Über die Berliner Ausstellung »Ordnung und Vernichtung«

Dein Freund und Helfer bei der Endlösung

Die Berliner Ausstellung »Ordnung und Vernichtung« untersucht die Funktion der Polizei im NS-Staat und zeigt ihre entscheidende Rolle als willige Vollstreckerin des Holocaust.

Ich verspreche, auch in der neuen Demokratie meine ganze Persönlichkeit in den Dienst der Sache zu stellen, genau so, wie ich es unter den Regierungen Wilhelms II., Ebert, Hindenburg und im Dritten Reich getan habe, und bitte, mich wieder in der Schutzpolizei (… ) verwenden zu wollen.« Ein gewisser Paul Salitter, in Nazi-Deutschland Major der Schutzpolizei, bewarb sich 1947 mit diesen Worten darum, im Nachkriegsdeutschland einfach weitermachen zu dürfen als Polizist. In seinem Fall war die Bewerbung erfolglos, aber im Allgemeinen durften Polizisten, die zuvor das Terrorsystem der Nazis mitorganisiert und an der Vernichtung der Juden beteiligt waren, in dem von den Alliierten demokratisierten Deutschland tatsächlich weiter Wache schieben. SS und Gestapo wurden bei den Nürnberger Prozessen zu verbrecherischen Organisationen erklärt, die Machenschaften der Kriminal- und Ordnungspolizei jedoch wurden vorerst nicht weiter untersucht.
Die Ausstellung »Ordnung und Vernichtung« im Deutschen Historischen Museum in Berlin hat sich nun die Aufgabe gestellt, endgültig die Legende zu widerlegen, dass die Polizei im »Dritten Reich« eher ein Freund und Helfer war denn ein weiteres effektives Mordinstrument. Bis in die Achtziger hielt sich das Selbstverständnis der Polizei, lediglich für Ordnung gesorgt zu haben und am Holocaust unbeteiligt gewesen zu sein. Der Anspruch der Schau, Aufklärung zu leisten, ist vergleichbar mit der Intention der Wehrmachtsausstellung Mitte der Neunziger, die das Lügenmärchen widerlegen konnte, dass ausgerechnet die Wehrmachtssoldaten an der Front tapfere Soldaten gewesen seien und keine Schlächter von Kindern und Frauen.
Allerdings ist es in der Forschung längst Konsens, dass eine gleichgeschaltete und von der SS durchdrungene Polizei nicht bloß den Verkehr geregelt und alten Damen über die Straße geholfen hat. Ein totalitäres System wie der Nationalsozialismus war allumfassend und bis ins letzte Glied verbrecherisch, das macht auch die laufende Debatte um die Rolle des Auswärtigen Amts im »Dritten Reich« so verlogen, die durch das Standardwerk »Das Amt« entfacht wurde. Natürlich war auch das Auswärtige Amt ein Herrschaftsinstrument der Nazis.
An der Legende von der vergleichsweise harmlosen Polizei wurde nach dem Ende des »Dritten Reichs« gefeilt. Was auch daran lag, dass im Nachkriegsdeutschland recht hastig eine neue Ordnung hergestellt werden musste, um das Land nicht im Chaos untergehen zu lassen. Und da durften die Polizisten, die gerade noch den Befehlen Himmlers und Heydrichs untergeordnet waren, einfach weitermachen, ohne entnazifiziert worden zu sein.
Erst in den Neunzigern belegte der amerikanische Historiker Christopher Browning in seiner Studie »Ganz normale Männer. Das Reservebataillon 101 und die Endlösung in Polen«, dass die Polizei den Vernichtungskrieg in den sogenannten Ostgebieten nicht nur logistisch unterstützte, sondern auch direkt beteiligt war. Auch Daniel Goldhagen hebt in »Hitlers willige Vollstrecker« speziell auf dieses Bataillon ab und leitet aus den Lebensgeschichten deutscher Familienväter und Polizisten, die in Polen Juden massakrierten, seine These ab, dass ganz normale Deutsche sich aus voller Überzeugung an der Vernichtung der osteuropäischen Juden beteiligten. Spätestens seit Goldhagen gilt auch nicht mehr, dass Polizisten vielleicht nur notgedrungen mitgemacht hatten und lediglich Befehlsempfänger gewesen waren. Goldhagen und auch die Ausstellung »Ordnung und Vernichtung« belegen, wie Polizisten aus eigenem Antrieb Jagd auf Juden machten. Und auf zahlreichen Fotos sieht man sie: feixende Polizisten, die Juden erniedrigen oder töten.
Die Ausstellung »Ordnung und Vernichtung – Die Polizei im NS-Staat« ist ein Projekt, das die deutsche Innenministerkonferenz 2008 initiiert hat, sie ist Teil der umfassend angelegten Bildungsinitiative »Die Polizei im NS-Staat«, die sich auch an die Schulen wendet. Konzeptor der Ausstellung ist die Deutsche Hochschule der Polizei in Münster. Die Polizei stellt sich also, Jahrzehnte später, erstmalig in größerem Ausmaß ernsthaft ihrer eigenen Geschichte. Diese Message will das Projekt selbstverständlich verbreiten: Es geht um Aufarbeitung. Und diese wird, was den Zeitraum des »Dritten Reichs« betrifft, auch gewissenhaft betrieben. Beschönigt wird hier nichts, darauf deuten schon die Titel zu den programmatischen Schwerpunkten der Ausstellung hin, etwa »Die Radikalisierung der Polizei im Krieg« oder »Grenzenloses Morden«. Wer befürchtet hat, die Polizei werde bei der Beschreibung ihrer Geschichte in Deutschland ihr eigenes Treiben verzerrt darstellen, der wird sich bestätigt sehen. Zumindest was die NS-Zeit anbelangt.
Gezeigt wird, wie die Polizei den Motor des großen Mordapparats ölte und instand hielt. Es gibt kaum einen Aspekt der Terrorherrschaft, an dem sie nicht beteiligt war. Einer ihrer ersten Schritte war, dass sie sich der jüdischen Bevölkerung in Deutschland entzog. »Ich werde mich nie mehr bei der Polizei beschweren«, ein Schild mit dieser Aufschrift wurde einem Juden um den Hals gehängt, der damit durch die Straßen gehen musste, weil er wohl zu Beginn der Naziherrschaft noch glaubte, die Polizei würde sich auch um seine Belange kümmern. Ansonsten war ohne die Polizei kein NS-Staat zu machen. Sie kontrollierte Luftschutzbunkerverordnungen im »Kernreich« genauso wie sie das Leben im Warschauer Ghetto regelte. Die Polizei prüfte, ob die sogenannten Judensterne auch ordnungsgemäß angeheftet waren, sie regelte den Verkehr, wenn Juden in die Viehwaggons getrieben wurden, um in die Lager verfrachtet zu werden, und sie übernahm schließlich selbst die Erschießungskommandos und hatte eine wichtige Funktion bei der »Endlösung«.
Der Dreh der Initiatoren der Ausstellung besteht nun freilich darin, dass sie die Schuld der Polizei im »Dritten Reich« eindeutiger als je zuvor in einem vergleichbaren Rahmen benennen und auch darauf hinweisen, dass die Polizei eine Vergangenheitsbewältigung bisher versäumt hat, zugleich aber jegliche Kontinuität zur Polizei im Rechtsstaat der heutigen Bundesrepublik verneinen. Gerade dadurch, dass man endlich so schonungslos die eigene Vergangenheit und die begangenen Verbrechen beschreibt, hebt man hervor, was für eine rechtsstaatlich einwandfrei funktionierende Truppe die Polizei heute sei. »Ausstellung und Katalog zeigen eindrucksvoll, wie klar und deutlich sich die heutige Polizei von der des NS-Staates unterscheidet«, schreibt der hessische Minister des Inneren und für Sport, Boris Rhein, in seinem Grußwort für den Ausstellungskatalog.
Aus dem in der Ausstellung gezeigten Material lässt sich die These von der vollständigen Entnazifizierung der Polizei allerdings nicht ableiten. Mit der Befreiung endet auch die Ausstellung. Und mit der Feststellung, dass die ehemals im »Dritten Reich« tätigen Polizisten in der BRD und auch in der DDR einfach weiter ihren Dienst antreten durften. Dass sich die Polizei beispielsweise bei den Achtundsechziger-Unruhen und bei der Bekämpfung der RAF immer wieder am Rande der Rechtsstaatlichkeit bewegte, bleibt unerwähnt. Ebenso wenig interessierte die Ausstellungsmacher die Tradition des Korps- und Kameradschaftsgeistes, der das gewissenlose Morden im »Dritten Reich« begünstigte und der auch heute noch ein Problem darstellt. Dass der verhängnisvolle Rassebegriff des Nationalsozialismus im Racial Profiling fortbesteht, wird ebenfalls mit keiner Silbe erwähnt. Dass die Vorbeugehaft, auch sie wurde von den Nazis erdacht, noch heute im Repertoire der Polizei ist, bleibt auch unerwähnt. Genauso wie die Sicherungsverwahrung, deren groteske Handhabung in der Bundesrepublik nun schon zum wiederholten Mal vom Bundesverfassungsgericht angemahnt wurde.
Das Aufzeigen von Kontinuitäten in der Geschichte der Polizei kann man von einer Ausstellung wie »Ordnung und Verbrechen« wohl auch kaum erwarten, wenn man bedenkt, wer die Dokumentation in Auftrag gegeben hat. Der Mythos von der harmlosen Polizei im »Dritten Reich« wird dagegen erfolgreich demontiert.

Ordnung und Vernichtung – Die Polizei im NS-Staat. Deutsches Historisches Museum, Berlin. Bis 31. Juli