Und nach der Disco ab zum Fassbinder

Berlin Beatet Bestes. Folge 80. Debbie Neon: »Psycho Killer« (1979).

Als unlängst ein kleiner Bericht über das zehnjährige Bestehen von Wikipedia in der Tagesschau lief, rutschte es mir spontan heraus und ich rief: »Bravo, Tagesschau! Das ist mal ein schöner Bericht. Wenn ich mal groß bin, werde ich auch Wikipediamitschreiber.« Meine Freundin war allerdings empört: » Na toll. Noch so eine sinnlose Tätigkeit ohne Bezahlung.«
Meine Freundin hat ja meistens Recht, und es ist wahrscheinlich wirklich nur der Wunsch nach Ablenkung von wichtigeren Dingen, der mich immer wieder dazu bringt, in staubigen Kisten und Regalen nach Platten zu graben. Und vielleicht gehört auch nicht jeder Stein umgedreht und untersucht. Da diese sinnlose Beschäftigung aber nun mal das Thema dieser Kolumne ist, muss ich zumindest an dieser Stelle fortfahren, meine Fundstücke zu untersuchen.
Über die vorliegende Platte wusste ich fast nichts, bevor ich mich im Internet auf die Suche nach ­Informationen machte. So viel war klar, »Psycho Killer« ist eine Coverversion des New-Wave-Klassikers der Talking Heads, erschienen 1977 auf ihrem Debütalbum. Der Song erreichte zwar nur Platz 92 der US-Charts, kam aber in Holland immerhin auf Platz 11. Dieser kleine Erfolg muss für die deutschen Produzenten Anlass gewesen sein, ausgerechnet diesen Song mit dem schrägen Titel in Deutschland auf den Markt zu bringen. Um auf den damals gerade angesagten New-Wave-Zug aufzuspringen, brauchte es nur noch einen echt new-wavigen Namen für die Berlinerin Petra Jokisch: Debbie (wie Debbie Harry von Blondie) und Neon (das Modewort der späten Siebziger und frühen Achtziger). Und Debbie Neon versucht dann auch ihr möglichstes, um einigermaßen crazy zu singen, stimmlich irgendwo zwischen Nina Hagen und Kate Bush. Das richtige Gespür für New Wave fehlte den Produzenten natürlich, die begleitende Musik ist reiner Discosound. 30 Jahre später ist diese Version von »Psycho Killer« allerdings umso unterhaltsamer.
Debbie Neon nahm in drei Jahren drei Singles für Columbia auf; eine ganze LP nahm sie nicht auf. Außerdem spielte sie von 1980 bis 1984 in vier Filmen mit, in Perlen wie »Asphaltnacht« oder »Didi, der Doppelgänger«. Der Höhepunkt ihrer kurzen Filmkarriere war wahrscheinlich, als sie an der Seite von Rainer Werner Fassbinder in »Kamikaze« zu sehen war. Es war Fassbinders letzter Film, bevor er starb. Zuletzt sah man Debbie Neon im Februar 1984 auf dem Cover des deutschen Playboy. Danach verliert sich ihre Spur. Wo Debbie Neon heute ist, ist nicht bekannt. Aber vielleicht gehört auch wirklich nicht jeder Stein umgedreht.