Die neuen Arbeitsformen brauchen interdisziplinäre Freiräume

Pro: Es geht um die Balance zwischen Leben und Arbeiten

Coworking Spaces sind die Antwort auf die digitale Arbeitswelt mit ihrem Bedarf nach vernetztem Denken und Handeln.

Es gibt viele Antworten auf die Frage: »Wo sollen wir arbeiten?« Die einfachste lautet: Überall! Im Zug, im Café, zu Hause. Tag und Nacht, 24/7. Smartphone, Netbook und W-Lan sind die Werkzeuge derer, die als Wissensarbeiter ihr Brot verdienen. Das Büro ist nahezu überflüssig geworden, Festanstellungen gibt es immer weniger.
Die Konzerne, die nach Produktionsverlagerungen in Billiglohnländer, nach der Bankenkrise und Insolvenzwellen übriggeblieben sind, locken mit schlecht bezahlten Zeitverträgen und Rahmenbedingungen, die nichts anderes sind als ­erzwungene Selbständigkeit. In der Kreativbranche ist das seit Jahren Praxis, jetzt greift es auch auf andere Bereiche über. Große Firmen mit ihren starren hierarchischen Strukturen und ihrer Unfähigkeit, sich zu erneuern, haben als Arbeitgeber an Attraktivität verloren. Sie können mit dem, was sich draußen abspielt, nicht mithalten.
Globalisierung, Digitalisierung, Flexibilisierung. Google, Facebook, Youtube, Twitter. Open Source, Open Software, Open Hardware. Wer mit diesen Begriffen auch nur ein wenig anfangen kann, ahnt, dass sich dahinter ein ganzes Universum an Möglichkeiten verbirgt. In einer Welt des freien, globalen Datenflusses zählen vernetztes Denken und Handeln. Wissen wird geschickt verknüpft und angewandt. Alles spielt sich in losen Verbindungen ab, die so lange halten, wie es notwendig und sinnvoll ist. Zu dieser Art zu arbeiten gehören Werte wie Kollaboration, Offenheit und Transparenz. Das absolute Gegenteil von dem, was sich hinter den Türen der Konzerne abspielt, deren Prozesse und Strukturen allein durch competition bestimmt sind und die sich daran aufreiben, ihre Errungenschaften mit Hilfe eines Urheberrechts zu sichern, das der Realität um Jahre hinterherhinkt.
Freies, interdisziplinäres und kreatives Denken und Handeln sind der Antrieb für eine Generation, die eine Welt ohne permanente Erreichbarkeit und die ohne ständige Verfügbarkeit von Wissen nicht kennt. Doch Flexibilität hat ihre Grenzen. Es gibt (zum Glück) immer noch eine wunderbare physische Welt voller Bedürfnisse. Der Mensch ist ein soziales Wesen, er braucht konstante Bezugspunkte im Leben, um überhaupt kreativ denken und handeln zu können. Um digitalen Netzwerken eine dauerhafte Existenz zu ermöglichen, brauchen sie reale Orte. Orte, die lokal tief verwurzelt und gleichzeitig global vernetzt sind.
Coworking Spaces gelten kreativen Freiberuflern, Wissensarbeitern, Startups und Berufsumsteigern zunehmend als ideale Arbeitsorte. Sie kombinieren räumliche Präsenz und lokales Know-how mit dem Zugang zu einem globalen Netzwerk aus Ideen, Jobs und Kontakten. Heute besteht bereits ein weltweites Netzwerk aus Coworking Spaces, und es wächst schnell. Diese Orte entstanden aus dem Bedürfnis, die Beschränkungen der analogen Welt aufzuweichen und sich den verheißungsvollen Möglichkeiten der digitalen Arbeitswelt anzunähern. Schlechte Erfahrungen haben Selbständige wie Angestellte überall zur Genüge gemacht: strikte Arbeitszeiten, mangelnde Teamarbeit und Kommunikation in hie­rarchischen Systemen einerseits; Vereinsamung, Einzelkämpfertum und Selbstausbeutung andererseits.
Ich habe vor zwei Jahren mit anderen einen solchen Coworking Space in Berlin gegründet, das Betahaus. Auf 2 000 Quadratmetern arbeiten hier mittlerweile 200 Freiberufler und Startups. Zwei Filialen wurden in Hamburg und Köln eröffnet, weitere sind in Planung. Die physische Ausstattung ist zunächst einmal an die flexiblen Bedürfnisse seiner Nutzer angepasst und bei fast allen Coworking Spaces identisch. Es gibt Arbeitsplätze, Meetingräume, Drucker, W-Lan und VoIP-Telefone. Die Arbeitsplätze sind nach dem Open-Space-Modell angeordnet: So wenig Regale und Trennwände wie möglich sorgen für so viel Kommunikation, Offenheit und Kollaboration wie möglich. Es herrscht eine Atmosphäre des Teilens. Wissen wird weitergegeben, Jobs werden ausgetauscht, es wird gemeinsam alleine oder zusammen gearbeitet. Wer hier arbeitet, teilt die Grundwerte einer weltweiten Coworking Community. Sie heißen collaboration, accessibility, community, openness und sustainability.

Um der Kommunikation und dem Austausch noch mehr Raum geben zu können, hat das Betahaus den Arbeitsbereich durch ein Café als Social Space erweitert. Die gemütliche Atmosphäre soll helfen, eine optimale Balance zwischen Leben und Arbeiten zu schaffen. Die Community, das Netzwerk ist der Kern der Coworking-Bewegung und das Herz von Coworking Spaces wie dem Betahaus. Die wichtigste Aufgabe der Betreiber ist community management, das bedeutet, all das aus dem Weg zu räumen, was die Entfaltung des kollektiven Potentials behindert. Monokulturen sind dabei wenig förderlich. Im Idealfall entsteht ein interdisziplinärer Freiraum (»Möglichkeitsraum«) für das Wachstum von immer neuen Ideen. Was in diesem Kontext natürlich noch völlig fehlt, sind allgemeingültige Systeme der sozialen Absicherung unabhängig von Unternehmen und Anstellungsverhältnissen. Orte wie das Betahaus sind sichtbare Zeichen für die Veränderung der Arbeitswelt. Und vielleicht liefern sie eines Tages eine handfeste Argumentationsgrundlage für Ideen wie das Grundeinkommen.