Die Proteste in Syrien und Saudi-Arabien

Der Feind des Feindes ist kein Freund

Die Proteste in Syrien sind eine Bedrohung für das iranische Regime. Doch die arabische Demokratiebewegung gefährdet auch Saudi-Arabien, den wichtigsten Verbündeten der USA in der Auseinandersetzung mit dem Iran.

Ein paar Tage lang herrschte Ratlosigkeit bei den Produzenten der iranischen Propaganda. Wie sollte man über die Proteste und Demonstrationen in Syrien berichten? Nach dem Sturz erst des tunesischen und dann des ägyptischen Präsidenten hatte man sich ja darauf festgelegt, dass die Unruhen in der arabischen Welt genuin islamische Revolten seien, die dem Vorbild der großen iranischen Revolution von 1979 folgten. Schließlich waren »pro-westliche« Regimes die Ziele der Proteste, und da sowohl die USA als auch Israel, also der große und der kleine Satan, die Entwicklung mit großer Sorge verfolgten, reklamierte der Iran, auch wenn kurzzeitig die oppositionelle »Grüne Bewegung« wieder auflebte, den »arabischen Frühling« ganz für sich.
Zwar macht es für einen 20jährigen wahrhaft keinen großen Unterschied, ob er ohne Perspektive in Teheran oder in Tunis aufwächst. Doch mochte der Unmut der arabischen Demonstranten sich auch offensichtlich gegen alle Formen repressiver Herrschaft in der Region richten, geostrategisch konnte der Iran die Ereignisse durchaus als hilfreich verbuchen. Denn es traf in der Tat Regierungen von Ländern, die mehr oder minder in offener Feindschaft zur Islamischen Republik standen. Vor allem das Regime Hosni Mubaraks stellte eine der wichtigsten Stützen jener von den USA errichteten »Sicher­heits­architektur« im Nahen Osten dar, deren Ziel die Eindämmung iranischer Hegemonialbestrebungen ist und deren Zentrum Saudi-Ara­bien bildet.
Solange in Syrien, dem wichtigsten Alliierten des Iran, Friedhofsruhe herrschte und Präsident Bashar al-Assad im Wall Street Journal noch erzählen konnte, in seinem Land sei eben alles anders, schien der »arabische Frühling« geopolitisch vor allem dem Iran zu nutzen. Denn erscheint vielen Beobachtern der Aufstand von vor allem jungen Menschen zwischen Rabat und Bagdad als ein einziges Aufbegehren gegen repressive Autokratien, existiert regional noch eine andere Interpretation. Demnach findet vor allem eine beängstigende Änderung der Machtverhältnisse in einem regionalen Kalten Krieg statt, in dem sich zwei Antagonisten gegenüberstehen: der Iran mit seinen Verbündeten und Saudi-Arabien, die von den USA unterstützte Monarchie, die sich als Führungsmacht einer sunnitischen Allianz betrachtet.
Saudi-Arabien und den anderen Monarchien am Golf, die, wie mit der Veröffentlichung der Wiki­leaks-Dokumente im vergangenen Jahr bekannt wurde, es am liebsten hätten, wenn die USA militärisch gegen den Iran und sein Atomprogramm vorgingen, erscheinen die Entwicklungen seit dem Sturz Ben Alis in Tunesien als existentielle Bedrohungen ihrer Sicherheitsinteressen. Oppo­sitionelle in Bahrain etwa, die mehrheitlich zwar Schiiten sind, bislang aber vor allem recht moderate Reformforderungen gestellt haben, betrachtet Saudi-Arabien vor allem als Agenten des Iran. Die Logik ist einfach: Was den eigenen Interessen schadet und für Unruhe und Unsicherheit sorgt, hilft dem Iran und muss unterdrückt werden.

Dabei verkörpern sowohl der Iran als auch Saudi-Arabien jeweils unterschiedliche Varianten von Herrschaftssystemen, gegen die sich dieser Tage überall in der Region der Unmut der Demeons­tranten richtet. In beiden Ländern gilt als Verfassung die Sharia, Souverän ist nicht das Volk, sondern Allah. Auf der Liste der unfreiesten Länder der Welt nehmen sie Spitzenpositionen ein, wobei Saudi-Arabien, was die Unterdrückung von Frauen und Minderheiten anbelangt, selbst dem Iran noch den Rang abläuft. Ihr Kalter Krieg, der mit immensem logistischem und finanziellem Aufwand überall in der Region in teils bewaffneter Stellvertreterkonflikten ausgetragen wird, richtet sich zugleich auch gegen die Ziele jener Demons­tranten, die überall in der Region die Legitimität der regierenden Herrscher in Frage stellen.
Mit den Massenunruhen in Syrien, die sich seit dem 18. März trotz brutalster Repression Tag für Tag ausweiteten und inzwischen das ganze Land erfasst haben, sieht sich nun allerdings auch der Iran genötigt, in seinem Einflussbereich zum Verteidiger eines Status quo gegen die Demonstranten zu werden. Denn um eine antiwestliche Revolte konnte es sich ja nach iranischer Interpretation nicht handeln, weil Syrien, anders als Ägypten, Tunesien oder Bahrain, den »Widerstand« unterstütze, wie der iranische Außenminister Ali Akbar Salehi sagte. Folgerichtig könne es sich bei jenen, die da auf die Straßen gingen, nur um von »Amerikanern und Zionisten bezahlte Agenten« handeln. Nicht um berechtigte Forderungen ginge es den Protestierenden in ­Syrien, sondern um die Schwächung des gegen die USA und Israel gerichteten, vom Iran angeführten Widerstandsblocks im Nahen Osten. So schaltete auch die iranische Propaganda um, fortan fanden in Syrien nur noch »vereinzelte« Unruhen statt, die von ausländischen Provokateuren angeführt werden.
Dass man jenseits der Propaganda die Entwicklungen bei dem engsten und letztlich einzigen staatlichen Verbündeten des Iran in der Region mit größter Sorge verfolgt, ist durchaus verständlich. Syrien nämlich hat sich in den vergangenen Jahren zur wichtigsten Drehscheibe iranischer Destabilisierungspolitik im Nahen Osten entwickelt. Mithilfe dieses Landes versorgt und betreut das ira­nische Regime seine verbündeten Satrapen Hiz­b­ollah und Hamas sowohl logistisch als auch militärisch, in Damaskus koordinieren sich die unterschiedlichen Akteure des »Widerstandsblocks«.

Sollte das Regime Assads gar fallen, wäre dies ein enormer Schlag für die gesamte iranische Nahost-Politik. Ohne syrische Unterstützung fiele es etwa ungleich schwerer, den iranischen Einfluss im Libanon geltend zu machen und palästinensische Terrororganisationen mit Waffen zu versorgen. Und welche Wirkung ein Sturz Assads auf die iranische Opposition hätte, ist noch eine ganz andere Frage. Auch wenn es wegen der staatlichen Repression im Iran wieder ruhiger geworden ist, vergeht kein Tag ohne Proteste, Streiks oder Anschläge.
So verwundert es nicht, wenn sich die Meldungen häufen, iranische Spezialeinheiten würden ihren syrischen Kollegen bei der Bekämpfung von Demonstranten zur Seite stehen. Der Oppositionsgruppe Reform Party of Syria zufolge sind gar 10 000 Revolutionsgardisten in Syrien im Einsatz. Und so heterogen die Protestbewegung sich auch präsentiert, in der Abneigung gegen den iranischen Einfluss auf Syrien sind die Oppositionellen sich einig. Überall im Land, vom kurdisch besiedelten Nordosten des Landes bis in die Drusengebiete im Südwesten, werden auf Demons­trationen gegen das iranische Regime und die Hiz­bollah gerichtete Parolen skandiert.
Besorgniserregend ist nicht nur für Assad, sondern auch seine iranischen Mentoren, wie schnell sich die syrische Protestbewegung von ihrer ursprünglichen Beschränkung auf Reformforderungen verabschiedet hat. Inzwischen wird immer vernehmlicher der Sturz des Regimes gefordert. Auch halbherzige Zugeständnisse wie etwa die Versprechen, die Notstandsgesetze aufzuheben, 250 000 staatenlose Kurden einzubürgern oder besonders verhasste Provinzgouverneure abzusetzen, halfen Assad bislang nicht, die Lage zu entschärfen, nachdem über 200 Menschen erschossen und Tausende verletzt worden waren.
Dennoch scheint man weder in den USA noch in Saudi-Arabien besonders erfreut zu sein, dass nun auch ein iranischer Verbündeter in ernste Schwierigkeiten geraten ist. Vielmehr äußert sich die US-Regierung bislang sehr verhalten zu Syrien, von einer Unterstützung der Protestierenden kann keine Rede sein. Wie bereits 2009, als im Iran Millionen Menschen gegen das Regime auf die Straße gingen, mahnt man lediglich floskelhaft die »Einhaltung der Menschenrechte« und Reformen an. Empört melden syrische Oppositionelle, ihr Ersuchen nach mehr Unterstützung sei von der US-Regierung glatt abgelehnt worden.

Auch das saudische Königshaus zeigt keinerlei Interesse an einem regime change in Syrien. Seit Jahren hofft man, ähnlich wie Präsident Barack Obama, mit Petrodollars und etwas Druck Assad aus dem Bündnis mit dem Iran herauslösen zu können. Denn in Saudi-Arabien fürchtet man alle arabischen Revolutionen und Umstürze mindestens ebenso wie den Einfluss des Iran. Es geht der Monarchie darum, mit allen Mitteln die bestehende Herrschaftsordnung in der Region zu erhalten, die dieser Tage eben auch von der »arabischen Straße« in Frage gestellt wird. Entsprechend ungehalten wurden die USA deshalb auch für jede Kundgebung von Sympathie mit den Demons­tranten in Ägypten oder dem Jemen kritisiert.
Dabei bleiben die USA ihrem traditionell engen Bündnis mit Saudi-Arabien treu, und keineswegs nur, um die globale Ölversorgung zu garantieren. Wie die New York Times kürzlich schrieb, stehe die Eindämmung des Iran im Zentrum der US-Nahost-Politik. Den regime change zu fördern, stellt dagegen für Obama weiterhin keine Option dar. Die US-Regierung wünscht offenbar keine weiteren radikalen Veränderungen im Nahen Osten. Statt mit einer kohärenten Strategie aufzuwarten, unterstützt sie den Wandel bislang nur dort, wo bereits vollendete Tatsachen geschaffen wurden, ansonsten versuchen sie, die Despoten in der Region vor dem Schicksal Mubaraks zu bewahren.
Da nach der Türkei nun auch Ägypten als verlässlicher Partner in der Eindämmungspolitik gegen den Iran wegzufallen droht, müssen die USA sich in noch stärkere Abhängigkeit von Saudi-Arabien begeben. Diese Politik empört nicht nur die Schiiten in der arabischen Welt, sondern all jene, die dieser Tage mit Protesten die alte Ordnung im Nahen Osten in Frage stellen. Indem sich die USA im Konflikt mit dem Iran so eng mit Saudi-Arabien verbünden, erwecken sie zudem den Eindruck, ihre Politik ziele darauf, reaktionäre sunnitische Ölmonarchien zu stützen und nicht etwa die Opposition gegen das tyrannische Regime im Iran. Für Scott Lucas, Professor für Amerika-Studien und Iran-Experte an der Universität Birmingham, ist dies ein »verheerender Ansatz«, der die neuen Realitäten in der Region völlig außer acht lasse und sich vermutlich bitter rächen werde.