Hungerstreik von Migranten in Griechenland 

Die sind anders als wir

Seit drei Wochen befinden sich rund 300 Migranten in Griechenland im Hungerstreik. Sie fordern ihre Legalisierung und werden von antirassistischen Organisa­tionen unterstützt. Die griechische Regierung sieht sie als eine Bedrohung für die nationale Sicherheit.

Die Hungerstreikenden fordern eine umfassende Legalisierung der Migranten in Griechenland, gleiche politische und soziale Rechte sowie eine Gleichstellung mit europäischen Arbeitern. Die Krisenpolitik, die von den EU-Staaten und dem Internationalen Währungsfonds vorgegeben wurde, bedeutet für den Großteil der griechischen Bevölkerung gewaltige soziale Einschnitte. Für illegalisierte Migranten hat sich die soziale Unsicherheit verstärkt, die mittlerweile in Griechenland zur Normalität gehört – durch die Verteuerung von Grundnahrungsmitteln, Lohnkürzungen und die Verlängerung der Arbeitszeiten. Die wenigsten Migranten verfügen über eine Sozialversicherung, die meisten haben keinerlei rechtliche Möglichkeiten, um gegen Lohnausfälle oder Entlassungen vorzugehen. »Wir Migranten werden dafür verantwortlich gemacht, dass es griechischen Arbeitern und kleinen Betrieben so schlecht geht, für diese beispiellosen Angriffe, die von ihrer eigenen Regierung kommen«, heißt es auf dem Blog der Hungerstreikenden (hungerstrike300.blogspot.com).

Die Streikenden kritisieren nicht nur die griechische Migrationspolitik, sondern auch den europäischen Migrationsdiskurs. Ursachen für Migration, Armut, Kriege und Diktaturen würden nicht im Zusammenhang mit der europäischen Wirtschaft und mit der Politik diskutiert. »Multinationale Konzerne und ihre politischen Diener haben uns keine andere Wahl gelassen, als zehnmal unser Leben zu riskieren, um Europas Tore zu erreichen«, heißt es in einer Erklärung der Streikendenversammlung.
In Athen werden die Streikenden, die mehrheitlich auf Kreta arbeiten, von mehr als 200 politischen Aktivisten unterstützt, die ihnen zunächst ein nicht benutztes Gebäude der Juristischen Fakultät der Universität Athen als zentralen Versammlungsort zur Verfügung gestellt hatten.

Die Mehrheit der griechischen Gesellschaft sympathisiert nicht mit den Streikenden. In den vergangenen zwei Wochen berichteten die Medien über den Protest, aber kaum über dessen Hintergründe. Die stellvertretende Arbeitsministerin, Anna Ntalára, erklärte in einer Pressemit­teilung: »Ich stimme keinesfalls mit der Forderung nach sofortiger Legalisierung überein. (…) Diese Menschen haben keine Kultur, sie sind anders als wir.«
Der öffentliche Diskurs ist geprägt von der Angst vor dem Protest der Migranten, die auch im Zusammenhang mit der tunesischen »Jasmin-Revolution« und der Revolte in Ägypten steht. Viele der Streikenden sind junge Menschen aus Nordafrika, die derzeit den Umbruch in ihren Heimatländern mit Begeisterung verfolgen. Einige Aktivisten, NGO und der linke Parteiverband Syriza wurden beschuldigt, den Illegalisierten dabei geholfen zu haben, nach Athen zu kommen. Der Vorwurf lautet »Menschenhandel«. Mehrere Aktivisten, die sich mit den Streikenden solidarisieren, haben eine Vorladung bei der Staatsanwaltschaft bekommen. Einer von ihnen gab zu Protokoll: »Natürlich gebe ich zu, dass der Vorwurf des Menschenhandels zutrifft, wenn dies Solidarität mit den Migranten bedeutet, die in Griechenland leben und arbeiten, keine Papiere haben und ausgenutzt und unterdrückt werden.«
Ein weiterer Vorwurf, der den Migranten und ihren Unterstützern gemacht wird, ist der Missbrauch des Universitätsasyls. Seit dem Ende der Militärdiktatur 1974 ist es der Polizei in Griechenland verboten, Universitätsgelände zu betreten. Nach einer Umfrage der Tageszeitung I Kathimerini unterstützt aber die Mehrheit der griechischen Bevölkerung die Absicht der konservativen und rechten Parteien, diese Regelung abzuschaffen. So hatte auch der Dekan der Jura-Fakultät in Athen der Polizei erlaubt, in das Gebäude einzudringen und es zu räumen. Allerdings hatten sich rundherum so viele Demonstranten versammelt, dass der Polizei ein Einbruch in den Schutzraum als nicht ratsam erschien.
Nach dem Wahlsieg der sozialdemokratischen Partei Pasok im Jahr 2009 hatte die Regierung eine liberalere Migrationspolitik eingeleitet. Im März 2010 trat ein neues Einbürgerungsgesetz in Kraft, das es legal in Griechenland lebenden Migranten erleichtern soll, EU-Bürger zu werden. Gegenüber den nicht legal einreisenden Migranten sieht die Politik jedoch ganz anders aus: Ein Grenzzaun soll entlang der griechisch-türkischen Grenze gebaut werden, die Truppen der Euro­päischen Grenzschutzagentur Frontex werden verstärkt, Massenabschiebungen finden statt. Neun von zehn Einwanderern reisen über Griechenland in die EU. Nach dem Dublin II-Abkommen können Asylsuchende nur in einem europäischen Land Schutz beantragen, nämlich im ersten Einreiseland. Doch die griechischen Behörden können nicht einmal die Annahme von Anträgen gewährleisten, geschweige denn ihre Bearbeitung, die oft Jahre dauert. Die Anerkennungsquote liegt seit Jahren bei rund 0,5 Prozent. Die griechischen Behörden gaben im November zu, dass sie mit der Situation nicht alleine fertig werden, und drängen auf die Hilfe der übrigen europäischen Staaten (Jungle World 44/10).

Die »Hilfe« Deutschlands gestaltet sich dahingehend, dass seit dem 19. Januar keine Flüchtlinge mehr nach Griechenland abgeschoben werden. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Strasbourg bezeichnete die Zustände in den Aufnahmelagern als »menschenunwürdig und erniedrigend«. Außerdem sind seit November unter anderem deutsche Grenzbeamte für Frontex im Einsatz. Ihre Aufgabe besteht darin, die Flüchtlinge an der griechisch-türkischen Grenze mit Lautsprechern und Flutlichtscheinwerfern zurückzudrängen. Wenn Menschen aufgegriffen werden, landen sie in Haftlagern. Ein von Pro Asyl unterstützter Flüchtling aus Eritrea berichtet, dass das voll besetzte Schlauchboot, mit dem er versuchte, das griechische Ufer zu erreichen, von der griechischen Küstenwache einfach aufgeschlitzt worden sei. Drei Menschen ertranken.
Trotzdem werden die Streikenden als Bedrohung für die nationale Sicherheit angesehen. Christos Papoutsis, der Minister für Bürgerschutz, bezeichnete sie als »Bombe« für die griechische Gesellschaft. Nach stundenlangen Verhandlungen verließen die Migranten vergangene Woche die Universität und wurden in einem anderen privaten Gebäude untergebracht, das aber für 250 Menschen zu klein ist und weder Heizung noch sanitäre Anlagen hat. Doch der Hungerstreik und die Solidaritätsaktionen gehen weiter. Für Mittwoch dieser Woche war in Griechenland ein landesweiter Solidaritätstag geplant.