Das Outing eines schwedischen Fußballspielers

Nicht irgendein Spieler

Das Outing des schwulen schwedischen Fußballspielers Anton Hysén macht international Schlagzeilen. Der Amateur stammt nämlich aus einer bekannten Fußballerfamilie.

In Schweden beginnt die neue Fußballsaison wetterbedingt zwar erst Anfang April, die erste Sensation gab es jedoch schon bereits einen knappen Monat früher, genauer gesagt am 9. März. An diesem Tag erschien nämlich die neue Ausgabe des Fußballmagazins Offside mit einem Fußballschuh in Regenbogenfarben auf der Titelseite, darunter stand die Frage: »Wo sind all die anderen?«
In dem dazugehörigen Artikel outete sich Anton Hysén, der in der vierten schwedischen Liga für den Göteborger Verein Utsiktens BK spielt, als schwul und erklärte die Beweggründe für sein Coming-out. Nun ist Anton Hysén nicht irgendein Spieler irgendeines Vereins der Division 2 (in Schweden nummeriert man die Ligen etwas eigenartig, die 1. Division entspricht der deutschen 3. Liga) – er stammt aus einer ausgewiesenen, in Skandinavien sehr bekannten Fußballerfamile: Antons Vater ist Glenn Hysén, eine der wenigen lebenden Legenden des schwedischen Fußballs, ehemaliger Kapitän der Nationalmannschaft und mit dem IFK Göteborg gleich zweifacher Gewinner des Uefa-Pokals. Auch Antons Brüder Alexander und Tobias sind Fußballspieler, letztgenannter spielt derzeit ebenfalls für den IFK und seit 2005 in der Nationalmannschaft.
Bereits 2007 war Vater Hysén als Eröffnungsredner beim Stockholm Pride aufgetreten und hatte dort von den Problemen gesprochen, die ein 16jähriger haben würde, wenn er sich gegenüber seinen Mitspielern als schwul outen würde. Damals waren viele Fans überrascht über diesen Schritt, denn Hysén senior war bis dahin eher durch Homophobie aufgefallen. Die international bekannteste Episode hatte sich sechs Jahre vor der Rede, im Jahr 2001, am Frankfurter Flughafen ereignet, als er auf einen Mann einschlug, der zuvor versucht haben soll, ihn auf der Herrentoilette »anzufassen«. Heute nun ist offensichtlich, dass er beim Stockholm Pride von niemand anderem sprach als von seinem eigenen Sohn Anton.
Dieser kann sich seit seinem Coming-out kaum vor Presseanfragen retten. Täglich erscheinen neue Artikel über ihn, die meisten davon sind ausgesprochen positiv. Damit ist genau das eingetreten, was Experten bereits seit langem prognostiziert hatten: Wenn ein männlicher Fußballprofi sich outet, wird er umgehend ins Zentrum der Aufmerksamkeit katapultiert und von Interviewtermin zu Interviewtermin gereicht werden. Dass Anton Hysén dabei streng genommen nicht einmal Fußballprofi, sondern Amateur ist, scheint dabei egal zu sein. Seine familiären Verbindungen reichen aus, um die Geschichte sogar international zu verbreiten. Zugleich dürften diese familiären Verbindungen ihm aber auch ein gewisses Maß an Schutz geben. In jedem Fall lässt sich jetzt erahnen, was für Wellen das Coming-out eines Bundesligaprofis oder gar eines Nationalspielers hierzulande schlagen würde.
Diese Aufmerksamkeit, wie wohlwollend sie auch sein mag, ist einer der Gründe, wegen derer die Organisation Queer Football Fanclubs (QFF) auch weiterhin aktiven Fußballprofis von einem solchen Schritt abrät. Auch mit der Akzeptanz der Fans ist es QFF zufolge nicht so weit her, wie oft und gerne behauptet wird: »Laut Umfragen und eigener Anschauung lehnt die Mehrheit der Fans nach wie vor einen schwulen Spieler im aktuellen Kader ihres Lieblingsvereins ab. Obwohl sie vermuten, dass es schwule Spieler in den Profiligen gibt, können sie sich nicht vorstellen, dass einer von ihren ›Lieblingen‹ schwul sei.«
Deutlich optimistischer äußert sich da Tanja Walther-Ahrens. Die Autorin des gerade erschienenen Buchs »Seitenwechsel – Coming-out im Fußball« sagt: »Ich finde das Coming-out von Anton Hysén ganz wunderbar, weil es ein weiterer Beweis dafür ist, dass ein Coming-out möglich ist und dass es nicht nur negative Reaktionen gibt. Es braucht noch mehr solcher positiver Beispiele, damit noch viel mehr Leute erkennen, dass viel öfter lesbisch/schwul drinsteckt, als sie sehen und vor allem denken.« Dass für Walther-Ahrens’ Buch sogar Dr. Theo Zwanziger ein Grußwort geschrieben hat, könnte als programmatisch angesehen werden für gleich zwei Veränderungen der vergangenen Jahre, die beide eng mit dem Namen des Präsidenten des Deutschen Fußballbunds verbunden sind. Auf der einen Seite steht die Beinahe-Kehrtwende des DFB hin zu einem liberalen und weltoffenen Sportverband, der versucht, sich seiner »zivilgesellschaftlichen Verantwortung« zu stellen. Auf der anderen Seite steht aber auch eine Kampagne in den Medien, die auch durch die wiederholten öffentlichen Äußerungen Zwanzigers gegen Homophobie im Fußball ausgelöst wurde. Alle Versuche, das erste Coming-out eines männlichen Bundesligaprofis herbeizuschreiben, blieben jedoch erfolglos.
Dass es bisher noch zu keinen von den Spielern ungewollten Outings von Seiten anderer kam, muss nicht so bleiben, wenn das öffentliche Interesse am Thema »schwule Fußballer« weiterhin so groß bleibt. Im vergangenen Sommer, als Michael Ballacks Berater Michael Becker von einer »Schwulen-Combo« in der deutschen Nationalmannschaft sprach, wäre es beinahe so weit gewesen. Hätte er in dieser Situation Namen genannt, wären – egal ob an der Sache etwas dran gewesen wäre oder nicht – der Druck der Verwertung und die Hoffnung auf die große Schlagzeile wahrscheinlich so gewaltig gewesen, dass irgendeine Zeitung oder irgendein anderes Pressemedium der Versuchung, diese Namen öffentlich zu machen, nicht hätte widerstehen können.
Wahrscheinlich ist es daher auch kein Zufall, dass der Fall Anton Hysén sich in Schweden zugetragen hat und nicht in der Bundesrepublik. Dort hatte sich bereits 2008 die Nationalspielerin Victoria Svensson geoutet und damit, auch weil Frauenfußball in Schweden einen höheren Stellenwert hat als hierzulande, einiges an Vor­arbeit für ein Coming-out im Männerfußball geleistet. Zwar gibt es auch im deutschen Fußball Nationalspielerinnen, deren Homo- bzw. Bisexualität öffentlich geworden ist, doch es handelte sich nie um geplante Coming-outs.
Anton Hysén hat dagegen selbst die Initiative ergriffen und erhält bis jetzt, wie die überwiegend positiven Reaktionen nicht nur in Schweden zeigen, viel Zuspruch. Noch hat allerdings die neue Saison nicht begonnen – erst dann wird sich zeigen, wie Gegenspieler und Fans reagieren. Deren Reaktionen könnten entscheidenden Einfluss haben auf die Bereitschaft anderer männlicher Fußballprofis, sich zu outen. Vielleicht wird sich allerdings auch zeigen, dass Werder-Torhüter Tim Wiese recht hat, wenn er vermutet, offen schwule Fußballer »würden von den Fans niedergemacht«.
Hysén selbst fürchtet sich jedenfalls nicht vor verbalen Anfeindungen. »Die können mich nennen, wie sie wollen«, sagt er bereitwillig in jedes der vielen Mikrofone, die ihm derzeit vor die Nase gehalten werden.
Es bleibt allerdings die Frage, ob es der Mehrzahl der Menschen bei der Suche nach »all den anderen« wirklich darum geht, Homosexualität im Fußball möglich und alltäglich zu machen, oder doch eher um die Befriedigung der allgemeinen Sensationslust.

Literatur: Tanja Walther-Ahrens: Seitenwechsel – Coming-out im Fußball. Gütersloher Verlagshaus 2011, 176 Seiten, 14,99 Euro