bewegungsprofile sind doch für Ermittlungen aller Art sehr relevant. Mit ein wenig Paranoia könnte man glatt fürchten, dass sich künftig etwa auch die Arbeitsagenturen für solche Bewegungsprofile interessieren.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom März 2010 geht ganz klar dahin, dass die Daten, die für die Kriminalitätsbekämpfung auf Vorrat gespeichert werden können, auch ausschließlich für diese Zwecke genutzt werden dürfen. Das heißt, die Provider dürfen solche Daten nicht für Werbezwecke verwenden, und die Daten dürfen natürlich auch nicht von anderen Behörden, von der Arge oder vom Finanzamt beispielsweise, verwendet werden, um behördlichen Aufgaben nachzugehen. Das gilt auch für den Verfassungsschutz oder andere Geheimdienste. Ob das in der Zukunft irgendwann aufgeweicht wird, ist natürlich eine Frage der politischen Auseinandersetzung, aber zumindest ist das die Vorgabe des Verfassungsgerichts.

Noch eine Frage zum genauen Vorgehen der Ermittler: Soweit ich das verstanden habe, gibt es einen Anfangsverdacht, dann werden die erforderlichen Daten eingefroren, und erst infolge eines richterlichen Beschlusses werden sie wieder »aufgetaut«. Der Verdacht begründet sich aber doch auf etwas, das in der Vergangenheit liegt, und von eben dieser Vergangenheit hat man dann keine Daten.

Das ist genau das Argument der Strafverfolgungsbehörden: dass ihnen einige Kriminelle durch die Lappen gehen werden – wenn nicht die Straftat noch andauert. Aber, und das ist eben ganz wichtig, im IP-Bereich, also im Internetbereich, gilt das nicht. Hier dürfen die Daten ja dem Entwurf nach eine Woche lang gespeichert werden.

Was halten Sie persönlich vom Vorschlag der Justizministerin?

Der Vorschlag ist in vieler Hinsicht noch diskussions- und ausarbeitungsbedürftig. Insofern ist er eine gute Vorlage für weitere Diskussionen. Frau Leutheusser-Schnarrenberger ist der CDU entgegengekommen. Sie hatte ja bisher die Position, Vorratsdatenspeicherung geht überhaupt nicht, und jetzt sagt sie, gut, wir machen’s »light«, aber eben differenzierter und kürzer. Jetzt ist es die Aufgabe der CDU und des Innenministers, auf sie zuzugehen und zu sagen, okay, wir lassen uns darauf ein. Ich habe bisher noch nicht vernommen, was gestern Abend bei der Koalitionsverhandlung herauskam, aber ich denke, hier muss eine Lösung gefunden werden, die Strafverfolgung im Internet und Bürgerrechtsschutz miteinander in Einklang bringt. Wir machen heute so viel über das Internet und hinterlassen dort dadurch eine Vielzahl von Spuren. Auf der anderen Seite findet eben auch Kriminalität in diesem Bereich statt. Insofern benötigen wir definitiv neue Regelungen und können nicht einfach sagen, wir lassen alles beim Alten. Das würde dann tatsächlich früher oder später eine, wie die Polizei sagt, »Schutzlücke« entstehen lassen, was bedeutet, dass ganz bestimmte Straftaten nicht aufgeklärt werden können.