Julia Lemmle im Gespräch über die feministische Performancegruppe »Muschiballett«

»Wir könnten das auch als Fachvortrag machen«

Von anna kow

Die feministische Performancegruppe »Muschiballett« ackert sich mit vollem Körpereinsatz durch die patriarchale Kultur­geschichte: Ein knapp 50minütiger Soundtrack gibt den Rhythmus vor, nach dem die Künstlerinnen Julia Jarque y Jörg, Julia Lemmle und Ines Kramaric alias Gisa, Gerdrun und Gudula live auf der Bühne eine Art sportliche Form feministischer Diskursanalyse betreiben. Die Jungle World sprach mit Gerdrun vom Muschiballett über sexistische Kontinuitäten in der Populär- und Hochkultur und den Feminismus im Allgemeinen.

Wenn man den Ankündigungstext für das »Muschiballett« liest, weiß man nicht recht, was das nun sein soll – ist das »Muschiballett« Kunst, Politik oder gar Wissenschaft?
Genau diese Trennung finde ich unproduktiv. Wir bewegen uns im Grunde an der Grenze: Für die Politiker sind wir viel zu künstlerisch, für die Kunst viel zu politisch. Das macht man doch in der Kunst nicht, sich klar zu positionieren, ein Anliegen zu haben, das ist ja so Seventies! Was ich mache, hat immer mit den Bereichen Wissenschaft auf der einen und Kunst auf der anderen Seite zu tun. Und was mich interessiert, ist, genau diese zwei Bereiche zusammenzubringen. Das Sinnliche, Persönliche, Empathische fehlt mir sehr im akademischen Umfeld, und gleichzeitig fehlt mir eine politische Positionierung in der Kunst.
Wenn die Leute unseren Namen hören, sagen sie sofort: »Popfeminismus! Klingt witzig, müssen wir nicht ernst nehmen.« Einerseits kann das Lustige, Theaterhafte Leute anlocken, die sich unsere Show sonst sicher nicht ansehen würden. Andererseits ist es auch bedauerlich, immer unter Popfeminismus subsumiert zu werden, denn was wir machen, wie wir arbeiten, ist definitiv wissenschaftlich. Wir könnten daraus auch einfach einen Fachvortrag machen. Aber weil wir dabei unsere Körper einsetzen, weil Emotionen passieren, weil wir schwitzen und weil wir drei Frauen sind, erkennt das niemand als Fachvortrag.
In einer Szene treten die Mediziner Jean-Martin Charcot und Rudolf Virchow auf und sprechen über den Zusammenhang von Weiblichkeit und Hysterie. Das Gespräch mündet in der Feststellung, alle weiblichen Eigenschaften seien nichts weiter als eine »Dependenz des Eierstocks«. Worum geht es da?
Das Zitat ist aus einem Vortrag von Rudolf Virchow, den er 1848 in Berlin gehalten hat, also zu einer Zeit, in der in der Wissenschaft und der Gesellschaft die Idee etabliert wurde, Frauen seien Männern aufgrund ihrer biologischen Konstitution unterlegen. Der Weg zur Biologisierung hat aber natürlich eine lange Tradition, die Mediziner des 19. Jahrhunderts greifen hier Platons Idee von der »wütenden Gebärmutter« wieder auf, die »glühend nach Kindern« verlange und Probleme mache, wenn sie unbefriedigt bliebe. Rudolf Virchows Vortrag ist für diese Biologisierung von Geschlechterrrollen eine besonders schöne Quelle, weil er darin »Wissenschaft« und ein romantisch-konservatives Frauenbild verbindet: Er schreibt dort, dass alles, was die »wahre Frau« kennzeichne – also Tiefe des Gefühls, Sanftheit, Hingebung und Treue –, eine »Dependenz des Eierstocks« sei. Das ist Biologismus in Reinform, der bis heute nachwirkt. Wenn wir eine historische Quelle nehmen, dann müssen immer alle lachen, weil die Absurdität so offensichtlich ist. Wenn wir aber etwas Aktuelles nehmen, mit Hormonen und so, dann sagen die Leute schnell: »Das ist doch wissenschaftlich erwiesen.« Aber genau daher, aus dem 19. Jahrhundert, kommt diese Wissenschaft. Nur die Schlagworte ändern sich.
Auch Mario Barth wird von dir zitiert. Aber müssen wir uns von dieser lächerlichen »Du hast wohl deine Tage!«-Show, die Barth abzieht, wirklich angegriffen fühlen? Man könnte so etwas ja auch einfach als das letzte Aufzucken einer angekratzten männlichen Selbstherrlichkeit verstehen.
Ich glaube, dass diese biologistische Denkweise uns immer noch stark betrifft. Für uns mag es leicht sein, alles, was Mainstream beziehungsweise Populärkultur ist, als lächerlich und dumm abzutun. Aber ich würde sagen – und das ist auch ein Anliegen des Muschiballetts – das hilft uns nicht. Auch ein lächerlicher Mario Barth füllt das Olympiastadion, und die Menschen lesen trotzdem Bücher wie »Warum Frauen einparken und Männer weinen« – beziehungsweise andersherum. Von diesen Büchern gibt es drei, vier Bände, und natürlich muss ich lachen, wenn ich das lese. Das ist eine komplette Comedyshow, aber in ihr kommt eine Idee zurück, die man mindestens bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgen kann. Darum ist das ein relevanter Diskurs, mit dem man sich beschäftigen muss.
Außerdem finde ich diesen universitären Gestus, sogenannte Populärkultur nicht ernst zu nehmen, gefährlich. Einmal, weil mir diese Arroganz nicht gefällt, und zweitens, weil ich sagen würde – deswegen sind auch Emilia Galotti und die »Mancademy« von Burger King in unserer Show –, dass da exakt die gleiche Idee dahintersteckt. Nur ist sie einmal so verpackt, dass man unter Umständen schneller darauf kommt, dass es lächerlich sein könnte – und einmal ist es »Hochkultur« und so subtil und so wahnsinnig ästhetisch, dass es nicht hinterfragt werden darf. Bei einem Spruch wie »Bist du hysterisch, hast du deine Tage?« geht es also nicht so sehr darum, ob ich mich persönlich davon getroffen fühle. Mir geht es um die Kontinuität: Virchow 1848. Platon vor über 2 000 Jahren. Und mir wird das heute immer noch gesagt. Seit 2 000 Jahren sagen mir das irgendwelche Typen!
Aber hat sich nicht in den letzten 2 000 Jahren eine Menge verändert?
Ich würde eher sagen, dass die westliche Fortschrittsgeschichte ein Mythos ist, in dem der Fortbestand von Unterdrückungsverhältnissen einfach ausgeblendet wird. Nehmen wir zum Beispiel die Französische Revolution. Ich hab’ mein ganzes Leben lang gelernt, das sei die Geburt der Menschenrechte gewesen. Aber wenn man sich mal näher damit befasst, dann stellt man fest: Es ging um das »Droit de l’Homme« – das Recht des Mannes. Olympe de Gouges ist dann 1791 hin­gegangen und hat gesagt: »Jungs, ihr habt da was vergessen.« Das war eigentlich total nett von ihr! Und die Revolutionäre haben nicht gesagt: »Stimmt! Entschuldigung, wir haben das falsch ausformuliert, natürlich sind die Frauen auch gemeint.«  Nein, sie haben Olympe de Gouges aufs Schafott geschickt. Und diese Geschichte hat mir nie jemand erzählt.
Um auf deine Frage zurückzukommen – ist wirklich so viel passiert? Man könnte jetzt zugespitzt sagen: Viele Dinge verändern sich lediglich in der Art, wie sie ausgedrückt werden. Und vieles, was als Erzählung einer Emanzipation der Frau daherkommt, kann gleichzeitig weiter benutzt werden, um so etwas wie ein neoliberales, kapitalistisches und auf rassistischer Ausbeutung basierendes System weiter aufrechtzuerhalten. Man muss sich schon klarmachen: So lange die weißen Mittelschichtsfrauen ihr Stück vom Kuchen kriegen, werden die sich nicht solidarisieren mit denen, die nach wie vor ausgebeutet werden.
Sie werden sie womöglich zu niedrigen Löhnen als Putzfrauen anstellen.
Genau. Und da muss man sich fragen: Was ist denn eigentlich Feminismus? Für mich muss Feminismus immer mit einem Kampf gegen Rassismus und globale Ausbeutung einhergehen. Ich würde auch sagen, dass im Moment ein neues Märchen vom Kapitalismus erzählt wird, nämlich das Märchen, dass die Tochter in die Fußstapfen des Vaters tritt. Und es ist total wichtig, dass die Tochter das macht, damit nicht rauskommt, dass dahinter immer noch die gleiche patriarchale Idee steckt. In dem Moment, wo die Tochter die Kolonisatorin wird, wirkt das plötzlich modern und emanzipatorisch.
Die Frauenbewegung wollte stets weibliche Äußerungen in der Kultur zum Vorschein bringen, um eine Art weibliche Gegengeschichte zu schreiben. Ihr dagegen wollt die patriarchalen Kontinuitäten »in Filmen, Familien, Kanonliteratur, Werbung, Musik« auf die Bühne bringen. Bildet ihr damit nicht mehr oder weniger die Realität ab? Und warum habt ihr euch für diesen Zugang entschieden?
Wir machen schon noch etwas anderes, als die Realität abzubilden. Und wir sehen uns auch ganz klar in einer Kontinuität zur Frauenbewegung. Unser Zugang ist einerseits diskursanalytisch, andererseits stellen wir uns eben nicht hin und tun so, als gäbe es unsere Körper, unser Fühlen, unser Verstricktsein in das System nicht, als könnten wir da einfach »drüber reden«. Wir verarbeiten unser Material in der Performance als etwas, das wir wiederholen und körperlich noch einmal nachfühlen müssen, als eine sportliche Übung. Am Schluss des Muschiballetts gibt es dann diesen Moment, in dem unser körperlicher Widerstand gegen die Rollen, die wir spielen, unsere Weigerung, das selbstzerstörerisch einfach anzunehmen, in einem ganz klaren Statement mündet: Wir halten Transparente hoch, auf denen »Hexe, Suffragette, Emanze« steht. Das sind drei Beleidigungen für Frauen, die Widerstand geleistet haben. Und da reihen wir uns ein.
Warum nehmen wir das »patriarchale Material«? Wir nehmen das einmal, weil das ja ein real empfundenes Leiden, ja Wut erzeugt. Ich fahre auf dem Fahrrad durch die Stadt, und irgendjemand pfeift mir immer hinterher. Ich schaue mir Werbung mit ihren Stereotypen an, ich bin im poli­tischen Bereich mit lauter alten Herren beschäftigt, die, egal, wie alternativ das Milieu sich gibt, immer ganz genau wissen, was gut für mich ist. Und wenn wir dann dieses Material nehmen und es ironisch brechen, um herauszustellen, wie unglaublich lächerlich und absurd das eigentlich ist, hat das einen durchaus empowernden Effekt. In der Kulturgeschichte dominiert sonst immer der männliche, weiße, heterosexuelle Blick, der »die Frau« anschaut. Wir machen etwas anderes: wir stellen genau diesen Blick, diesen Mann, in den Fokus und schauen uns den mal an. Und je länger wir den anschauen, desto mehr müssen wir lachen.
In eurem »diskursanalytischen Fachvortrag« arbeitet ihr auch mit Drag und Kostümen. Was bezweckt das?
Etwas live vor dem Publikum auf- und wieder abzubauen, das ist für uns das Spannende an Drag. Es geht darum, den Vorgang dieser Konstruktion transparent zu machen, anstatt zu sagen: Ich bin eine schöne Frau! Das ist so! Das muss ich gar nicht produzieren!
Ich mache ja auch Musik und ich bin dabei am Anfang im Gorillakostüm aufgetreten. Und das Krasse war: Die Leute haben mir gesagt, »Mensch, du hast ja total interessante Texte gesungen!« Da hab’ ich gedacht: Ja, das muss ich tun als Frau, ich muss meinen Körper in einen XXL-Pelz-Overall hüllen, damit mir jemand zuhört!