Das Verhältnis von Linken und Queers zu Reproduktionstechnologien

Rohstoff aus dem Körper

In den achtziger Jahren galten Bio- und Reproduktionstechnologien vielen Linken und Feministinnen als Ausdruck kapitalistischer und patriarchaler Herrschaft. Heute werden solche Technologien vor allem aus queerer Perspektive als subversive Mittel gegen Heteroverwandtschaften gepriesen, der Kritik an der modernen Biomedizin wird schnell eine regressive Sehnsucht nach vortechnologischer Harmonie unterstellt. Zu aktuellen Debatten um die Präimplantationsdiagnostik haben Linke wenig zu sagen.

In den vergangenen Monaten wurde in deutschen Talkshows, in den Feuilletons und im Bundestag heftig darüber gestritten, ob die Präimplanta­tionsdiagnostik (PID), die Untersuchung eines Embyros im Reagenzglas auf mögliche Gendefekte, rechtlich zugelassen werden soll. In linken und queeren Gruppen wird über dieses Thema weniger kontrovers diskutiert.
Die Meinung, Reproduktionstechnologien könnten nicht heterosexuellen Paaren zu einem gesunden Kind verhelfen, ist weit verbreitet. Höchstens unter Marxisten gibt es Bedenken, ob die PID im Kapitalismus richtig eingesetzt werden kann, denn erst im Kommunismus würden die Technologien den Bedürfnissen der Menschen dienen. Alles in allem herrscht Einigkeit: Die PID, die neuen Reproduktionstechnologien und die moderne Biomedizin seien zu befürworten.
Die naive Befürwortung neuer Technologien hat bei queeren Gruppen und Marxisten jedoch unterschiedliche Gründe. Von Marx wird die grundsätzliche Bejahung von technischem Fortschritt übernommen. Doch neue Technologien, so diese Denkweise, werden im Kapitalismus zu falschen Zwecken eingesetzt. Denn ihre Anwendung unterliegt der Verwertungslogik des Marktes.
Queere Technologiefreundlichkeit bezieht sich hingegen auf die Kritik an einem essentialistischen Körperverständnis. Feministische Medizinkritik geht nach wie vor von der Frau als Hauptakteurin der Reproduktionsarbeit aus, während der heteronormative Impetus praktischer Biopo­litik ignoriert wird. Frauen, die sich als lesbisch definieren, oder sogar Single-Frauen sind in Deutschland ausdrücklich vom Zugang zu Reproduktionstechnologien ausgeschlossen. Auch Transpersonen, die bis vor kurzem sogar noch einem Kastrationszwang unterworfen waren, wurde die Nutzung nahezu unmöglich gemacht.
Aus queerer Perspektive wird deshalb argumentiert, die neuen Reproduktionstechnologien hätten die traditionellen Formen der Reproduktion infrage gestellt. Die In-vitro-Fertilisation (IVF) ermöglicht beispielsweise, das Anfangsstadium der Schwangerschaft aus dem Körper zu verlagern. Heterosexueller Geschlechtsverkehr, Schwangerschaft sowie biologische Elternschaft und Verwandtschaft können so auseinanderfallen.

Inspiration für solche Argumentationen lieferte die marxistische Queer-Feministin Donna Hara­way. Doch sie hatte immer auch Herrschafts- und Kapitalverhältnisse im Blick. Queerness bedeutet hingegen in der Regel keine ökonomiekritische, geschweige denn eine wertkritische Position gegenüber Technologien. Dass sich marxistische Beiträge nicht mit Bioökonomien auseinandersetzen, liegt eher daran, dass Wertkritik, zumindest in der deutschen Debatte, sich häufig auf einen bestimmten Arbeitsbegriff bezieht. Wertkritik nimmt eine tätige Person mit einem mehr oder weniger integralen Körper an, sei es die arbeitende Frau in der Fabrik oder der illegalisierte Mann, der den sterbenden Vater der deutschen Akademikerin pflegt. Alles andere wird schnell als postmoderner Unsinn abgetan.
So berechtigt diese marxistische Kritik sein mag, so wenig hilft sie weiter, wenn man eine materialistische Perspektive auf die neuen Technologien entwickeln will. Denn neben die weiterhin bestehenden Produktionsverhältnisse in der Fabrik oder im Haushalt ist unlängst eine neue Form der Wertproduktion getreten: der »Biowert«, der nicht nur an Orten jenseits der Fabrik und des Hauses hergestellt wird. Er basiert auch auf einer Intervention in den Körper. Beispiele für die Produktion von Biowert sind die Embryonen- und Stammzellforschung, das Klonen und die PID. Diese embryonalen Ökonomien sind auf Stoffe aus dem reproduktiven Körper angewiesen, die befruchteten Eizellen.
Embryonen, die im Rahmen einer IVF hergestellt werden, setzen immer Hormonbehandlungen, einen operativen Eingriff in den Körper der Frauen und mehrere Klinikbesuche voraus. Die Prozedur der Eizellernte zieht sich über einen Zeitraum von mehreren Wochen hin. Für die Produk­tion der Stoffe ist also einerseits die herkömmliche Arbeit notwendig. Die Frau muss sich Geld beschaffen. Sie muss gesund essen, um möglichst optimale Bedingungen für das Eizellwachstum zu schaffen, auf Zigaretten und Alkohol verzichten, in die Klinik fahren, eine gute Beziehung zur Reproduktionsmedizinerin aufbauen, sich bei Laune halten und vieles mehr. Die Herstellung der Stoffe bedeutet aber auch eine neue Form der Ausbeutung, die als eine Inbesitznahme des Körperinnenraums bezeichnet werden kann. Aus dieser Verwertung des Körpers, die in den Körper interveniert, seine Substanzen extrahiert und sie produktiv macht, resultiert der »Biowert«.

Die Fähigkeit des reproduktiven Menschen, die Teilung der befruchteten Eizelle anzustoßen und zu einem Embryo, Fötus und schließlich zu einem Kind zu entwickeln, wird ins Labor verlagert. Dort wird der Reagenzglas-Embryo zum Rohstoff und erhält einen klinischen Gebrauchswert, und seine Erforschung soll vor allem Profite erzielen.
Kritikwürdig an den Vorgängen im Bio-Sektor wäre somit, dass der Kapitalismus den reproduktiven Körper zum Rohstofflieferanten sowie zum Produktionsmittel degradiert, ihm also den gleichen Status zuweist wie etwa einem Acker. Die Produktion von Biowert ist also eine andere Art der Ausbeutung als die der Arbeitskraft.
Ihr Objekt sind nach wie vor Frauen, genauer gesagt: eindeutige, als heterosexuell geltende Frauen, deren Fortpflanzung erwünscht ist. Sie tragen die starken Belastungen der Eizellernte, werden aber zugleich von den Gewinnen ausgeschlossen.
Im Prinzip sind jedoch die Fortpflanzungsstoffe aller Personen begehrt. Im liberalen Großbritannien haben zum Beispiel Lesben nicht nur bereits Zugang zu Reproduktionstechnologien. Reproduktionskliniken werben dort offensiv lesbische Paare mit Kinderwunsch an. Ein Grund für diese »homofreundliche« Biopolitik ist, dass die Eizellen von lesbischen Frauen als qualitativ hervorragend gelten. Denn anders als heterosexuelle Frauen suchen lesbische Frauen Reproduktionskliniken nicht auf, weil sie Probleme haben, durch Geschlechtsverkehr schwanger zu werden. Sie wollen den Heterosex umgehen, ihre Eizellen gelten deshalb als intakt und werden als Spitzenrohstoff eingestuft.
Es verwundert also wenig, dass deutsche Politiker die Embryonenforschung als nationale Zukunftsökonomie entdeckt haben und zugleich gleichgeschlechtlichen Paaren den Zugang zu Reproduktionstechnologien erleichtern wollen. Die FDP spricht sich etwa dafür aus, dass auch schwul-lesbische Paare Zugang zur IVF erhalten. Und Guido Westerwelle wirft den Gegnern der PID »Zukunftsverweigerung« vor.

Eine weitere Gemeinsamkeit vieler linker Analysen ist, dass die neo-eugenischen Aspekte der Reproduktionstechnologien häufig ignoriert werden. Nicht der Staat schreibt heute vor, wer sich fortpflanzen soll und wer nicht. Regelungen zur Zwangssterilisierung von Frauen mit Behinderung existieren nicht, ebenso wenig wie Verhütungsverbote für Frauen ohne Behinderung. Im Mittelpunkt neo-eugenischer Praktiken steht vielmehr die Frage, wer heute geboren werden soll, welche Embryonen nach dem Qualitäts-Check PID in den Körper eingesetzt werden sollen oder welche Föten sich nach der pränatalen Diagnostik (PND) zu Ende entwickeln dürfen.
Der Einsatz von Technologien und Kapitalinteressen sind eng verwoben, wie die Geschichte der Fruchtwasseruntersuchung zeigt. Diese Art der Pränataldiagnostik wurde in Deutschland 1970 zum ersten Mal angewendet und konnte sich in den ersten Jahren nicht durchsetzen. Bei den schwangeren Frauen bestand keine Nachfrage und es gab auch nicht viele Einrichtungen, die diese Technik verwendeten. Daraufhin rief die Deutsche Forschungsgemeinschaft gemeinsam mit dem Deutschen Industrieverband das Programm »Pränatale Diagnostik genetisch bedingter Defekte« ins Leben, dessen ausdrückliches Ziel die Suche nach sogenannten Anomalien war. Nach sieben Jahren waren mehr als 100 Ärzte und Naturwissenschaftler ausgebildet. Im Jahr 1977 wurden bundesweit 2 648 Fruchtwasseruntersuchungen durchgeführt, 1995 waren es 61 794. Heute ist die Fruchtwasseruntersuchung selbstverständlicher Bestandteil der Schwangerenvorsorge.
Durch die Einführung der PND ist nicht nur ein Absatzmarkt geschaffen worden. Auch die Einstellung gegenüber Menschen mit Behinderungen hat sich verändert. Eltern mit einem behinderten Kind werden heute mit der Aussage konfrontiert, dass die Geburt ihres Kindes hätte vermieden werden können (und sollen). Doch der Wunsch, die Welt frei von Menschen mit Behinderung zu machen, wird sich glücklicherweise niemals realisieren lassen. Nur drei Prozent aller Behinderungen gelten als angeboren. Davon lässt sich wiederum nur ein Viertel überhaupt durch PND feststellen. Die meisten Behinderungen entstehen während oder nach der Geburt.

Die Zulassung der PID in Deutschland könnte bedeuten, dass sich die Selektionsbestrebungen gegen jene wenden, die nicht den Normen der Zweigeschlechtlichkeit entsprechen. Die PID könnte etwa als transphobes Instrument eingesetzt werden. Embryonen, die sich der eindeutigen Klassifikation als weiblich oder männlich entziehen, würden erst gar nicht geboren werden. So wird in Ländern wie Belgien die PID zum »Familiy Balancing« eingesetzt. Hinter der euphemistischen Bezeichnung verbirgt sich eine Praxis der Geschlechtsselektion. Gentests werden mit der Absicht durchgeführt, einer Familie, die zum Beispiel bereits zwei Jungen hat, die Geburt eines Mädchens zu ermöglichen.
Angesichts der real existierenden Geschlechternormen, der autoritären Bevölkerungspolitik des deutschen Staates sowie der Bestrebungen, den reproduktiven Körper inwert zu setzen, ist eine Verwendung von Reproduktionstechnologien zu fortschrittlichen Zwecken kaum zu erwarten. Eine queer-feministische und marxistische Perspektive bedeutet deshalb nicht nur, die gesellschaftlichen Verhältnisse rund um die Reproduktionstechnologien sichtbar zu machen. Sie bedeutet auch ein konsequentes Nein zur PID.