Die »Kulturwertmark« als Vergütungsmodell für kreative Inhalte im Netz

Zwischen Flattr und Flatrate

Wie sollen künstlerische und kulturelle Inhalte im Netz finanziert werden? Mit der »Kulturwertmark« schlägt der Chaos Computer Club ein Konzept für die Vergütung kreativer Arbeit im digitalen Zeitalter und für eine Reform des Urheberrechts vor.

Der von der Uno für den 21. Mai ausgerufene »Tag der kulturellen Vielfalt« wurde in Deutschland erstmals in großem Stil begangen. Über 750 Veranstaltungen fanden zum Aktionstag »Kultur gut stärken« statt, der vom Deutschen Kulturrat e.V. und dem Spitzenverband der Bundeskulturverbände in Zusammenarbeit mit der Kulturstiftung des Bundes organisiert worden war. Das zugehörige Blog heißt »Kulturstimmen«, der Untertitel lautet: »Plattform für kulturelle Vielfalt«. Es wirbt mit mal mehr, mal weniger prominenten »Kulturmenschen«, die der Kampagne ihr Gesicht leihen. »Die Gesellschaft« wolle einen »Feiertag für die Kultur«, wird dort der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, Olaf Zimmermann, zitiert, der schon für nächstes Jahr zum »Tag für kulturelle Vielfalt und gegen Kulturabbau« einlädt.
Bei dieser Allgegenwart des K-Wortes fällt auf, wie verkürzt der Begriff aufgefasst wird. Kultur wird oft als eine Sphäre verstanden, in der eine gesellschaftliche Minderheit vermeintlich bedeutsame Werke produziert beziehungsweise konsumiert, die normalerweise nur für einen kleinen Kreis verständlich sind. Wer Zugang dazu hat, hat demnach auch »Kultur«.
Ein Extrembeispiel für das partikularistische Verständnis von »Kultur« war die Ankündigung für die Sondersendung des Fernsehsenders 3sat zum Aktionstag. Dort wurde nämlich gefragt, als ginge es um irgendeine Ware oder Dienstleistung: »Macht Kultur glücklich? Wozu brauchen wir Kultur? Was ist Kultur in der Gesellschaft wert?« Zum Schluss der Sendung, deren Fokus auf Berlin gerichtet war, sollte sich die Moderatorin in eine Kleinstadt begeben, um sich dort »auf die Suche nach Kultur« zu machen.

Unabhängig von solchen Begriffsverirrungen ist der Hintergrund des Aktionstags durchaus wichtig. Heinrich Bleicher-Nagelsmann, Leiter des Bereichs Kunst und Kultur in der Gewerkschaft Verdi, klagte Anfang Mai auf einer Pressekonferenz über den »Niedergang von Musikschulen, Theatern, freien Kultureinrichtungen und Bibliotheken« und über die prekären Arbeitsverhältnisse der Menschen, die dort beschäftigt sind. Er forderte »eine Gemeindefinanzreform, die die Kommunen in die Lage versetzt, einer gesetzlich verankerten Kultur- und Bildungspflicht nachzukommen«. Die Verdi-Fachgruppe Bildende Kunst erstellte für den Aktionstag sogar Geldscheine einer imaginären »Bank für Kultur« und nannte die Währung »Kulturnotgeld Deutschland«.
Einen Begriff, der ebenfalls nach einem Notgeld klingt, brachte der Chaos Computer Club (CCC) etwa vier Wochen vor dem Aktionstag auf – allerdings ohne dass sich die am Aktionstag beteiligten Organisationen darauf beziehen würden. Umgekehrt bezieht sich der CCC auch nicht auf Kultureinrichtungen. Der Gruppe geht es vielmehr um den von der allgegenwärtigen Digitalisierung hervorgerufenen Konflikt um Urheberrecht und Filesharing, den sie mit Hilfe eines digitalen Finanzierungssystems beenden will, dessen Währung sie vorläufig »Kulturwertmark« nennt. So soll das gehen: Jeder Internetnutzer zahlt für seinen Internetzugang etwas mehr und bekommt für diesen Aufpreis eine digitale Währung, die »Kulturwertmark«, zur Verfügung gestellt. Sein Budget an Kulturwertmark kann er dann selbst an die Urheber verteilen.

Das Konzept soll zwei Ziele erreichen, schreibt der CCC: »Zum einen soll in Zukunft schöpferische Tätigkeit materiell gerecht entlohnt werden. Zum anderen sollen Werke allgemein zugänglich und kreativ weiterverwendbar sein, ihre Verwendung und Archivierung nicht durch Digital Rights Management behindert werden.« Konkreter: »Zukünftig soll der Nutzer der Werke mit Hilfe des Kulturwertmark-Systems, einer Form des digitalen Micropayments, direkt bestimmen können, wer wie viel Geld bekommt. Jeder Teilnehmer zahlt einen festen monatlichen Betrag ins System ein, den er dann in Form von Kulturwertmark an Künstler seiner Wahl vergeben kann. Als Ausgleich stehen die Werke nach einigen Jahren oder nach Erreichen einer bestimmten Kulturwertmark-Auszahlsumme jedem zur nicht-kommerziellen Nutzung zur Verfügung.«
Aufgenommen wird auf diese Weise der Vorteil einer Kulturflatrate, nämlich der prinzipiell offene Zugang zu digitalen Gütern, aber ohne dass eine Verwertungsgesellschaft nötig wäre, die den tatsächlichen Konsum überwacht und das Geld dementsprechend gewichtet ausschüttet. Die Geldverteilung wird stattdessen über ein Marktprinzip organisiert, wie es schon von dem seit einem Jahr existierenden Bezahlsystem Flattr vorgeführt wird.
So sind auch Jungle World-Artikel online mit einem Flattr-Knopf versehen. Indem man diesen anklickt, können – nach vorheriger Anmeldung und Einzahlung bei Flattr – Artikel mit Kleinbeiträgen honoriert werden. Hier brächte die Kulturwertmark den beschriebenen zusätzlichen Vorteil, dass die Güter irgendwann in öffentliches Eigentum übergehen. So soll eine »wachsende digitale Allmende« entstehen.
An dem Konzept hat der CCC angeblich zwei Jahre lang gebrütet – auch im Austausch mit Angehörigen betroffener Berufsgruppen –, folglich ist es durchdacht. Eine staatliche Stiftung soll die Kulturwertmark organisieren, in der sowohl Urheber als auch Nutzer vertreten sind. Die Entscheidungsgremien sollen dabei regelmäßig gewählt werden, Datenschutz und Dezentralität haben Priorität: »Wir schlagen vor, das System als eine vom Staat initial finanzierte, aber vollständig unabhängige Stiftung zu realisieren, die von den Ländern Hilfe beim Erheben der Beiträge erhält«, heißt es dazu im Konzept des CCC.
Kritische Kommentare zur »Kulturwertmark« laufen meistens auf den Vorwurf hinaus, sie sei gegenwärtig nicht durchzusetzen. Das ergibt wenig Sinn, denn der CCC ist eine zivilgesellschaftliche Organisation, die ohnehin nur Diskursbeiträge beisteuern kann. Die Verwerter von Urheberrechten etwa, die Abstriche machen müssten, könnten sich für dieses Modell aus dem gleichen Grund erwärmen, aus dem kapitalistische Unternehmen oft Tarifverträge für ihre Beschäftigten befürworten, denn durch den konstanten Geldfluss ins Kulturwertmark-System entsteht eine gewisse Planungssicherheit.
Auch der mancherorts kritisierte Zwang, am Kulturwertmark-System teilnehmen zu müssen, ist weitaus weniger gravierend, als es viele Steuern oder die GEZ-Gebühren schon jetzt sind. Wenn ein Beitrag über den Internetanbieter abgeführt würde, kämen bei über 25 Millionen Internet-Anschlüssen 1,5 Milliarden Euro im Jahr zusammen, wenn pro Anschluss ein Monatsbetrag von fünf Euro erhoben würde, rechnet der CCC vor. Bliebe die Frage, was mit dieser Summe angefangen werden kann.
Ein Rechenbeispiel: Bei der Künstlersozialkasse (KSK), die die Sozialversicherung für Selbständige aus Bildender Kunst, Schauspiel, Musik und Textarbeit organisiert, sind derzeit 170 000 Versicherte registriert. Der Durchschnitt der von ihnen angegebenen Jahreseinnahmen beträgt 13 700 Euro, bei allen zusammen sind das also etwa 2,3 Milliarden. Ohne zu behaupten, diese Einnahmen seien finanziell zufriedenstellend – zumindest die Größenordnung des CCC-Vorschlags stimmt jedenfalls.

Naheliegend ist die Kritik, der CCC entwerfe nur ein Modell für digitale Güter. Doch auch das stimmt nicht – wenn auch die Ausführungen dazu etwas vage sind: »Für jede Art von Kunst, Kultur, schöpferischer Tätigkeit, die einen Werkcharakter hat, ist das System geeignet. Auch Ölgemälde können beispielsweise in den Besitz der Allgemeinheit übergehen.«
Unvollständig ist das Konzept jedoch, wenn die eingangs erwähnte Krise des »Kultursektors« einbezogen wird. Zwar würden viele Einrichtungen auch von einer Allmende der Kulturgüter profitieren, etwa Bibliotheken. Doch zur Finanzierung gesellschaftlich notwendiger Institutionen schweigt sich der CCC aus. Er scheint nur an die selbständigen »Berufskreativen« zu denken. Doch wer heute nach einer Vermarktungsmöglichkeit für eigene Bilder oder Musik sucht, hat mit der künstlerischen Tätigkeit vielleicht in einer Musikschule oder einem Jugendzentrum angefangen.
Zudem ist fraglich, wie beim bereits erwähnten Enthusiasmus für die Hochkultur, wie weit der Kulturbegriff der Kulturwertmark trägt. »Jede schöpferische Tätigkeit, die einen Wertcharakter hat«, soll Eingang finden können. Wo soll da die Grenze gezogen werden? Die KSK etwa weist in ihrem Internetauftritt darauf hin, dass sie keine Kunstschmiede versichere, obwohl deren Tätigkeit oft zumindest teilweise sehr kreativ sei.