Die gescheiterte Sammelklage wegen Geschlechterdiskriminierung gegen Walmart

Diskriminierung ist Ansichtssache

Eine der größten Sammelklagen in der US-amerikanischen Geschichte wurde vom Obersten Gerichtshof abgewiesen. Arbeitnehmerinnen hatten gemeinsam gegen die weltweit größte Handelskette Walmart wegen Geschlechterdiskriminierung am Arbeitsplatz geklagt. Für Frauen in den USA dürfte es nach diesem Urteil schwieriger werden, gegen ihren Arbeitgeber juristisch vorzugehen.

Mehr als eine Million gegenwärtige und ehemalige weibliche Beschäftigte der US-Handelskette Walmart werden bis auf weiteres nicht die Gelegenheit bekommen, ihre Sammelklage wegen Geschlechterdiskriminierung am Arbeitsplatz gerichtlich verhandeln zu lassen. Das entschied das Oberste Gericht vergangene Woche mit einer knappen Mehrheit. Fünf konservative Richter stimmten gegen die Zulassung der Klage »Dukes gegen Walmart«, benannt nach Betty Dukes, die im Jahr 2001 gemeinsam mit fünf weiteren damaligen Walmart-Mitarbeiterinnen wegen Diskriminierung geklagt hatte. Mehrere Kolleginnen entschlossen sich, zusammen mit Dukes gegen Walmart vorzugehen, und schließlich ließ im Jahr 2004 ein Richter in San Francisco eine Sammelklage zu. Diese war von den Klägerinnen mit dem Vorwurf begründet worden, Walmart betreibe eine »zentralisierte Unternehmenskultur«, die Frauen generell diskriminiere.

Das Oberste Gericht entschied nicht darüber, ob die Lohn- und Beförderungspolitik des Konzerns weibliche Mitarbeiterinnen tatsächlich diskriminiert habe, sondern lediglich über die Rechtmäßigkeit der Sammelklage, und sah die Grundlage für ein gemeinsames juristisches Vorgehen nicht gegeben. Wäre sie zugelassen worden, wäre die Hauptverhandlung zu groß und kompliziert geworden, so begründeten die Richter ihre Entscheidung. Schließlich ging es um Milliarden Dollar an potentiellen Entschädigungsforderungen. Den Mitarbeiterinnen bleibt nun die Möglichkeit, einzeln gegen Walmart zu klagen, der Konzern hat dabei allerdings wesentlich weniger zu befürchten als bei einer Sammelklage.
Walmart hatte die Vorwürfe stets zurückgewiesen und auf seine Unternehmenspolitik verwiesen, die explizit Diskriminierung aufgrund des Geschlechts untersage. Die wäre schließlich nach Artikel VII des 1964 verabschiedeten Civil Rights Act illegal.
Aber auch gut zehn Jahre nachdem die Klage eingereicht wurde, scheinen die Statistiken des Konzerns den Klägerinnen eher recht zu geben. Obwohl mehr als 65 Prozent der insgesamt 1,4 Millionen Beschäftigten der Handelskette weiblich sind, bilden Frauen nur rund ein Drittel des Managements, je höher die Position ist, desto weniger Frauen gibt es. Lediglich zehn Prozent der regionalen Führungspositionen sind mit weiblichem Personal besetzt. Der Aufstieg in eine Führungsposition dauert für Frauen durchschnittlich doppelt so lang wie der für Männer. Dass die Managerpositionen bei Walmart nach wie vor weitgehend eine Männerdomäne sind, ist bekannt. Die »gläserne Decke« ist in vielen US-amerikanischen Unternehmen keine Seltenheit.
Dem Obersten Gericht ging es in seinem Urteil allerdings nicht um die vertikale geschlechtsspezifische Diskriminierung, sondern um die Entscheidungen von Managern in einzelnen Filialen. Wegen der bei Walmart herrschenden dezentralisierten Unternehmensstruktur lässt sich das sogenannte implicit bias (unterschwellige Diskriminierung) allerdings kaum juristisch beweisen. In der zurückgewiesenen Anklageschrift finden sich Tausende Aussagen von Walmart-Mitarbeiterinnen über die diskriminierende Politik in kleinen Filialen, wie etwa das Vorurteil von Filialleitern, Frauen würden nur arbeiten, um das Familieneinkommen aufzubessern, oder Frauen in Führungspositionen könnten den Stress nicht aushalten.
Das Oberste Gericht wies die Sammelklage zurück, weil solche diskriminierenden Einstellungen und unternehmenspolitischen Entscheidungen, sofern im Einzelfall bewiesen, lediglich als Verstöße gegen die offiziellen Unternehmensrichtlinien und nicht als »systematische Diskriminierung« der etwa 1,6 Millionen weiblichen Beschäftigten zu betrachten seien.

Vor allem ein Richter des Obersten Gerichts, Antonin Scalia, ist kein Freund der Geschlechtergleichheit. Er vertritt die Meinung, dass die US-Verfassung nicht die Diskriminierung von Frauen verbiete, da der nach dem US-Bürgerkrieg verabschiedete Verfassungszusatz, in dem die Gleichheit aller Bürger festgeschrieben wurde, nicht explizit Frauen miteinbezogen habe, beziehungsweise fast ein Jahrhundert lang in Hinblick auf Frauen nicht angewendet worden sei. Demnach stellt er in Frage, ob der Artikel VII des Civil Rights Act verfassungskonform sei. Wegen dieser in den siebziger Jahren weit verbreiteten Meinung versuchten Frauenrechtlerinnen einen weiteren Verfassungszusatz auf den Weg zu bringen, der explizit die rechtliche Gleichheit von Frauen und Männern festschreibt.
Dieses Equal Rights Amendment scheiterte in den Folgejahren an den hohen Anforderungen für die Zulassung neuer Verfassungszusätze. Vergangene Woche brachten aufgrund der zurück­gewiesenen Sammelklage gegen Walmart 160 Abgeordnete erneut eine entsprechende Vorlage ins US-Repräsentantenhaus ein. Wegen der republikanischen Mehrheit in der Kammer gilt der Versuch allerdings als aussichtslos.
Auch die Anwälte der Walmart-Beschäftigten wollen erneut juristisch gegen Walmart vorgehen. Einzelklagen sollen ebenso eingereicht werden wie Sammelklagen, die Beschwerden über die Diskriminierung in einzelnen Märkten oder Regionen zusammenfassen. »Der Fall ist nicht abgeschlossen«, sagte der Anwalt Merit Bennett. Spontane Demonstrationen fanden vergangene Woche vor Walmart-Filialen in mehreren Städten und vor dem Obersten Gericht im Washington statt. Im Internet kursieren bereits Boykott-Aufrufe gegen Walmart.