Honduras, ein Jahr nach dem Putsch

Ein Triumph für die Putschisten

Als Manuel »Mel« Zelaya 2009 gewaltsam aus dem Präsidentenpalast gejagt wurde, gaben internationale Beobachter den Putschisten kaum Chancen, die Macht in Honduras dauerhaft zu übernehmen. Doch schon seit einem Jahr ist Porfirio Lobo Sosa Präsident des Landes, obwohl er sein Amt dem Putsch verdankt. Seine Regierung bekommt sogar EU-Hilfen für ihren Repres­sionsapparat.

Die Putschisten hatten den gewählten Präsidenten Manuel »Mel« Zelaya im Schlafanzug ins Flugzeug gesetzt und außer Landes gebracht. Um ihre Tat zu rechtfertigen, hatten sie ihm den Bruch der Verfassung vorgeworfen. Und bisher waren sie damit erfolgreich: Seit genau einem Jahr ist Porfirio Lobo Sosa de facto der internationale Präsident von Honduras, auch wenn er seine Macht dem Putsch verdankt. Sosa hatte am 27. Januar 2010 offiziell das Regime um Roberto Micheletti abgelöst, das sieben Monate zuvor Zelaya aus dem Amt geputscht hatte – angeblich, weil Zelaya vorhatte, eine nach Ansicht der Putschisten verfassungswidrige Volksbefragung abzuhalten und Honduras in die Bolivarianische Allianz für die Völker unseres Amerika (Alba) zu inte­grieren.
Laut der bekannten honduranischen Sängerin, Künstlerin und Feministin Karla Lara hat die alten Eliten etwas anderes zum gewaltsamen Umsturz veranlasst: »Das Erschrecken über das poli­tische Erwachen der Bevölkerung.« Denn Zelaya hatte sich als erster Präsident der in Armut und Perspektivlosigkeit lebenden Mehrheit im Land zugewandt. Nach dem Putsch musste das Regime deren Widerstand über Monate hinweg mit Gewalt und Repression niederschlagen, um sich an der Macht zu halten.
Während der Verhandlungen von San José unter Vermittlung des Präsidenten von Costa Rica, Oscar Arias, spielten die Putschisten auf Zeit. Die auf den 29. November 2009 angesetzten Wahlen, aus denen Porfirio Lobo als Sieger hervorging, beendeten schließlich das Ringen um Macht und Recht. Die unter der Herrschaft des Militärs ausgerichteten Wahlen wurden vorher international scharf kritisiert, im Nachhinein jedoch trotz einiger »Rechenfehler« schnell akzeptiert. Lediglich aus der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) bleibt Honduras nach wie vor ausgeschlossen.

»In Honduras haben sich seit dem Amtsantritt von Lobo die Verhältnisse kaum verändert«, konstatiert Juan Barahona, Sprecher der Widerstandsbewegung FNRP. »Gegenüber der Weltöffentlichkeit mimen sie eine demokratische Regierung, doch die Realität sieht anders aus.« Die als Antwort auf den Putsch entstandene Widerstandsbewegung werde systematisch eingeschüchtert und durch Morde dezimiert – in den Städten durch Todesschwadronen, auf dem Land durch die Angriffe von Paramilitärs und extralegale Hinrichtungen durch Polizeibeamte. »Die Staatsanwaltschaft ist vollkommen korrumpiert. Es herrscht totale Straflosigkeit, was politische Repression angeht. Gleichzeitig wurde ein Antiterrorismusgesetz durch den Kongress gebracht, mit dem die gesamte Bewegung kriminalisiert werden kann«, sagt Barahona.
Allerdings lässt sich die Widerstandsbewegung kaum einschüchtern. Gewerkschaften, Splitterparteien, Bauernorganisationen, indigene Gruppen, die Garifunas der Karibikküste, Stadtteilgruppen, die Frauenbewegung und radikale Umweltorga­nisationen haben sich in ihr zusammengeschlossen. »Auffällig ist, dass hier nicht nur die immer gleichen, politisch geschulten Männer reden, sondern auch Frauen, Bauern, Transsexuelle, Jugendliche: Alle, die vormals als politische Subjekte keinerlei Beachtung fanden«, sagt Manuel Jopis von der Organisation Jugend im Widerstand.
Seit Porfirio Lobo »Pepe« Sosa Präsident ist, haben die Widerständischen die Straße verlassen. »Nun ist es viel wichtiger, der Bewegung eine Richtung zu geben«, sagt Gloria Oquelí, ehemalige Präsidentin des Zentralamerikanischen Parlaments. »Dabei gibt es aktuell eine große Diskussion um die Frage, ob man als außerparlamen­tarische Bewegung fortschreitet oder sich als Partei organisiert.« Die linksliberale Politikerin, die wie die Hälfte ihrer Genossen empört aus der vormals größten Partei Honduras ausschied, als ihr Vorsitzender Zelaya aus dem Amt gejagt wurde, befürwortet eine Parteigründung. Edgar Soriano, einst Funktionär in der Regierung Zelayas, gehört hingegen dem Flügel an, der sich gegen eine neue Partei ausspricht. »Würde Mel nach Honduras zurückkehren und erneut antreten, wäre ihm wohl der Wahlsieg sicher. Aber wie sollte man ihn verteidigen? Wer einen Putsch initiiert, wird kaum vor Wahlbetrug zurückschrecken.«
Doch Sorianos Kritik ist auch politisch begründet. »Jetzt geht es darum, die Menschen in den marginalisierten Vierteln und auf dem Land zu stärken. Dort müssen Delegierte gewählt werden, aber nicht irgendwelche Männer, die dann im Präsidentenpalast sitzen.« Diesen Monat will sich die Führung der Widerstandsbewegung durch landesweite Abstimmungen auf 528 Delegierte erweitern, um eine größere demokratische Basis aufzubauen. Auch die Worte »bewaffneter Kampf« fallen hin und wieder in Honduras. Dieser wird vor allem auf dem Land als Option angesehen, jedoch zumeist aus pragmatischen Erwägungen abgelehnt. Doch die Verzweiflung wächst.
»Wir werden angegriffen. Jeder soziale Protest wird sofort mit Morddrohungen beantwortet«, berichtet Oscar M., Angehöriger der Bewegung des westlichen Honduras, die seit 2009 Teil der Widerstandsbewegung FNRP ist. Mit wachsender Unruhe beobachten die Oppositionellen die immer häufiger werdenden extralegalen Hinrichtungen von Drogenhändlern durch die Polizei. »Wenn in Zukunft auf einmal Oppositionelle umgebracht werden, wird dies in der Öffentlichkeit ebenfalls unter Selbstjustiz gegen das organisierte Verbrechen subsumiert werden. All dies sind alte Militärstrategien, die in Honduras vielen aus den früheren Diktaturen in Erinnerung geblieben sind«, erklärt Oscar.
In Bajo Aguán, der fruchtbaren Region im Norden des Landes, wird der unerklärte Krieg mit einer anderen Strategie geführt. Hier hat der Palmölexporteur und Multimillionär Miguel ­Facussé mit Hilfe kolumbianischer Paramilitärs eine Privat­armee ausgebildet, die für Übergriffe und Morde an Mitgliedern von Bauerngenossenschaften verantwortlich gemacht wird. »Facussé ist einer der finanzkräftigsten Männer von Honduras. Auch den Putsch soll er unterstützt haben«, berichtet Juan Galindo, Vizepräsident der Vereinigten Bauernbewegung von Aguán. »Sein Geld kommt nicht nur aus dem Geschäft mit erneuerbaren Energien. Das nördliche Honduras ist Einflugschneise des Drogenhandels. Auf seinen Ländereien landen die Flugzeuge aus Kolumbien und fliegen in Richtung USA weiter.«

Kolumbien war eines der ersten Länder, das die Putschisten und dann Porfirio Lobo unterstützte. Mittlerweile scheuen sich immer weniger Staaten, zu Lobos »Regierung der Versöhnung« freundschaftliche Beziehungen zu pflegen. Deutschland besiegelte dies letzte Woche mit der Zusage eines umfangreichen Entwicklungshilfebudgets für Honduras. Die Europäische Union hatte Lobo schon im Mai letzten Jahres zum EU-Gipfel nach Madrid geladen. Die Vorbereitung des Freihandelsvertrags zwischen der EU und den zentralamerikanischen Staaten erschien unter ökonomischen Gesichtspunkten wichtiger als die Ächtung der Pseudo-Demokratie.
Mit dem Amtsantritt von Lobo vor einem Jahr wurde zudem ein ganz besonderes Vorhaben der EU stillschweigend wieder aufgenommen: das »Projekt zur Unterstützung des Sicherheitssektors«, das für den honduranischen Staat über 44 Millionen Euro vorsieht. Im Zuge des Putsches war das Projekt ausgesetzt worden, sollten damit doch genau die Behörden finanziell gestärkt werden, die den Putsch zu verantworten hatten. Heute fließt das Geld der EU wieder in den Sicherheitsapparat von Honduras – auch wenn der Sicherheitsminister Oscar Álvarez offensichtlich Verbindung mit Todesschwadronen unterhält.