Kajsa Ekis Ekman im Gespräch über die Debatte um die Legalisierung von Prostitution in Schweden

»Prostitution ist keine normale Arbeit«

Die schwedische Literaturwissenschaftlerin Kajsa Ekis Ekman hat im Herbst 2010 das Buch »Varat och varan. Prostitution, surrogatsmödraskap och den delade människan« (Ware und Sein. Prostitution, Leihmutterschaft und der geteilte Mensch) veröffentlicht. Ihre pauschale Kritik der Prostitution und ihre Ablehnung des Begriffs »Sexarbeit« hat in der schwedischen Öffentlichkeit, gerade auch unter Linken, heftige Diskussionen ausgelöst. Ekman wurde zu über 60 Veranstaltungen in ganz Schweden eingeladen.

In der Linken wird die Legalisierung der Prostitution oft mit sozialer Sicherheit, gewerkschaftlicher Organisierung und Selbstbestimmung in Zusammenhang gebracht. Was ist Ihrer Meinung nach daran falsch?
Prostitution bedeutet, dass zwei Personen Sex haben, von denen die eine das will und die andere nicht. Auf dieser Grundlage erscheinen alle gesellschaftlichen Ungleichheiten unter einem Vergrößerungsglas. Nehmen wir die Situation in Europa als Beispiel: Auf der einen Seite haben wir europäische Männer mit Arbeit, stabilem Einkommen, Eigenheim, oft Familie; auf der anderen Seite junge Frauen, oft Teenagerinnen und Frauen aus armen Ländern in prekären Lebensverhältnissen. Die Männer scheren sich nicht darum, ob diese Frauen beim Sex Lust verspüren oder nicht. Sie dienen ihnen als Mittel zur Befriedigung eigener Bedürfnisse. Die Realität ist, dass Millionen von Männern Sex mit Frauen haben, die keinen mit ihnen haben wollen. Wir können noch so viele linke Werte bemühen, an dieser Tatsache kommen wir nicht vorbei.
Auch Männer prostituieren sich.
Ja, aber das ist die Ausnahme. Genauso wie die »glückliche Hure« oder die »Studentin als Sexarbeiterin«. In postmodernen Zeiten wird die Ausnahme gerne zur Regel erklärt. Ich konzentriere mich lieber auf den Regelfall. Und dazu gehört nicht nur, dass in den allermeisten Fällen Männer für Sex zahlen und Frauen dafür bezahlt werden, sondern auch, dass die allermeisten Prostituierten mit der Prostitution aufhören wollen – das zeigte nicht zuletzt die bisher größte internationale Studie zum Thema, die vor einigen Jahren von Melissa Farley und anderen durchgeführt wurde.
Sie haben gerade den Begriff »Sexarbeit« erwähnt. Weshalb lehnen Sie den ab?
Es gibt gegenwärtig eine unheilige Allianz zwischen der neoliberalen Rechten und der postmodernen Linken. Der Begriff der »Sexarbeit« ist ein Resultat dieser Allianz. Er dient dazu, die Machtbeziehungen, die Ausbeutungsverhältnisse, das Leiden und die Gewalt, die die Prostitution durchdringen, zu vertuschen. Die Rechte kann auf diese Weise ihre Politik betreiben und die Linke hat eine Entschuldigung, nichts dagegen zu unternehmen. Vor allem in der Queerbewegung wird die Prostituierte oft zur Projektionsfläche des eigenen sexuellen Befreiungsprojekts, zum Symbol für sexuelle Grenzüberschreitung, zu einem Schmuckstück, mit dem sich kokettieren lässt. Aber Fetischisierung ist der Gegensatz von Solidarität. Es ist kein Wunder, dass der Begriff der »Sexarbeit« zu einer Zeit hoffähig wird, in der die Sexindustrie wächst und institutionalisiert wird. Es geht darum, Prostitution als modern und frei gewählt zu verkaufen und zu legitimieren.
Bereits in der Einleitung Ihres Buches kritisieren Sie das deutsche Prostitutionsgesetz. Wie sieht die Gesetzeslage in Schweden aus?
Seit 1999 ist in Schweden der Kauf sexueller Dienstleistungen verboten, aber nicht der Verkauf. Prostituierte können demnach nicht belangt werden, nur Freier. Das Gesetz richtet die Aufmerksamkeit endlich auf diejenigen, die für Prostitution verantwortlich sind, nämlich Männer. Norwegen und Island haben heute ähnliche Gesetze und Frankreich ist im Begriff, ein solches einzuführen.
Nicht zuletzt in Zusammenhang mit den Vergewaltigungsanklagen gegen Julian Assange wurden in verschiedenen Ländern Stimmen laut, die meinten, die schwedische Gesetzgebung sei zu stark von »politischer Korrektheit« und »radikalem Feminismus« geprägt.
Mit den Einzelheiten von Assanges Fall bin ich nicht vertraut, aber vielen dieser Kritiker ging es offensichtlich eher darum, Assange zu verteidigen, als darum, sich die schwedischen Gesetze anzusehen. Diese beruhen auf keinem anderen Grundsatz als dem, dass es nicht akzeptabel ist, Sex mit Menschen zu haben, die keinen haben wollen.
Hat das schwedische Gesetz, abgesehen von der juristischen Fokussierung auf die Freier, greifbare Veränderungen gebracht?
In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der Freier in Schweden beinahe halbiert. Die Prostitution ist deutlich zurückgegangen. In den Niederlanden gibt es beispielsweise zehn Mal mehr Prostituierte, bei einer Einwohnerzahl, die nur doppelt so hoch ist.
Aber selbst Prostitutionskritiker argumentieren damit, dass die Legalisierung die Arbeitsbedingungen für Prostituierte verbessert. Wa­rum überzeugt Sie dieses Argument nicht?
Weil es falsch ist. Als die deutsche Regierung im Jahr 2007 die Gesetzesreform zur Legalisierung der Prostitution auswerten ließ, zeigte sich, dass sich keine der damit verbundenen Hoffnungen erfüllt hatte. Weniger als ein Prozent der Prostituierten waren angestellt und nur fünf Prozent wollten überhaupt eine Anstellung. Die meisten wünschten, so bald wie möglich mit der Prostitution aufzuhören.
Das spricht nicht unbedingt gegen das Gesetz. Verschiedene Interessengruppen haben betont, dass die entsprechenden sozialen und arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen nicht erfüllt wurden, die für eine Verbesserung notwendig wären.
Das mit den Interessengruppen für Prostituierte ist etwas kompliziert. Um nicht falsch verstanden zu werden: Alle Menschen brauchen Initiativen, die ihre Interessen vertreten. Es ist jedoch wichtig, sich in jedem einzelnen Fall anzusehen, wer den Anspruch der Interessenvertretung erhebt. Ich habe zu diesem Zweck mehrere europäische Länder bereist. Im Allgemeinen gibt es zwei Formen von Organisationen. Zunächst etablierte Gewerkschaften, die Sektionen für Prostituierte einführen. Dies geschieht meist mit viel Trara, großen Konferenzen und hübschen Broschüren. Danach kommt das vergebliche Warten auf Mitglieder. Eine Vertreterin von Verdi erklärte mir, es seien bei ihnen »einige wenige«. Bei der CCOO in Spanien ist es keine einzige. Auch von Arbeitsplatzkämpfen ist kaum etwas bekannt.
Zusätzlich gibt es verschiedene Lobbygruppen, in denen wir neben Prostituierten auch Sozialarbeiter, Politiker und Unternehmer finden. Im Falle der International Union of Sex Workers mischt sogar ein Zuhälter mit. Die Prostituierten sind zum Teil sogar in der Minderheit, auch wenn sie als Galionsfiguren benutzt werden. Es fällt auf, dass sich sehr wenige dieser Gruppen gegen die Profiteure der Prostitution richten. Man versucht eher, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass Prostitution eine Arbeit wie jede andere sei.
Und wieso ist sie das nicht?
Prostitution ist keine Arbeit wie jede andere. Einer US-amerikanischen Studie aus dem Jahr 2004 zufolge ist für Prostituierte die Wahrscheinlichkeit, ermordet zu werden, 18 Mal höher als für andere Frauen. Das gilt auch für Länder, in denen Prostitution legal ist. Polizisten werden zu ihrem Schutz mit Waffen und kugelsicheren Westen ausgestattet. Was bekommen Prostituierte? In welcher »normalen« Arbeit würden solche Verhältnisse geduldet?
In Schweden ist Ihnen von der Autorin Laura María Agustín, die vor allem zu Sexarbeit und Migration publiziert, vorgeworfen worden, »keine Ahnung von Sexarbeit« zu haben.
Dass Agustín und anderen, die von der Beschönigung der Prostitution leben, mein Buch nicht gefällt, überrascht mich nicht. Agustín ist ein extremer Fall. Sie nennt Opfer von Menschenhändlern »migrantische Sexarbeiterinnen« und präsentiert sie als »kosmopolitische Subjekte«. Mir wurde buchstäblich schlecht, als ich ihr Buch las.
Mit dem Begriff des »Opfers« haben Sie keine Probleme?
Die Abschaffung des Opfers ist ein interessantes zeitgenössisches Phänomen. Alle Menschen werden für ihr Schicksal verantwortlich gemacht, damit auch für alles, was daneben geht. Menschen dürfen keine »Opfer« sein. Sie sind »Subjekte«. Aber der Gegensatz von »Opfer« ist nicht »Subjekt«, sondern »Täter« – und es ist diese Kategorie, die eigentlich abgeschafft werden soll: ohne Opfer keine Täter.
Sie sind in der autonomen Linken Schwedens aktiv. Es ist etwas ungewöhnlich, dass Autonome auf den Staat setzen, um ein gesellschaftliches Problem zu lösen.
Das mag sein. Aber es wirkt auch ungewöhnlich für autonome Aktivisten, ein kapitalistisches System zu stützen, in dem menschliche Körper zu Waren gemacht werden und der Staat zu einem Zuhälter, der daran Steuergelder verdient. Natürlich lösen Gesetze das Problem nicht. Dazu sind soziale Maßnahmen notwendig, die von Therapieangeboten – sowohl für Prostituierte als auch für Freier – bis zum Angebot alternativer Arbeits- und Wohnmöglichkeiten reichen. Gesetze können jedoch Zeichen setzen und somit zu der kulturellen Veränderung beitragen, auf die es letztlich ankommt.
Und welche Rolle sollte die Linke dabei spielen?
Wir müssen uns fragen, was unsere Träume sind, wenn es um Sexualität geht. Wenn das Beste und Radikalste, das wir anzubieten haben, eingezäunte Parkplätze mit »Verrichtungsboxen« sind, dann sieht die Zukunft düster aus. Ich träume von der Befreiung der Sexualität vom Kommerz; von einer Sexualität, bei der alle Beteiligten Lust verspüren.