Über die Erinnerungen von Mohammed El Baradei

Pistazien aus Teheran

Der Friedensnobelpreisträger und ehemalige Generaldirektor der Internationalen Atomenergieorganisation, Mohammed El Baradei, hat seine Erinnerungen vorgelegt.

Der Wechsel an der Spitze der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) in Wien Anfang 2010 hat dazu geführt, dass mittlerweile auch von dieser Institution mit vergleichsweise klaren Worten vor dem iranischen Atomprogramm gewarnt wird. Der neue IAEO-Direktor Yukiya Amano fasst die Ergebnisse seiner Inspektoren in einer Sprache zusammen, die wenig Interpretationsspielraum hinsichtlich des Charakters des iranischen Nuklearprogramms lässt. Unter seinem Vorgänger, dem mit den Muslimbrüdern kooperierenden, potentiellen ägyptischen Präsidentschaftskandidaten Mohammed El Baradei, war das anders. Die Gründe dafür können nun in seinen Erinnerungen nachgelesen werden, in denen er sich als »Wächter der Apokalypse« inszeniert und seinen »Kampf für eine Welt ohne Atomwaffen« anpreist.
El Baradei war von 1997 bis Ende 2009 Leiter der IAEO. 2005 erhielt er für seine Tätigkeit den Friedensnobelpreis; von seinem Verlag wird der »Diplomat unter Despoten« als »unermüdlicher Fürsprecher für Toleranz, Menschlichkeit und Freiheit« gelobt. Seine Erinnerungen handeln von der Vorbereitungsphase des Irak-Kriegs und den Auseinandersetzungen um das nordkoreanische und das libysche Atomprogramm. Im Zentrum stehen jedoch die Versuche des Westens, das iranische Regime von seinem Nuklearprogramm abzubringen.
Ausgehend von einem »ehrlichen Respekt für kulturelle Unterschiede« seien Verhandlungen die einzig akzeptable Möglichkeit. Die bisher beschlossenen Sanktionen bezeichnet er ausnahmslos als »Provokation« gegenüber dem iranischen Regime. Nach seiner Darstellung würden Gesprächsangebote das iranische Regime ernsthaft beeindrucken und zu Wohlverhalten anhalten. Er ignoriert völlig, dass jedes Entgegenkommen vom iranischen Regime als Zeichen dafür gewertet wird, dass der Westen schwach sei. An keiner Stelle erkennt er im Verhalten der iranischen Führung die Strategie eines hinhaltenden Taktierens, die es dem Regime ermöglichen soll, weiter ungestört Uran anzureichern, Sprengköpfe zu entwickeln und an Zündvorrichtungen zu basteln.
Aber selbst beim »Wächter der Apokalypse« finden sich zahlreiche Hinweise darauf, dass es einem Land, das über die drittgrößten Ölreserven der Welt verfügt, mit seinem Nuklearprogramm nicht um Energiegewinnung geht: Der Iran habe »zwanzig Jahre lang gegen die Auflagen der IAEO verstoßen«. Nicht nur in der Amtszeit Ahmadinejads, sondern auch unter Mohammed Chatami sei bezüglich des Nuklearprogramms klar gewesen, dass die Täuschungsmanöver gegenüber der IAEO »von höchster Regierungsstelle« gekommen seien.
Schuld am Scheitern jeder Verhandlungslösung sollen aber trotzdem die USA und die westeuropäischen Staaten sein. Bemerkenswert ist dabei, dass El Baradei Deutschland offenbar nicht zum »Westen« zählt. Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Kanzlerin Angela Merkel wird bescheinigt, sie hätten gegenüber dem Iran einen »menschlichen und fairen außenpolitischen Ansatz« verfolgt. So kann man die politische Liebedienerei der Bundesrepublik zum Zwecke der Aufrechterhaltung eines Handelsvolumens von jährlich mehreren Milliarden Euro, das trotz aller Sanktionen stetig wächst, natürlich auch nennen.
Die Intransigenz der Politik Ahmadinejads sieht El Baradei im Fehlverhalten des Westens begründet. Dem Mann sei schließlich während seiner Visite in den USA an der Columbia University »ein erniedrigender Empfang bereitet worden«. Der ehemalige IAEO-Chef kolportiert einen Klassiker der Verharmlosung des iranischen Regimes, wenn er Ahmadinejads Aufrufe zur Vernichtung Israels, die dieser selbst in Englisch auf seiner Website publiziert hat, auf eine »falsche Übersetzung der westlichen Medien« zurückführt. Das hindert El Baradei allerdings nicht daran, seine Leser 30 Seiten später wissen zu lassen, Ahmadinejad habe ihm unmissverständlich klar gemacht, dass niemand in der arabischen Welt gewillt sei, »ein ›zionistisches Regime‹ zu dulden«. Das System der Islamischen Republik hat in den Augen El Baradeis zwar »Fehler und Schwächen«, im Übrigen zeigt er sich aber beeindruckt davon, wie die iranische Führung daran arbeitet, »auf allen Gebieten der Wissenschaft und Bildung Fortschritte zu erzielen«. Die arabischen Regierungen sollten sich das zum Vorbild nehmen, anstatt sich »mit dem Westen zu verbünden, um die Islamische Republik zu Fall zu bringen«.
Die »Sicherheitsinteressen« der Diktatur aus Ajatollahs und Pasdaran hält er für »legitim«. Für El Baradei steht nicht die Verhinderung eines nuklear bewaffneten iranischen Regimes ganz oben auf der Prioritätenliste. Als »das Schlimmstmögliche« firmiert bei ihm »der Einsatz von Waffengewalt«, womit er sich ganz auf einer Linie mit Außenminister Westerwelle befindet, der Militärschläge gegen das iranische Nuklearprogramm auch für die Zukunft kategorisch ausschließt.
Die Erinnerungen des »Wächters der Apokalypse« lesen sich wie eine Illustration dessen, was Gerhard Scheit den »Wahn vom Weltsouverän« genannt hat: Die Gefahren, die von den Nuklearwaffenarsenalen dieser Welt ausgehen, sollen ganz im Sinne von Jürgen Habermas durch die Institutionalisierung internationaler Rechtsverhältnisse gebannt werden. Da es diese aber mangels eines übergeordneten Gewaltmonopolisten nicht gibt, müssen Schuldige für das Scheitern von El Baradeis edler Mission ausgemacht werden. Empört zitiert der Friedensnobelpreisträger den ehemaligen US-Botschafter bei den Vereinten Nationen, John Bolton, der auf die Kritik der IAEO an der israelischen Bombardierung der syrischen Nukleareinrichtungen 2007 völlig zu Recht erwiderte: »Die Vorstellung, dass die Vereinigten Staaten oder Israel ihre nationale Sicherheit in die Hand der IAEO geben, ist einfach verrückt.«
Immer wieder kritisiert El Baradei eine »atomare Doppelmoral«. Schnell wird klar, was er damit meint: »Der Elefant im Raum, über den niemand spricht, ist das israelische Atomwaf­fenarsenal.« Seine Attacken auf eine »geopolitische Doppelmoral« verfolgen das immer gleiche Ziel: Israel das Recht auf seine souveräne Selbstverteidigung abzusprechen. Gerade hinsichtlich der Versuche seiner Feinde, sich in den Besitz von Atomwaffen zu bringen, kann Israel unter keinen Umständen darauf warten, dass jene von El Baradei stets geforderten »rauchenden Colts« als Beweise vorgelegt werden, weil es dann schlicht zu spät wäre, ein Nuklearwaffenprogramm mit militärischen Mitteln zu stoppen. Worauf El Baradeis Forderung nach einer Welt­souveränität hinausläuft, zeigt sich anhand der Beispiele, mit denen er seine Gedanken zusammenfasst: »Wenn Länder (… ) gegen internationales Recht verstoßen, wie im Falle der israelischen Luftangriffe auf die Anlagen im syrischen Dair az-Zaur und im irakischen Osirak, muss dies Konsequenzen haben.« Hinsichtlich der Holocaust-Leugner in Teheran fordert El Ba­radei einen »interkulturellen Dialog«, gegenüber dem Staat der Shoah-Überlebenden hingegen »Konsequenzen«.
Der Nutzen seines Buches könnte lediglich sein, dass das iranische Atomwaffenprogramm wieder etwas mehr von jener Aufmerksamkeit erfährt, die es durch die Fokussierung der internationalen Berichterstattung auf die Umbrüche in der arabischen Welt verloren hat. Ansonsten weiß man nach der Lektüre auch noch, dass die von Saddam Husseins Außenminister aufgetischten Lammspieße »ausgezeichnet geschmeckt« haben, Condoleezza Rice »gern fünf oder sechs Paar Schuhe auf einmal« kauft, El Baradeis Frau von Ahmadinejad eine »traditionelle iranische Vase mit einem hübschen Koranvers« erhalten hat und der IAEO-Leiter »ein Tütchen mit ausgezeichneten Pis­tazien«.

Mohammed El Baradei: Wächter der Apokalypse. Im Kampf für eine Welt ohne Atomwaffen. Campus, Frankfurt/New York 2011, 370 Seiten, 24,90 Euro