aileen Mioko Smith im Gespräch über die japanische Anti-AKW-Bewegung

»Wir wurden mit Hohn gestraft«

Aileen Mioko Smith ist Direktorin der Organisation Greenaction Japan, die seit Jahren gegen die Nutzung von Atomenenergie kämpft. Sie hält sich derzeit in San Francisco auf.

Vor allem für Menschen, die schon lange gegen Atomkraft protestierten, muss es hart sein, mit der momentanen Situation fertig zu werden. Wenn Sie rückblickend über Ihr Engagement nachdenken, was geht Ihnen durch den Kopf?
Was soll ich sagen? Wir haben gegen jedes einzelne Atomkraftwerk gekämpft. Alle, die sich gegen Atomenergie gewehrt haben, haben ihr Bestes gegeben. Ich bekomme vor Tränen kaum noch ein Wort heraus, es tut mir leid. Wir haben versucht, die Mehrheit der Gesellschaft zu informieren und zu warnen, aber wir hatten Probleme, die Öffentlichkeit überhaupt zu erreichen. Wir haben gegen den drittgrößten Energiekonzern der Welt angekämpft, der immense Werbeverträge mit Fernsehsendern und Zeitungen abgeschlossen hat. Für die Medien war es daher schwer, sich gegen Atomenergie aufzulehnen. Und die Menschen tendieren dazu, der Regierung blind zu vertrauen. Deshalb konnten wir die Menschen nicht von den Gefahren der Atomenergie überzeugen.
Von hier aus hatte man manchmal den Eindruck, dass japanische Umweltschützer sich mehr für den Schutz der Wale als gegen Atomkraftwerke einsetzen.
Die Verhältnisse hier sind nicht wie in Deutschland. Es ist hier nicht möglich, Tausende Menschen auf die Straße zu bringen. Der Protest hier ist lokal, oft berichtete allein die lokale Presse. Der sichtbare Massenprotest auf der Straße ist ausgeblieben. Außerdem schenkt uns die Öffentlichkeit nicht besonders viel Beachtung, weil wir als Abweichung vom Mainstream wahrgenommen werden. Wir haben immer wieder auf die Problematik hingewiesen. Wir wurden fortlaufend mit Ignoranz und Hohn gestraft.
Glauben Sie, dass die Akzeptanz von Atomkraft in Japan nach der Katastrophe sinkt?
Wir werden sehen. Allein die Tatsache, dass nun riesige Menschenmassen irgendwo untergebracht werden müssen, dürfte viele zum Umdenken bewegen. Viele wünschen sich, dass alle Atomkraftwerke umgehend abgestellt werden. Das war vorher nicht so.
Vertrauen Sie den Informationen der Regierung und des Konzerns Tepco?
Tokyo Electric hat bewusst über die Gefahren hinweggesehen, Informationen gefälscht und die Bevölkerung für dumm verkauft. Tepco stellt den Profit über alles. Die japanische Regierung hat immer behauptet, höchste Sicherheitsstandards zu pflegen, aber anscheinend hat sie dabei ausgeblendet, dass Japan eine stark von Erdbeben und Tsunamis bedrohte Region ist. Die Regierung und Tokyo Electric haben gemeinsame Sache gemacht. Vor der Katastrophe wurde eine Studie von Tepco veröffentlicht, die jegliche Risiken des Werks in Fukushima bestritten hat. Es gab daraufhin Proteste, doch die Regierung stellte sich hinter den Konzern und bestätigte die Analyse.
Dementsprechend misstrauen Sie auch den aktuellen Informationen der Regierung?
Der größte Fehler, den die Regierung momentan begeht, ist, dass sie die Bevölkerung nicht aufklärt. Beruhigende Worte schützen nun mal nicht vor Strahlung. Wenn Menschen nicht geschützt werden können, sollten sie wenigstens gewarnt werden. Nur wenn sie Bescheid wissen, können sie frei entscheiden, was das Beste für sie in einer solchen Lage ist. Wir brauchen unabhängige Informationen über die Strahlenbelastung.
Was ist momentan das Hauptziel Ihrer Arbeit?
Am wichtigsten ist es jetzt, der Welt zu zeigen, dass die Katastrophe nicht unvorhersehbar war. Außerdem sollte es den Betroffenen ermöglicht werden, Forderungen an die Regierung zu stellen. Und diese sollten erfüllt werden. Und es müssen neue Evakuierungspläne erstellt werden. Wie kann es sein, dass in einer solch erdbebenbedrohten Region so schlechte Vorbereitungen für den Ernstfall getroffen wurden? Eine planmäßige Evakuierungszone von zehn Kilometern? Das ist lächerlich. Auch die jetzige Evakuierung um Fukushima I ist lächerlich, es müsste viel umfangreicher evakuiert werden.
Sie sind gerade in San Francisco. Wie geht es Ihren Mitstreitern und Freunden in Japan?
Viele Menschen, die mir nahe stehen, lebten in Fukushima und Niagi. Niagi ist der Ort, den der Tsunami wohl am heftigsten erwischt hat. Mir fällt es sehr schwer, darüber zu sprechen. Ich weiß bis zu diesem Zeitpunkt von vielen immer noch nicht, ob sie noch leben. Nur sehr wenige haben sich bisher gemeldet. Sie haben nicht die Möglichkeit, der Weltöffentlichkeit zu sagen, wie es ihnen geht und wovor sie Angst haben. Internet und Handys funktionieren oft noch nicht. All diesen Menschen müssen wir jetzt eine Stimme verleihen. Aber viele Mitglieder von Greenaction sind damit beschäftigt, ihre Familien zu suchen, oder werden selbst vermisst.
Haben Sie vor, nach Japan zurückzukehren?
Ich werde am 13. April zurückkehren. Bis dahin versuche ich, von hier aus zu helfen. Hier kann ich Menschen aus den USA und Europa erreichen. Alle Menschen sollten sich in ihrem Land umsehen. Welcher Art von Warnung bedarf es noch? Schaltet alle Kernkraftwerke ab! Auch wenn es bei euch keine Tsunamis gibt. Jedes Atomkraftwerk ist eine Bedrohung.